Sahra Wagenknecht bei „Anne Will“ - Völker, hört die Wirtschaft!

Beim Corona-Talk von „Anne Will“ legte ausgerechnet die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht einen FDP-haften Auftritt hin. Fehlereingeständnisse kamen eher von Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus als von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Dieser ließ sich nur auf ein „Einzelgespräch“ ein.

Sahra Wagenknecht warnt vor massenhaften Corona-Betriebspleiten / Screenshot
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Autoreninfo

Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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Nicht wenige Zuschauer dürften sich bei Anne Wills Corona-Sendung verwundert die Augen beziehungsweise die Ohren gerieben haben. Saß dort doch die wohl noch immer prominenteste Linkspolitikerin Sahra Wagenknecht, wenngleich ohne Amt, aber gewillt, wieder in den Bundestag gewählt zu werden. Aber so wie sie mitunter sprach, konnte man sich nicht mehr ganz sicher sein, für welche Partei sie wieder einziehen möchte. Angesichts nunmehr eines ganzen Jahres voller Lockdowns warnte Wagenknecht vehement besonders zum Beginn der Talkrunde vor einem Niedergang der Wirtschaft. Sie sprach davon, dass ganze Branchen und Berufsgruppen kaputt gemacht würden. Millionen von Menschen würden in den Ruin getrieben.

Sie sagte später noch viel mehr. Etwa, wie gut Frankreich und Schweden durch die Krise kämen. Oder, dass es keine bewiesenen Infektionen bei der Gastronomie oder Kulturbetrieben gäbe. Keine Datengrundlage, aber ganz viel Lockdown, so ihr Vorwurf. Rundum klang ihr Auftritt durchaus nach einem Schuss Wirtschaftsrat der CDU, einer ordentlichen Portion FDP und vielleicht einer Prise AfD. Die Reaktionen der eigenen Parteikollegen nach diesem Auftritt dürften jedenfalls erwartbar missgünstig ausfallen. Zugutehalten könnte man ihr aber aus linker Sicht zumindest, dass sie mit kräftiger Kritik am Amazon-Konzern nicht sparte. Dass ausgerechnet dieser Krisengewinner nicht von Lockdowns betroffen sei, obwohl Amazons Logistik-Zentren Corona-Hotspots seien, brachte sie als Argument gegen Ladenschließungen beim Einzelhandel in Stellung.

Einfachheit der Regeln und Einigkeit beim Beschließen

Der Titel des Talks mit Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU), Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD), Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), dem Journalisten Georg Mascolo und mit der Gesundheitskommunikationsexpertin Cornelia Betsch war: „Schwindendes Vertrauen ins Corona-Krisenmanagement – was muss jetzt passieren?“ Die Erfurter Kommunikations-Professorin klärte zunächst anhand zahlreicher Umfrage-Ergebnisse darüber auf, dass inzwischen nur noch 40 Prozent der Befragten dem Handeln der Bundesregierung vertrauen würden.

Und dies, so Betsch, liege nicht an der relativ konstanten Gruppe der generellen Maßnahmen-Gegner. So verlören insbesondere Menschen, die eigentlich für die Maßnahmen sind, zunehmend das Vertrauen. Zur Pandemie-Müdigkeit käme eine wachsende psychische Belastung. Betsch plädierte deshalb eindringlich auf mehr Einfachheit bei den Regeln und mehr Einigkeit beim Beschließen von Maßnahmen. Dann folgte noch ein desaströses Zeugnis für die Regierung: Jede abgefragte Strategie habe besser abgeschnitten als die aktuelle Strategie, gab Betsch bekannt.

Die zwei Eingeständnisse von Ralph Brinkhaus

Soweit die Analyse, es sollte folgen, „was muss jetzt passieren?“. Und da gab es durchaus interessante Einsichten. So gestand der Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus gleich zweimal ein, dass Fehler gemacht wurden. Die Situation in den Alten- und Pflegeheimen bedrücke ihn „persönlich am tiefsten“, sagte er. Inzwischen sei etwas passiert, aber es sei zu spät passiert. „Das müssen wir uns auch anrechnen lassen“, so Brinkhaus. Das klang ehrlich, auch wenn offen blieb, was aus dem „anrechnen lassen“ für Konsequenzen zu ziehen seien.

Anne Will sprach den CDU-Politiker dann umgehend auch auf den Satz der Bundeskanzlerin an, dass beim Organisieren des Impfstoffs im Großen und Ganzen nichts schiefgelaufen sei. Brinkhaus wollte diese Aussage zwar in den richtigen Zusammenhang rücken, unterließ es aber dann trotzdem nicht, zu sagen, dass das anders hätte laufen müssen. Nach solcher Selbstkritik sucht man bei Ursula von der Leyen, Angela Merkel oder Jens Spahn bislang eher vergeblich. Brinkhaus mahnte insbesondere an, dass die Kommunikation sich verbessern müsste, denn diese sei die Grundlage für das Vertrauen. Man solle jetzt lieber ehrlich sein, dass die kommenden Wochen nochmal hart würden. Und, dass man erst im April oder Mai wieder wirklich werde einsteigen können. Vielleicht war das ein vorsorglicher Wink an einige Ministerpräsidenten, die am Sonntag bereits mit neuen Öffnungskonzepten in den Medien thematisiert worden waren.

