Armin Laschet duckt sich weg - Mit Merkels Taktik ins Abseits manövriert

Angela Merkel bestritt ihre Wahlkämpfe stets mit möglichst wenig Inhalten. Das funktionierte schon beim letzten Mal nicht mehr richtig gut. Jetzt scheint Armin Laschet es genauso zu machen. So entsteht der fatale Eindruck, er wolle sich durch die Hintertür ins Kanzleramt schleichen.

Armin Laschet während eines Pressestatements zur Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen / dpa
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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War da nicht was? Gab es da nicht diesen furchtbaren Phantomschmerz nach einer bald 16-jährigen Kanzlerschaft Angela Merkels, der weite Teile der CDU-Funktionärsebene genauso erfasst hatte wie einfache Parteimitglieder und Unions-Wähler? Die in Hinterzimmern, in Hintergrundkreisen, im privaten Gespräch und bei mancher sich bietenden Gelegenheit auch vor aller Öffentlichkeit vielgesungenen Klagelieder folgten stets der Melodie: Unter „Muttis“ strenger Obhut ist kein offener politischer Diskurs mehr möglich, alles wird nur noch abgenickt, kritiklos durchgewinkt und sollte möglichst nicht hinterfragt werden. Ob Energiewende, Homo-Ehe, Bundeswehr, Migration – die großen gesellschaftlichen Themen der vergangenen anderthalb Jahrzehnte seien gewissermaßen mit einem Redeverbot belegt gewesen. Und zwar, weil das vom Kanzleramt (und bis Dezember 2018 auch vom Konrad-Adenauer-Haus) so gewollt war.

Die dahinterstehende Taktik ist genauso oft kritisiert wie dann eben doch ein ums andere Mal wieder umgesetzt worden, besonders in Wahlkämpfen: Wer sich thematisch aus dem Fenster lehnt, riskiert Gegenwind. Und Merkels Strategie war ja lange Zeit auch erfolgreich – wegducken, keine Mine verziehen, die Hände zur Raute formen. Und darauf zu warten, dass die politische Konkurrenz sich zerlegt. „Sie kennen mich“ war das Leitmotiv einer Regierungsführung, bei der politische Entscheidungen von teilweise enormer Tragweite im kleinen Kreis getroffen und der Bevölkerung als alternativlos präsentiert wurden. Diskussionen, Debatten oder sogar Streit galten in diesem Zusammenhang als unbotmäßige Aufwallungen gegen die im Kanzleramt versammelte Weisheit.

Weitgehende Beliebigkeit

So weit, so gut. Oder besser gesagt: so schlecht. Denn die Entpolitisierung der Union, ihre weitgehende Beliebigkeit verbunden mit einer Indolenz gegenüber sämtlichen Forderungen des sozialdemokratischen Koalitionspartners hat sie am Ende zur Volkspartei im Schrumpfformat werden lassen. Nach einem zwischenzeitlichen Pandemie-Hoch pendeln sich CDU gemeinsam mit CSU inzwischen wieder stabil unterhalb der 30-Prozent-Marke ein: Die jüngsten Umfragen weisen Werte zwischen 24 und 27,5 Prozent aus. Während gleichzeitig die Grünen trotz desaströser Performance ihrer Kanzlerkandidatin Baerbock langsam wieder Boden unter den Füßen gewinnen und, etwa bei Kantar/Emnid, nur noch zwei Prozentpunkte von der Union entfernt liegen.

Es läuft also alles andere als rund für die Christdemokraten unter Armin Laschet. Der hat es zwar nicht leicht mit seiner bayerischen Nemesis im Nacken und einer schlecht bewältigten Flutkatastrophe vor der eigenen Haustür. Aber es stimmt eben auch, dass der nordrhein-westfälische Ministerpräsident seit seiner Wahl zum CDU-Vorsitzenden im Januar kaum an Format gewinnen konnte. Seine Kür zum Kanzlerkandidaten geriet zur Hängepartie mit hohem Unterhaltungswert für die Konkurrenz, politische Impulse sind nicht ersichtlich. Und überhaupt scheinen sich Laschet und seine Entourage darauf verständigt zu haben, möglichst geräuschlos ins Kanzleramt zu gelangen. Im „Schlafwagen“, wie Söder nicht ganz zu Unrecht frotzelt.

