Neue Autoritarismus-Studie - Ostdeutsche sind nicht mehr, sondern weniger rechtsextrem geworden

Nach einer aktuellen Studie ist der Osten angeblich ein braunes Nest. Dabei zeigen die Daten, dass die Zustimmung zum Rechtsextremismus rückläufig ist. Insbesondere die AfD könnte dennoch von der Unzufriedenheit des Ostens mit der Demokratie profitieren.

Teilnehmer einer Kundgebung der AfD auf dem Theaterplatz in Weimar, 08.05.2023 / picture alliance
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Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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Für den Chef des Verfassungsschutzes Thüringen, Stephan Kramer, dürfte sich das fast so anfühlen wie ein wenig Rückendeckung. Nach einer aktuellen Studie nämlich soll die Zustimmung zu „rechtsextremen Aussagen“ in Ostdeutschland besonders „hoch“ sein. Kramer hatte nach der Sonneberg-Wahl 20 Prozent der Deutschen vorgeworfen, dass sie zum „braunen Bodensatz“ der Republik gehörten, also im Grunde Nazis seien.

Ein genauer Blick auf die Daten verrät allerdings fast das Gegenteil. Die Forscher um Oliver Decker, Johannes Kiess und Almar Brähler haben insgesamt 3546 Datensätze ausgewertet und kommen zu einem überraschenden Befund: Trotz jahrelanger Debatten über die Flüchtlingskrise und blendende Umfragewerte der AfD vor allem im Osten nimmt der Anteil der Menschen mit einem „geschlossen rechtsextremistischen Weltbild“ in Ostdeutschland ab – und nicht zu. Während im ersten Jahrzehnt des Jahrtausends noch 8,0 Prozent der Ossis Rechtsextreme gewesen sein sollen, waren es im Jahr 2022 „nur“ noch 7,1 Prozent.

60 Prozent Ausländerfeinde

Als manifester Rechtsextremist mit einem geschlossenen Weltbild gilt den Forschern dabei nur, wer allen 18 von den Forschern vorgelegten Fragen durchschnittlich zustimmt. So erklärt es sich auch, dass diese dennoch davon sprechen, die Zustimmungswerte im Osten seien „hoch“. Das bezieht sich auf ganz bestimmte Aussagen.

Besonders betroffen: Chauvinismus und Ausländerfeindlichkeit. Die Werte in diesen Bereichen fallen so hoch aus, dass die Autoren der Studie ein „bedrohliches“ Ausmaß für erreicht halten. Rund 60 Prozent der Ostdeutschen sollen demnach Chauvinisten und Ausländerfeinde sein.

Allerdings ergibt sich dieses Ergebnis nur dann, wenn man zu einem methodisch fragwürdigen Kniff greift. Alle vorgelegten Aussagen konnten von den Befragten auf einer Skala von 1 bis 5 bewertet werden (1 = lehne völlig ab, 5 = Stimme voll und ganz zu). Der Mittelwert 3 steht dabei für „Stimme teils zu, teils nicht zu“. Die Autoren behandeln diese Mittelkategorie aber nicht, wie sonst in der Sozialforschung üblich, als „neutral“, sondern schlagen sie als angeblich „latente“ Zustimmung dem Bereich des Extremismus zu. Das hat schon zu kritischen Kommentaren aus der scientific community geführt.

Die methodische Begründung: „Wir sprechen bei der dritten Kategorie von latenter Zustimmung, da sie den Befragten die Möglichkeit gibt, sich nicht eindeutig positionieren zu müssen, aber dem Inhalt der extrem rechten Aussagen dennoch in Teilen zuzustimmen.“ Gerechtfertigt wäre das aber nur, wenn man wüsste, dass die dahinter stehenden Befragten tatsächlich feige manifeste Rechtsextremisten sind. Dahinter können aber auch Befragte stehen, die zu einer Aussage schlicht keine Meinung haben und deshalb die Antwort „teils/teils“ wählen. Ein „Weiß ich nicht“ ist als Antwortmöglichkeit nämlich gar nicht vorgesehen. Bereinigt man die Daten daher um die Kategorie 3, schrumpfen die Extremismus-Werte auf 18,9 Prozent für Chauvinismus und 27,9 Prozent für Ausländerfeindlichkeit zusammen.

