
- „Ändern wir das Ziel auf: Wir wollen wieder ins Fußballstadion“
„No-Covid“ ist die Strategie einer Gruppe interdisziplinärer Wissenschaftler. Sie wollen die Null-Inzidenz. Im Interview erklären vier ihrer Vertreter, warum dieses Ziel nicht utopisch ist und wie wir es ohne schärfere Lockdowns erreichen können.
Dr. Markus Beier ist Hausarzt in Erlangen und Vorsitzender des Bayerischen Hausärzteverband (BHÄV).
Prof. Dr. Elvira Rosert ist Politikwissenschaftlerin. Sie ist Juniorprofessorin für Internationale Beziehungen an der Universität Hamburg und am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH).
Prof. Dr. Andreas Peichl ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der LMU-München. Er leitet am ifo-Institut das Zentrum für Makroökonomik.
Ass. jur. Denise Feldner ist Wirtschaftsjuristin mit dem Fokus auf Technologierecht und bringt in einer Open-Innovation Platform Wissenschaft und Gesellschaft mit der Wirtschaft zusammen.
Vor ein paar Tagen haben wir mit dem Epidemiologen Markus Scholz von der Universität Leipzig über Ihr Ziel der Null-Inzidenz gesprochen. Er hat das Ziel als utopisch bezeichnet. Versuchen Sie, ihn vom Gegenteil zu überzeugen.
Beier: Das Wichtige ist, dass die Kommunikation und Motivation klare Ziele haben muss. Wenn Sie mit dem Rauchen aufhören wollen: Ist Ihr Ziel erreicht, wenn Sie noch 100 oder 50 Zigaretten pro Woche rauchen oder 0? Die Motivation der Bevölkerung, sich an die Maßnahmen zu halten, krankt an den sich ständig ändernden Zielen.

Rosert: Ich finde es erstaunlich, dass das Ziel als utopisch betrachtet wird. Inzwischen hat sich empirisch gezeigt, dass es erreichbar ist. Dass manche es als utopisch betrachten, liegt daran, dass Deutschland ein Transitland innerhalb der EU ist. Deshalb streben wir eine einheitliche europäische Strategie an.
Peichl: Es ist klar, dass das Virus nicht auf einmal verschwinden wird. Aber momentan ist die Situation, dass die Regierungen Maßnahmen beschließen und jeder schaut, wie er drumherum kommt. Die aktuellen Regeln sind ähnlich wie im März. Die Zahlen sind auch deshalb höher, weil die Leute sich jetzt weniger dran halten. Besser wäre es, Positivanreize zu setzen, wenn sich alle an die Regeln halten. Deshalb die No-Covid-Strategie.
Eine Null-Inzidenz will doch jeder. Handelt die Regierung nicht jetzt schon so, als wäre ihr die Null-Inzidenz am liebsten?
Peichl: Das sehe ich nicht. Aktuell heißt es nicht, dass wir eine Null-Inzidenz, sondern eine Inzidenz von 50 anstreben. Aber warum 50? Im Sommer war das noch die Schreckenszahl, jetzt ist es auf einmal die neue Wunderzahl.

Feldner: Das aktuelle Ziel des Gesetzgebers ist die 50. Im Infektionsschutzgesetz steht, dass erst ab einer 50er-Inzidenz umfassende Schutzmaßnahmen zu ergreifen sind. Dies ist nur auf die Handlungsfähigkeit der Gesundheitsämter ausgerichtet und keine ganzheitliche Betrachtung des pandemischen Geschehens.
Beier: Der Gesetzgeber geht davon aus, dass die Gesundheitsämter bei einer 50er-Inzidenz noch die Verbreitung eindämmen können. Dem ist mitnichten so. Bereits im Oktober waren 70 Prozent der Infektionsketten nicht mehr aufzuklären.
Einverstanden. Wir streben die Null-Inzidenz an. Wie kommen wir da jetzt konkret hin?