Antisemitismus an deutschen Hochschulen - Rettet unsere Universitäten!

Ob brutale Angriffe gegen Juden, Verherrlichungen des Hamas-Massakers oder Plakate, die zu einer neuen Intifada aufrufen: Antisemitismus ist seit dem 7. Oktober an deutschen Universitäten allgegenwärtig. Zeit für einen bundesweiten Lagebericht.

Pro-palästinensische Kundgebung vor der Freien Universität Berlin / picture alliance
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Autoreninfo

Noam Petri ist in Tel Aviv geboren und studiert Medizin an der Charité in Berlin.

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Ein Gespenst geht um in deutschen Universitäten – es ist das Gespenst des Antisemitismus! Spätestens nach dem brutalen Angriff auf den jüdischen Studenten der Freien Universität Berlin, Lahav Shapira, ist das grassierende Problem des Antisemitismus an Deutschlands Hochschulen an die Öffentlichkeit gedrungen. Die Sicherheit jüdischer Studenten ist zunehmend mehr bedroht.

Über Monate hinweg erhielt ich aufgrund meiner Funktion als Vizepräsident der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD) fast wöchentlich Nachrichten über die desolate Lage an deutschen Universitäten. Es sind Semesterferien. Zeit für einen bundesweiten (unvollständigen) Lagebericht:

Als der RCDS der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf vorschlug, eine Israel-Flagge zur Solidarität auf dem Campus zu hissen, entgegnete eine Referentin des Antidiskriminierungsreferats des AStAs, dass man keine „kriegsverbrecherischen Staaten“ unterstützen werde. Des Weiteren wurde es jüdischen Studenten von der Sitzungsleitung des Studentenparlaments untersagt, Bilder israelischer Geiseln auf ihren Tisch zu legen, da es andere Studenten „triggern“ könnte. Auf der anderen Seite verteilte die vom Verfassungsschutz beobachtete islamistische Gruppe Realität Islam einen Propagandaflyer auf dem Campus,  auf dem Israel in Anführungszeichen geschrieben wurde.

Vorfälle an sämtlichen Universitäten

An einem Infostand von „Studis gegen rechte Hetze“ am Campus der Goethe-Universität Frankfurt am Main behauptete ein Redner, dass die PFLP, eine palästinensische Terrororganisation, legitimer „Widerstand“ sei. Etwa einen Monat später wurde ein Gebäude der Universität mit „Yallah Intifada“ besprüht. In der LMU München besetzte das „Unikomitee München für Palästina“ einen Hörsaal und warf Israel einen „Genozid“ vor.

Vor der Universität Köln rief ein pro-palästinensischer Demonstrant „Am Ende lebt Palästina und am Ende wird Israel verschwinden“ durch sein Megaphon. In Hamburg hetzt „students4palestinehh“ öffentlich gegen die Präsidentin des „Verbands jüdischer Studierender Nord“, da sie den Antisemitismus unter pro-palästinensischen Studenten kritisierte. An der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz veranstaltete die Hochschulgruppe Linke Liste/SDS zusammen mit weiteren sozialistischen Organisationen eine Veranstaltung, in der das Hamas-Massaker vom 7. Oktober als „Befreiungsaktion“ bezeichnet wurde.

An der Universität Kassel wurde eine studentische Vollversammlung zum Thema Meinungsfreiheit genutzt, um über den Israel-Palästina-Konflikt zu sprechen. Klare pro-palästinensische Äußerungen waren willkommen, andere Redner wurden vom offiziellen Programm ausgeschlossen. Erst nach Protest durfte sich der RCDS äußern. Es folgten Lärm und Beleidigungen. Die studentische Vollversammlung schaffte es nicht, die Hamas als Terrororganisation zu verurteilen. Nun werden auch interne Diskussionsveranstaltungen des RCDS von extremistischen Studenten gestört. RCDS-Mitglieder wurden sogar schon von extremistischen Studenten bis nach Hause verfolgt.