Politische Stanzen

Das Problem ist halt nur, dass an Armin Laschet andere Anforderungen gestellt werden als an Angela Merkel (zumindest von großen Teilen seiner Partei und der potentiellen Wählerschaft). Still vor sich hin zu präsidieren, auf weitere Baerbock-Fehler zu warten und ansonsten ab und zu ein paar politische Stanzen abzusondern, das führt ersichtlich zu Frustration im eigenen Lager (und zu semilustigen „#laschetdenktnach“-Bildergalerien bei seinen Gegnern). 

Es ist bezeichnend, wie wenig der Kanzlerkandidat der Union den jüngsten Vorstößen der Grünen wegen eines geplanten Klimaministeriums entgegenzusetzen hatte. „Klimaschutz ist Kanzlerjob“, gab er soeben gegenüber der Rheinischen Post kund. Und weiter: „Alle Kabinettsmitglieder müssen daran mitwirken und eine künftige Bundesregierung braucht nicht Veto, sondern Turbo.“ Das klingt in seiner Beliebigkeit fast wie Politiker-Verhohnepiepelung aus einem Loriot-Sketch.

Dafür, dass Laschet ohnehin schon alle Mühe hat, sein Image als „Merkel 2.0“ loszuwerden, setzt er mit erstaunlicher Konsequenz auf deren alten Wahlkampfschlager namens „asymmetrische Demobilisierung“: Wer nichts sagt, erntet auch keinen Widerspruch. Aber nicht nur haben viele CDU-Mitglieder und –Wähler die Nase gestrichen voll von dieser Art Duckmäusertum und erwarten endlich mal eine klare Positionierung ihres Vorsitzenden nicht zuletzt gegenüber dem grassierenden Klima-Absolutismus in diesem Land. Auch verfügt Armin Laschet über keinen Amtsbonus, der es ihm erlauben würde, wie Merkel auf die „Sie kennen mich“-Karte zu setzen. Zumindest nicht über Nordrhein-Westfalen hinaus.

Rheinländische Bonhomie

Es ist sogar das exakte Gegenteil der Fall: Die meisten Deutschen kennen Laschet recht ungenau und haben allenfalls aus Düsseldorf vernommen, dass er dort pfleglich mit dem liberalen Koalitionspartner umgeht und ansonsten seinen Innenminister Reul als vermeintlichen Law-and-Order-Mann walten lässt. Das dürfte aus Sicht vieler Wähler ein allzu diffuses Profil sein, um der Favoritenrolle gerecht zu werden. Zumal er mit seiner rheinländischen Bonhomie auch eine gewisse Unseriosität ausstrahlt, die durch beharrliches Schweigen und Lavieren nicht gerade entkräftet wird. Tatsächlich entsteht zunehmend der Eindruck, dass sich da jemand durch die Hintertür ins Kanzleramt schleichen möchte. Das könnte sich noch als fatal erweisen.

Natürlich leben wir nicht mehr in Zeiten, da man wie einst Gerhard Schröder noch kraftmeierisch am Zaun des Kanzleramts rütteln oder mit ein paar saloppen Sprüchen die Herzen der sogenannten kleinen Leute erobern konnte. Mit solcherlei Verhalten würde man heute durch dem Fleischwolf von Social Media gedreht und den öffentlich-rechtlichen Tugendwächtern zum Fraß vorgeworfen. 

Aber ganz ohne Politik lassen sich politische Spitzenämter dann wohl doch nicht erobern. Dass Laschet sich im Direktwahl-Vergleich mit einer Zustimmung von 15 Prozent inzwischen sogar drei Prozentpunkte hinter einer offensichtlich unqualifizierten und überforderten Annalena Baerbock wiederfindet, spricht Bände.

Die Bundestagswahl ist am 26. September. Tatsächlich aber werden sehr viele Bürger schon Ende August per Briefwahl abstimmen. Viel Zeit bleibt Laschet also wahrlich nicht mehr, um aus den Puschen zu kommen. Wenn er das überhaupt vorhat.

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