Das „Einzelgespräch“

Der Gesundheitsminister hatte sich in der Runde übrigens eine Art Sonderrolle organisiert. Jens Spahn, so stellte es Anne Will gleich zu Beginn der Sendung klar, stehe hier nur für ein „Einzelgespräch“ zur Verfügung. Immerhin, er war da per Bildschirmübertragung, bei Gegenfragen wäre er womöglich gar nicht anwesend gewesen. Umso seltsamer war es dann jedoch, dass er Sahra Wagenknecht direkt ansprach und ihre Äußerungen zu den Infektionsgefahren bei der Gastronomie korrigierte, ohne dass die Linken-Politikerin sich in das „Einzelgespräch“ einbringen durfte. Doch Spahn hatte einen Punkt, indem er verdeutlichte, dass Hygienekonzepte noch so gut sein könnten, dass aber bei den hohen Zahlen jeder zusätzliche Kontakt das Risiko erhöhen kann.

Gerne hätte man aber stattdessen auch von ihm und den anderen in der Runde erfahren, was sie zu Wagenknechts Vorschlägen gesagt hätten, Einkaufsuhrzeiten für ältere Menschen einzuführen, Taxifahrten als ÖPNV-Ersatz zu finanzieren oder kostenlose Schnelltests, insbesondere für ärmere Menschen, zu organisieren. Immerhin beim Punkt Schnelltests stimmte Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig der Linken-Politikerin zu. Die müsse es geben. Ansonsten mahnte sie zu einer differenzierteren Diskussion. Anders als Wagenknecht es behaupte, laufe in Deutschland nicht alles schlechter als in anderen Ländern, ganz besonders nicht in ihrem Bundesland, versteht sich.

Schleichende Low-Covid-Strategie

Auch Jens Spahn wollte einen Erfolg nicht ungenannt lassen: Nie habe es in Deutschland eine Überbelastung des Gesundheitssystems gegeben. Den „Stresstest“ habe man bislang bestanden. Interessant war, dass Spahn und Schwesig plötzlich nicht mehr nur von der magischen Zahl 50 bei den Inzidenzen sprachen. Natürlich wolle man in Richtung 10 oder 20, sagte der Gesundheitsminister. Das klang deutlicher als bisher nach einem Wechsel zur No- oder Low-Covid-Strategie.

Das Impfen verändere etwas zum Positiven, sagte Spahn. Andererseits werde es weiterhin notwendig sein, die Strategien anzupassen. Denn jetzt kämen die Mutationen hinzu. Es bleibe das Hauptziel, „so viel Gesundheit und Leben zu schützen wie möglich ist“, so Spahn. Wir alle seien diese Pandemie Leid. Zugleich aber wüssten wir, dass wir vernünftig bleiben müssten. Zwischen dieser Hin- und Hergerissenheit bewegten sich eigentlich alle.

Irgendeiner nörgelt immer

Anne Will fragte Jens Spahn dann noch: „Was müssen wir Ihnen verzeihen?“ Spahns Antwort war lang, und sie mogelte sich um ein konkretes Eingeständnis herum: „Im Grunde wird es gar keine Entscheidung von mir geben, von uns geben, in politischer Verantwortung, die nicht irgendjemand auch als Fehler sehen würde.“ Das klang ein wenig nach: Man kann es nie allen recht machen. Oder: Irgendeiner nörgelt immer. In dieser Pandemie entscheide man „unter großer Unsicherheit, am Anfang auch mit viel Unwissen, mit einem ständig sich verändernden Virus“, so Spahn.

Diese sehr weitreichenden Dinge hätten Folgen für Millionen von Menschen, wie noch nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik. Manches, sagte er, werde später wohl „anders zu betrachten“ sein. Aber es helfe ja alles nichts. Man entscheide nach bestem Wissen und Gewissen. Warum auch nach einem Jahr Pandemie die Finanzierung für FFP2-Masken für ärmere Menschen noch immer nicht existiert, brachte Spahn nicht zur Sprache.

Warum erst jetzt?

Der Journalist Georg Mascolo versuchte zwar immer wieder den Fokus auf solch vorausschauendes Fahren zu lenken, entgegen dem sogenannten Fahren auf Sicht. Ob er gehört wurde, muss zumindest bezweifelt werden. Warum etwa, obwohl die Diskussion um künftige Impfstoffproduktionen bereits im April begonnen habe, der deutsche Staat keine Fabriken gebaut oder Produktionskooperationen befördert habe, blieb unbeantwortet. Dem Gesundheitsminister reichte es zu sagen, dass die Produktionen jetzt hochgefahren und Kooperationen jetzt geschlossen oder noch gesucht würden.

Hier wurde auch Manuela Schwesig wieder hellhörig. Man dürfte jetzt nichts schönreden oder unter den Teppich kehren. Die Absprache sei klar gewesen, dass der Bund den Impfstoff beschaffe und die Länder die Verteilung organisierten. Nun werde man weder im Februar noch im März genug Impfstoff haben. Dabei wäre angesichts der schwindenden Zustimmung gerade der Impfstoff der jetzt nötige Motivationsschub. „Fehler bei der Beschaffung sind keine Kleinigkeit“, sagte Schwesig. Sie bitte um Verständnis, dass man da nicht drüber hinwegsehen kann. Was das konkret heißt, das wollte sie offenbar nicht formulieren.

Am Ende der Sendung konnte man sich einer Einsicht zumindest sicher sein: Das „schwindende Vertrauen“ – es kommt nicht von ungefähr.

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