Hamas-Massaker als nationaler Befreiungskampf

Als ich im Studentenparlament der Humboldt-Universität Berlin sprach und das Parlament fragte, ob die Hamas für alle eine Terrororganisation sei, korrigierte ein Student lediglich meine arabische Aussprache des Wortes Hamas. Eine Antwort erhielt ich nicht. Nachdem ich mich an die Trotzkisten wandte und bemerkte, dass Leo Trotzki als Jude von der Hamas ermordet werden würde, bebte der Saal. Nach meiner Rede musste die Sitzung aus Sicherheitsgründen für zehn Minuten unterbrochen werden. Wenige Monate später brach die Hochschulleitung eine Podiumsdiskussion mit einer Richterin des Obersten Gerichtshofs Israels nach einer starken Störaktion antiisraelischer Studenten ab.

 

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Die TU Berlin bewarb eine Demonstration auf ihrer Website namens „Faschismus und Kapitalismus Hand in Hand – Frauen leisten Widerstand“. Zu den Veranstaltern gehörten unter anderem „Zora“ und „Young Struggle“. Bei Zora fand eine Polizeirazzia aufgrund von Verherrlichung der palästinensischen Terrororganisation PFLP statt. Young Struggle wird vom Verfassungsschutz als extremistisch eingestuft. Laut ihnen sei das Hamas-Massaker ein nationaler Befreiungskampf, der seine Berechtigung habe. Beide Organisationen beteiligten sich an der Hörsaalbesetzung an der Freien Universität Berlin.

UDK Berlin erlangte traurige Bekanntheit

Die Lage an der UDK Berlin wurde durch eine verstörende Protestaktion bekannt, in der 80 bis 100 Studenten die Innenflächen ihrer Hände blutrot bemalten und den UDK-Präsidenten durch aggressive Sprechchöre unter anderem zur Verurteilung des angeblichen israelischen Kolonialismus nötigen wollten. Die roten Hände sollen ein Zeichen dafür gewesen sein, dass Blut an den Händen deutscher Politiker kleben würde. Manche sprachen von einem indigenen Brauch. 

Claudius Seidl brachte es wiederum in der FAZ auf den Punkt: „Jeder jüdische Student, eigentlich jeder, der sich mit der jüngeren Geschichte Israels beschäftigt hat, wird die roten Hände aber anders deuten: Im Oktober 2000 wurden, in der Nähe von Ramallah, zwei israelische Reservisten wegen Falschabbiegens verhaftet und festgesetzt in einem Polizeirevier. Männer, die mit Messern und Stangen bewaffnet waren, stürmten das Revier und lynchten die beiden Israelis. Und dann trat einer der Mörder ans Fenster und zeigte der Menge seine blutverschmierten Hände.“

Als die Jüdische Studierendenunion Deutschland gemeinsam mit Ahmad Mansour eine Veranstaltung in der UDK plante, wollte die UDK diese aufgrund von Sicherheitsbedenken absagen. Nach Verhandlungen einigte man sich auf eine interne Veranstaltung. Die Veranstaltung durfte nicht mit der Jüdischen Studierendenunion – der bundesweiten Vertretung jüdischer Studenten – abgehalten werden, da sonst „andere politische Akteure“ auf dem Campus zugelassen werden müssten, so die Hochschulleitung der UDK Berlin. Beim Betreten der Universität bemerkten einige Teilnehmer der Veranstaltung, dass zur selben Zeit eine offene Vorlesung der BDS-nahen Forsensic Architecture stattfand.

Ich könnte so weitermachen. Weiter aus unzähligen studentischen Whatsapp-Chats zitieren, auf Professoren hinweisen und einzelne Antidiskriminierungsbeauftragte an Universitäten entlarven.

Scharfes Schwert im Kampf gegen Judenhass 

Da in Berlin – der Hotspot des universitären Antisemitismus – die Möglichkeit der Exmatrikulation von extremistischen und gewalttätigen Studenten vom letzten rot-rot-grünen Senat abgeschafft worden ist, fordern wir als Jüdische Studierendenunion Deutschland die Wiedereinführung der Möglichkeit einer Exmatrikulation als Ultima Ratio.

