Sahra Wagenknecht und die Bewegung „Aufstehen“ - Schon wieder am Boden?

Trotz der großen Anfangseuphorie kommt die Bewegung „Aufstehen“ um Sahra Wagenknecht nicht vom Fleck. Bisher ist es nicht gelungen, einen Markenkern zu entwickeln. Stattdessen wächst der Unmut in der Linken gegen Wagenknecht

„Aufstehen“-Kundgebung in Berlin: fehlender Markenkern / picture alliance
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Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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An medialer Aufmerksamkeit hat es nicht gemangelt, als Sahra Wagenknecht vor nunmehr zehn Wochen in Berlin den offiziellen Start der Sammlungsbewegung „Aufstehen“ verkündete. In Teilen des linken Spektrums in Deutschland löste dies eine regelrechte Euphoriewelle aus. Die Zahl der registrierten Unterstützer wuchs binnen kurzer Zeit auf mehr als 160.000, und Ortsgruppen schossen quer durch die Republik wie Pilze aus dem Boden. Derzeit sollen es mehr als 100 sein.

Doch das schnelle Wachstum und die teilweise recht hoch gesteckten Erwartungen in die neue Bewegung haben auch ihre Schattenseiten, und die werden allmählich deutlich sichtbar. Vor allem zeigt die soziale und altersmäßige Zusammensetzung vieler Basisgruppen: Die wichtigste Zielgruppe wurde bislang kaum erreicht, und zwar die von sozialer und soziokultureller Ausgrenzung betroffenen beziehungsweise sich bedroht fühlenden „einfachen Menschen“. Zu einer ersten zentralen Kundgebung am 9. November vor dem Brandenburger Tor in Berlin, bei dem die geballte „Aufstehen“-Prominenz aufgeboten wurde, fanden sich lediglich um die 600 Unterstützer ein.

Kalt erwischt von einer anderen Bewegung

Inhaltlich ist es der Bewegung bislang nicht gelungen, so etwas wie einen Markenkern zu entwickeln. Einzige programmatische Klammer ist bislang der Gründungsaufruf, der deutliche Züge eines Minimalkonsenses aufweist. Im Kern besteht er aus einem ur-sozialdemokratischen Forderungskatalog für mehr soziale Gerechtigkeit, verbunden mit Bekenntnissen für eine ökologische Wende und eine neue Friedenspolitik. Er enthält sowohl Kritik an Demokratiedefiziten in Deutschland als auch eine Abgrenzung „gegen rechts“. Konfliktträchtige Festlegungen, beispielsweise zur Migrationspolitik, wurden sorgsam vermieden.

Entsprechend kalt erwischt wurde die junge Bewegung von der großen #unteilbar-Kampagne, die in eine große Demonstration mit über 200.000 Teilnehmern am 13. Oktober in Berlin gipfelte. Während Wagenknecht dieser linksliberal-moralisch geprägten Wohlfühlveranstaltung eher skeptisch gegenüberstand, riefen viele Basisgruppen „Aufstehen“ zur Teilnahme auf. Derzeit droht neuer Streit. Als Wagenknecht Kritik an dem UN-Migrationspakt äußerte, dem die Bundesregierung ohne Abstimmung im Parlament beitreten will, regte sich an der „Aufstehen“-Basis deutlicher Unmut.

Die Bewegung stagniert

In der realen Welt außerhalb der traditionellen Medien und des Internets trat „Aufstehen“ bislang fast ausschließlich bei Friedensaktionen und Protesten gegen Neonazis und Rechtspopulisten in Erscheinung. In vielen Ortsgruppen wurde Friedenspolitik auch als zentrales Themenfeld der eigenen Arbeit definiert. Auch das taugt kaum als Alleinstellungsmerkmal einer Bewegung, die sich eigentlich nicht weniger als eine „neue soziale Demokratie“ auf die Fahnen geschrieben hat. 

