Gewalttaten in Bahnhöfen - Die Zahlen der Bundespolizei sollten nicht nur die Bahn-Führung sorgen

Die Gewalt an Bahnhöfen und in Zügen ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen, wie ein nicht zur Veröffentlichung bestimmter Bericht der Bundespolizei belegt. Darüber sollten sich nicht nur Verkehrswende-Politiker Sorgen machen.

Die Gewalttaten an Bahnhöfen und in Zügen haben zugenommen / dpa
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Autoreninfo

Ferdinand Knauß ist Cicero-Redakteur. Sein Buch „Merkel am Ende. Warum die Methode Angela Merkels nicht mehr in unsere Zeit passt“ ist 2018 im FinanzBuch Verlag erschienen.

 

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Diese Zahlen sind die Dokumentation einer Katastrophe. Für die Deutsche Bahn und für Deutschland. Sie stehen in einem Bericht der Bundespolizei über „Gewaltdelikte auf Bahnanlagen im Jahr 2022“, der der Bild-Zeitung vorliegt. Im Vergleich zu 2019 stieg die Zahl der dokumentierten Gewalttaten im Jahr 2022 um 28,4 Prozent, gegenüber dem Coronajahr 2021 mit deutlich weniger Bahnreisenden sogar um 38,6 Prozent.

Im Detail: Die Zahl der Körperverletzungen (insgesamt 14155) stieg im Vergleich zu 2019 um 22 Prozent. Noch stärker stieg die Zahl der Sexualdelikte, von 1184 auf 1693 (43 Prozent). „Der Einsatz von Messern und anderen gefährlichen Gegenständen stellt in der Gesamtbetrachtung (2022–2019) ein zunehmendes Problemfeld dar“, wird aus dem Bericht zitiert. 432 mal wurden im vergangenen Jahr Messer bei Gewalttaten auf Bahnanlagen eingesetzt; eine Zunahme um 44,5 Prozent.

Bahnhöfe als deprimierende, gefährliche Orte

Man muss sich klarmachen, was das bedeutet: Im Schnitt wird täglich mehr als eine Messer-Gewalttat in einem Bahnhof oder einem Zug in Deutschland verübt. Noch öfter kam es zu Raub oder Erpressung (708 Taten gegenüber 540 im Jahr 2019). Besonders erschreckend: 78 mal wurden Menschen absichtlich vor eine Bahn gestoßen (2019: 60 mal), dabei wurden 57 Menschen verletzt (13 schwer), einer starb. Nicht-deutsche Tatverdächtige sind mit 47 Prozent sehr deutlich überrepräsentiert.

Wenn die Führung der Deutschen Bahn und deutsche Verkehrspolitiker sich fragen, warum die sogenannte Verkehrswende nicht so recht gelingen will, wieso jedenfalls viele Menschen in Deutschland weiterhin nicht auf Bus und Bahn umsteigen, sondern lieber im eigenen Auto reisen, dann steckt ein Teil der Antwort wohl nicht nur in der Unpünktlichkeit der Züge, sondern in der Atmosphäre, die in Bahnhöfen und teilweise auch Zügen herrscht.

Bahnhöfe sind nicht nur äußerlich leider oft deprimierende Orte der architektonischen Sünden und kaugummiverklebten Verwahrlosung. Eine Reise auf dem Hauptbahnhof von, sagen wir, Düsseldorf zu beginnen, vermittelt nicht gerade euphorisierende Stimmung. Aber es sind nicht nur oft hässliche, sondern auch zunehmend gefährliche Orte.

15 Fälle pro Tag

Zu den genannten Gewalttaten kommt noch eine erschütternde Zahl: 2022 wurden 5461 Reisende bedroht – 120 Prozent mehr als 2019. Das sind rund 15 Fälle pro Tag. Niemand kann sich also wundern, dass Bahnhöfe zunehmend gemieden werden. Und damit auch Bahnreisen.

 

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Bahnhöfe sind zentrale öffentliche Orte, was in ihnen und in den Bussen und Bahnen passiert, ist ein Teil des deutschen Alltags. Die Bedeutung dieser Zahlen und der gewalttätigen Wirklichkeit, die hinter ihnen steht, und die sehr viele Menschen auch aus eigenem Erleben kennen, betrifft daher längst nicht nur das Unternehmen Deutsche Bahn und die Verkehrspolitik. Hier wird auch die Stimmung im Lande mit fabriziert.

Wenn etwa das Rheingold-Institut nach einer Studie über den Seelenzustand der Deutschen im Sommer 2023 über „Endzeitstimmung“ und „Ängste vor Zuständen wie in Entwicklungsländern“ berichtet, und 83 Prozent der Deutschen die Erfahrung machen, „dass es zunehmend Aggressivität im Miteinander gibt“, dann ist das sicher auch eine Folge dieser nicht nur Bahnhofsalltagsbrutalität.

Resignation gegenüber der Politik

Dass diese Zahlen von der Bundespolizei nicht öffentlich gemacht werden, sondern erst durch eine wie auch immer motivierte Indiskretion in der Presse landen, trägt dazu bei, dass viele Menschen den Eindruck gewinnen, die Institutionen dieses Staates versuchten den Niedergang der öffentlichen Sicherheit und die Verwahrlosung des öffentlichen Raumes eher zu verdecken, als aktiv dagegen vorzugehen. Die in der Rheingold-Studie festgestellte Resignation gegenüber der Politik und die in Wahlumfragen manifestierte zunehmende Hinwendung zur AfD speisen sich aus dem, was hinter den Zahlen der Bundespolizei steht.

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