Gegen die Wiedereinführung dieses dann angepassten Gesetzes spricht sich unter anderem der AStA der Humboldt-Universität aus. Laut ihnen werde der notwendige Schutz jüdischer Studenten „als Vorwand für das Durchsetzen repressiver und autoritärer Politiken“ genutzt. Das Niederbrüllen eines Podiumsteilnehmers bis zur Unterbrechung der Veranstaltung sei eine „unbequeme“ Protestform, die es auszuhalten gilt. Der AStA der Freien Universität Berlin unterstützt dieses Statement. Eine Jugendsünde? Wohl kaum. Unterstützung erhalten diese Studenten sogar von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Für sie werde Fall Lahav Shapira „offenbar als Vorwand genutzt, politische Aktivitäten von Studierenden zu behindern“.

Zwischenfazit: An unseren Universitäten läuft etwas gewaltig falsch. Ganz besonders, wenn das Niederbrüllen von Podiumsteilnehmern als legitime Protestform, die Exmatrikulation von gewalttätigen Studenten als „autoritäre Politik“ und Handlungen extremistischer Studenten als „politische Aktivitäten“ verstanden wird.

Mir kommt es so vor, als wüssten die meisten Kritiker nicht, dass die Möglichkeit der Exmatrikulation in allen anderen 15 Bundesländern besteht und in Berlin bis zum Jahr 2021 bestanden hat. Haben wir es also mit einer „autoritären“ Gesetzgebung in 15 Bundesländern zu tun? Werden „politische Aktivitäten“ in 15 Bundesländern eingeschränkt? Wohl kaum. Doch nach heutiger Berliner Gesetzgebung könnte ein Student, der sich aufgrund sexueller Gewalt an einer Kommilitonin strafbar gemacht hat, nicht exmatrikuliert werden. Ist es nicht an der Zeit, diesen Missstand aufzuheben?

Verliert der Westen seine Jugend?

Weg von der Diskussion, hin zum großen Bild. Trotz der vielen Beispiele steht Deutschland mit seinen Universitäten im Vergleich zu anderen westlichen Staaten noch gut da. Beunruhigenderweise bewegt sich auch Deutschland zunehmend auf amerikanische Verhältnisse zu, in denen beispielsweise die Harvard-Präsidentin auf die Frage einer Kongressabgeordneten, ob der Aufruf zum Genozid an Juden für sie unter „harassment“ oder „mobbing“ falle, mit „It depends on the context“ antwortete.

Haben wir es also mit einem globalen Bildungsproblem zu tun? Eher mit einem Fall von globaler kognitiver Dissonanz. Ein Irrglaube, dass der „böse Westen“, in dem man selbst mit allen demokratischen Rechten frei leben kann, gemeinsam mit Terroristen und Anti-Demokraten bekämpft werden müsse, um eine „gerechte Welt” zu schaffen. Kurt Tucholsky hatte recht: „Die menschliche Dummheit ist international.“ August Bebel lag hingegen falsch, als er sagte: „Antisemitismus ist der Sozialismus der dummen Kerls.“ Sozialismus, Islamismus und Antisemitismus gehen im 21. Jahrhundert Hand in Hand – und gelegentlich gemeinsam in die Uni-Mensa.

Es wäre ein Fehler zu glauben, dass es sich beim Kampf gegen diese Gruppierungen und ihr Gedankengut um ein jüdisches Partikularinteresse handeln würde. Das Gedankengut dieser Gruppierungen richtet sich gegen den Westen als Ganzes. Der Westen läuft Gefahr, große Teile der jungen Generation an antiwestliche Ideologien zu verlieren. Die genannten Beispiele sind nur Symptome einer Radikalisierung, die besonders häufig in den Sozialen Medien stattfindet und an unseren Universitäten nicht bekämpft, sondern teilweise bekräftigt wird. Das Problem darf nicht mehr ignoriert, relativiert oder geleugnet werden. Es ist da, und es wird schlimmer. Eines steht fest: Verliert der Westen seine Jugend, so verliert er seine Zukunft. Eine wehrhafte Demokratie muss sich verteidigen. Auch an ihren Universitäten. 

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