Zwar wäre es verfrüht, bereits jetzt von einem Scheitern der Bewegung zu sprechen, wie es einige ihrer Gegner tun. Doch die Gefahr einer Stagnation ist offenkundig. Denn „Aufstehen“ verfügt derzeit über keine demokratisch legitimierten Strukturen, die Programmatik und Aktionsformen in einem transparenten Prozess weiterentwickeln könnten. Abhilfe soll ein bisher eher vage für das kommende Frühjahr angekündigter Bundeskongress schaffen. Laut Simone Lange, SPD- Oberbürgermeisterin in Flensburg und „Aufstehen“-Unterstützerin der ersten Stunde, soll es dort um den Aufbau „legitimierter Strukturen“ und eine Präzisierung der programmatischen Ausrichtung gehen.

Doch wohin soll es überhaupt gehen? Kaum näher gekommen ist man dem angestrebten Ziel, durch gesellschaftlichen Druck auf die bestehenden Parteien des vermeintlichen „linken Lagers“ einzuwirken, damit diese eine Machtperspektive für eine konsequent soziale Politik entwickeln. Sowohl die sich in einem Höhenflug befindlichen und in die politische Mitte drängenden Grünen, als auch die marode, fast nur noch mit sich selbst beschäftigte SPD können „Aufstehen“ derzeit getrost ignorieren.

Bei der Linken wächst Unmut gegen Wagenknecht

In der Partei Die Linke sieht das allerdings deutlich anders aus. Dort eskaliert der Streit zwischen den Gegnern von Sahra Wagenknecht und den Anhängern von ihr und ihrer Bewegung rasant. Mit Thomas Nord hat erstmals ein Abgeordneter mit dem Austritt  aus der Bundestagsfraktion gedroht, falls Wagenknecht weiterhin Parteibeschlüsse ignoriere  Hinter den Kulissen wird eine Abwahl Wagenknechts als Fraktionsvorsitzender vorbereitet. Zum Showdown könnte es auf der Fraktionsklausur im Januar kommen. Allerdings schrecken auch viele Wagenknecht-Gegner in der Fraktion noch vor diesem Schritt zurück, der eine womöglich irreversible Spaltung der Fraktion und der ganzen Partei einläuten könnte. Das tun sie wohl auch deswegen, weil sie fürchten, ihr Mandat zu verlieren. Denn der offene Bruch mit der mit Abstand beliebtesten Repräsentantin der Partei könnte die Linke ziemlich abrupt in die Bedeutungslosigkeit abstürzen lassen. Eine wichtige Rolle in diesem Gemengelage spielt auch Wagenknechts Co-Vorsitzender Dietmar Bartsch, der eine Spaltung der Fraktion unter allen Umständen vermeiden will, obschon auch er kein Freund ihrer Positionen und Alleingänge ist. 
 
Sahra Wagenknecht selbst gibt sich zwar gelassen und spricht von „wabernden Gerüchten“, die sie nicht kommentiere. Aber man kann davon ausgehen, dass in den Führungszirkeln von „Aufstehen“ längst an einem Plan B gearbeitet wird. Aus der überparteilichen  Bewegung könnte dann in absehbarer Zeit eine neue linke Volkspartei werden: Eine Option, die Wagenknechts Ehemann Oskar Lafontaine Insidern zufolge ohnehin von vornherein strategisch verfolgt – wenn auch nicht zu diesem frühen Zeitpunkt.

Kommt die „Wagenknecht-Partei“?

Derzeit wäre das jedenfalls ein politisches Abenteuer mit großen Risiken und ungewissem Ausgang. Viele generell parteiverdrossene Anhänger von „Aufstehen“ würden diesen Weg nicht mitgehen und haben dies auch öffentlich kundgetan. Dies gilt auch für jene relativ bekannten SPD-Mitglieder, die bislang für „Aufstehen“ eintreten, wie Simone Lange und dem Abgeordneten Marco Bülow. Ob sich eine „Wagenknecht-Partei“ unter diesen Voraussetzungen als relevante politische Kraft etablieren könnte, ist zumindest zweifelhaft – aber auch nicht auszuschließen.

Doch auch wenn der große Knall in der Linken zunächst ausbleiben sollte, steuert „Aufstehen“ auf eine große Klippe zu. Denn ein wohliges Einrichten in den Diskussions- und Aktionsmustern der alten Friedens- und Bürgerbewegungen wird wohl kaum ausreichen, um eine wirkliche Bewegung für eine „neue soziale Demokratie“ auf den Weg zu bringen.

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