Überschätzte Werte

Und auch diese Werte dürften deutlich überschätzt sein. Der Aussage „Die Bundesrepublik ist durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet“ stimmen 36,6 Prozent der Ostdeutschen zu und der Aussage „Wenn Arbeitsplätze knapp werden, sollte man die Ausländer wieder in die Heimat zurückschicken“ 29,8 Prozent. Aber muss man zwangsläufig ein Nazi sein, wenn man diesen Aussagen zustimmt? Da sind zumindest Zweifel angebracht. Als Deutschland in Zeiten des Wirtschaftswunders Gastarbeiter anwarb, geschah dies zunächst in der Perspektive, dass diese nach bestimmter Zeit das Land wieder verlassen sollten. Dass es am Ende anders kam, ist eine andere Geschichte. Aber nach der Logik dieser Studie hätte die damalige Bundesregierung des Rechtsextremismus verdächtig gewesen sein müssen.

Auch die Aussage „Wir sollten endlich wieder mehr Mut zu einem starken Nationalgefühl haben“, der 36,7 Prozent der Befragten zustimmen, soll ein Merkmal für Rechtsextremismus sein. Für politisch konservative Menschen hingegen dürfte Patriotismus schlicht nichts mit Nazismus zu tun haben. Das Studiendesign von Decker/Kiess/Brähler vermisst somit in weiten Teilen nicht die Demokratie, sondern das Ausmaß der Verbreitung linker Weltanschauungen.

Abstruser Antisemitismus

Regelrecht abstrus wird es, wenn die Autoren der Frage nachgehen, wie verbreitet in Ostdeutschland der „Schuldabwehrantisemitismus“ sei. Mehr als 40 Prozent sekundärer Judenfeinde soll es geben, weil diese folgendem Satz zugestimmt hätten: „Reparationsforderungen an Deutschland nutzen oft gar nicht den Opfern, sondern einer Holocaust-Industrie von findigen Anwälten.“ Schon diese Aussage allerdings hat mit einem angeblichen „Schuldabwehrantisemitismus“ schlicht nichts zu tun. Sie misst nicht, was sie zu messen vorgibt, da mit dieser Aussage die „Schuld“ der Deutschen am Holocaust ja gar nicht bestritten wird.

 

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Dem genannten Satz könnte aber auch jeder Demokrat unter folgenden Annahmen zustimmen: 1. Kluge Opfer-Verbände suchen sich zur Durchsetzung ihrer Interessen kluge und erfolgreiche („findige“) Anwälte. 2. Solche Anwälte können deutlich höhere Honorare durchsetzen als unerfolgreiche. 3. Ein signifikanter Anteil der Reparationszahlungen wird somit in den Taschen dieser Anwälte als leistungsgerechte Entlohnung landen. Nun muss man nur noch nach Lust und Laune für sich festlegen, was das Wörtchen „oft“ in diesem Zusammenhang bedeuten soll und „Holocaust-Industrie“ als polemische Zuspitzung verbuchen – und schon kann man zustimmen, ohne auch nur irgendeinen antisemitischen Gedanken gehabt zu haben. Der in dieser Studie gemessene „Schulabwehrantisemitismus“ ist ein reines Fantasieprodukt.

Politische Reservearmee für die AfD

An zwei Stellen allerdings ist die Studie regelrecht aufschlussreich. Gefragt werden die Ostdeutschen nämlich auch, was sie von der Demokratie halten. Rund 90 Prozent stimmen der Idee der Demokratie zu, mehr als 70 Prozent auch der Verfassungslage – aber nur rund 40 Prozent der Befragten sind mit dem tatsächlichen Funktionieren der Demokratie zufrieden. Im Westen sind es immerhin fast 60 Prozent.

Für die Autoren scheint das aber nicht in erster Linie ein Weckruf an die Politik zu sein. Die Autoren schlussfolgern, die Ossis würden mit der Demokratie „fremdeln“ und interpretieren dies „als einen weiteren Hinweis“ auf deren „Haltung zur verfassungsgemäßen Ordnung“. Vielleicht liegt der Vertrauensverlust in die aktuelle Politik und damit das Funktionieren der Demokratie aber gar nicht am zweifelhaften Bürger, sondern einfach an zweifelhafter Politik.

Freuen dürfte sich insbesondere die AfD noch über einen weiteren Befund. Fast 40 Prozent der angeblich manifest Rechtsextremen im Osten sind entweder Nichtwähler oder Wahlskeptiker. Hier sehen die Wissenschaftler für die Rechtspartei ein „großes Reservoir“ künftiger Wählerstimmen. Wie sich dies auch mit Hilfe der etablierten Parteien und Medien zugunsten der AfD mobilisieren lässt, hat der Landkreis Sonneberg erst jüngst vorgemacht.

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