Atomkraft-Affäre im Wirtschaftsministerium - Graichen wollte brisanten Vermerk mit allen Mitteln geheim halten

Hat sich Robert Habeck von seinen eigenen Spitzenbeamten täuschen lassen? Ein wichtiger Vermerk zur Atomkraft-Verlängerung verschwand in der Schublade seines Staatssekretärs – und der sorgte bis zuletzt dafür, dass er dort bleibt.

Patrick Graichen, damals noch beamteter Energiewende-Staatssekretär, mit Wirtschaftsminister Robert Habeck / dpa
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Daniel Gräber leitet das Ressort Kapital bei Cicero.

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Die Enthüllungen von Cicero über grüne Strippenzieher im Wirtschafts- und Umweltministerium, die im Jahr 2022 zahlreiche Fakten verdrehten und unterdrückten, um den Atomausstieg endgültig durchzusetzen, bringen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zunehmend in Bedrängnis. Denn entweder wusste er nicht, was dieses Netzwerk um den mittlerweile entlassenen Energie-Staatssekretär Patrick Graichen treibt. Dann stünde Habecks Führungskompetenz infrage. Oder er ließ es absichtlich gewähren und lässt nun zu seinem eigenen Schutz behaupten, Graichen habe ihn über wichtige Einschätzungen der Stromexperten aus dem eigenen Ministerium nicht informiert. Beides wäre ein gewaltiges Problem. Doch der Reihe nach.

Eines der wichtigsten Dokumente aus den lange geheim gehaltenen Atomkraftakten des Wirtschaftsministeriums, die Cicero in einem langwierigen Gerichtsverfahren freigeklagt und diesen Donnerstag in der Titelgeschichte der neuen Ausgabe veröffentlicht hat, ist ein Vermerk aus der Strom-Abteilung des Ministeriums. In diesem Vermerk zählen die Fachleute des damaligen Referats IIIB4 (Versorgungssicherheit, Stromgroßhändel) Anfang März 2022 die Vorteile einer Verschiebung des Atomausstiegs auf, um eine drohende Gasknappheit im Winter zu überstehen. Auch dass dadurch der Strom billiger würde, erklärten sie einleuchtend und auch für Laien nachvollziehbar.

Wann hat Habeck den Fachvermerk gelesen?

Offiziell ist in dem Vermerk zwar nur von einer kurzen Laufzeitverlängerung der letzten in Betrieb befindlichen drei Kernkraftwerke um wenige Monate die Rede – so, wie sie ein halbes Jahr später vom Koalitionspartner FDP mit viel politischem Druck und mithilfe eines Machtworts des Kanzlers durchgesetzt wurde. Aber klar ist, dass die von Habecks Experten aufgeführten Argumente auch für eine richtige Laufzeitverlängerung um mehrere Jahre sprechen. Und dieses Szenario wurde innerhalb der beiden beteiligten Ministerien – das geht aus den Akten an mehreren Stellen hervor – zum damaligen Zeitpunkt auch diskutiert.

Der Wirtschaftsminister und Vizekanzler behauptete öffentlich jedoch immer wieder, Deutschland habe kein Strom-, sondern nur ein Gasproblem, was von Anfang an Unsinn war und in dem Vermerk seines Ministeriums schwarz auf weiß nachzulesen ist. Die Frage ist nun: (Wann) hat er es gelesen? Denn sein Sprecher behauptete gegenüber Cicero am 9. April 2024, Habeck habe den Vermerk vom 3. März 2022 nicht gekannt: Das vierseitige Papier „lag in der Leitungsebene nur Staatssekretär Patrick Graichen vor“.

Patrick Graichen stoppte die Ministervorlage

Ein weiteres internes Dokument, das wir bisher noch nicht veröffentlicht hatten, deutet darauf hin, dass dies tatsächlich so gewesen sein könnte. Dieses Dokument ist Teil des sogenannten Verwaltungsvorgangs zu unserem Antrag auf Akteneinsicht, den wir im Zuge des anschließenden Gerichtsverfahrens einsehen konnten. Die Fachebene (abgekürzt „FE“) des Ministeriums machte darin einen Vorschlag, welche Unterlagen an uns herausgegeben werden sollten.

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Diese Vorlage stammt vom 27. Oktober 2022. Der AKW-Streckbetrieb bis Mitte April 2023 war kurz zuvor beschlossen worden. Sie sollte dem Minister persönlich zur Entscheidung vorgelegt werden – auf dem Dienstweg („a.d.D.“). Doch auf diesem Weg kam sie nicht bis zum Ziel. Staatssekretär Graichen stoppte die Ministervorlage und schickte sie an die Fachebene zurück. Dazu gab er die Anweisung, sechs einzeln aufgeführte Dokumente nicht an Cicero herauszugeben, sondern weiterhin geheim zu halten. Eines davon war der hauseigene „Vermerk vom 03.03.2022 zur vorläufigen energiewirtschaftlichen Bewertung“, der sich bereits kurz nach Beginn des Ukrainekriegs für die Atomkraftverlängerung ausspricht.

Die Verantwortung trägt nur einer: Robert Habeck

Graichens Weisung wurde gefolgt. Cicero musste erst eine Klage einreichen und lange warten, bis das Verwaltungsgericht Berlin die von Patrick Graichen intern durchgesetzte Geheimhaltung dieses Vermerks und weiterer brisanter Unterlagen für rechtswidrig befand und wir die vollständigen Akten Anfang April 2024 erhielten.

Patrick Graichen, den Habeck im Mai 2023 im Zuge der Trauzeugenaffäre entlassen musste, war dann schon nicht mehr im Amt. Die anderen Schlüsselpersonen seines grünen Anti-Atom-Netzwerks sind es nach wie vor. Und derjenige, der die Verantwortung dafür trägt, dass dieses Netzwerk das Wirtschaftsministerium erobern konnte, sowieso: Robert Habeck.

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