Rückzug von Angela Merkel - Endlich wieder Luft zum Atmen

Angela Merkel tritt die Flucht nach vorn an und legt im Dezember den Parteivorsitz der CDU nieder. Die Auswirkungen auf die politischen Verhältnisse in Deutschland werden weitreichend sein. Eine Ära geht zu Ende, doch einen Rivalen hat die Kanzlerin zum Schluss noch einmal blamiert

Der Druck auf Angela Merkel war zuletzt immer stärker geworden / picture alliance
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Autoreninfo

Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

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Der 29. Oktober 2018 wird in die bundesdeutsche Geschichte eingehen. Es ist der Tag, an dem in Deutschland das Ende einer politischen Ära eingeläutet wird. Nach dem doppelten Desaster der Union bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen hat Angela Merkel sich entschieden, die Führung der CDU abzugeben. Auf dem Parteitag Anfang Dezember in Hamburg wird sie nicht wieder für den Parteivorsitz kandidieren. Und gemäß der Merkel-Doktrin, wonach Parteivorsitz und Kanzlerschaft in der CDU in eine Hand gehören, wird es anschließend auch nicht mehr lange dauern, bis sich Merkel auch von der Spitze der Bundesregierung zurückziehen wird. Auch wenn sich ein Wechsel im Kanzleramt nach dem Grundgesetz gar nicht so einfach vollziehen lässt und Merkel zunächst ankündigte, bis zur Bundestagswahl 2021 Kanzlerin bleiben zu wollen.

Gute wirtschaftliche Lage, zerrissene Gesellschaft

Merkels Ankündigung hat auf jeden Fall weitreichende Konsequenzen. Für die CDU, für die Bundesregierung und auch für Deutschland. Seit 18 Jahren ist sie Parteivorsitzende, seit 13 Jahren Bundeskanzlerin. Seit mehr als eine Dekade gehört sie zu den mächtigsten Politikerinnen und Politikern der Welt. Merkels Politik hat in Deutschland und Europa tiefe Spuren hinterlassen, im Guten wie im Schlechten. Dass es Deutschland wirtschaftlich so gut geht, wie lange nicht mehr, ist sicher auch ihr Verdienst. Dass es im Land zugleich eine große Verunsicherung über die zukünftige Entwicklung gibt und vor allem über den sozialen Zusammenhalt, ist zugleich ihre Verantwortung. Denn auch dass ein tiefer politisch-kultureller Riss das Land spaltet, sich mit der AfD eine rechte Partei in Deutschland etabliert hat, wird zu ihrem Erbe gehören. 

In den vergangenen Tagen und Wochen hat sich Merkel offenbar entschieden, die Flucht nach vorne anzutreten. Der Druck auf sie war zuletzt immer stärker geworden, der Unmut in der CDU immer größer. Die Nachfolgediskussion konnte sie kaum noch in Zaum halten, eine offene Rebellion schien in der CDU nicht mehr ausgeschlossen. Es war ein schleichender Prozess, der zuletzt immer mehr Fahrt aufgenommen hatte. 

Halbwegs ehrenvoller Abgang

Merkels umstrittene Flüchtlingspolitik, die Verluste der Union bei der Bundestagswahl, die gescheiterten Jamaika-Verhandlungen und die unterirdische Performance der Großen Koalition in den vergangenen Monaten haben Merkels Ruf in der Öffentlichkeit und ihre Autorität in der eigenen Partei nachhaltig beschädigt. Hessen war da nur noch der letzte Akt. Angela Merkel nutzte anschließend die allerletzte Gelegenheit, sich einen halbwegs ehrenvollen Abschied von der Macht zu verschaffen und ihre Nachfolge in einem halbwegs geordneten Prozess zu regeln. Ganz nebenbei blamiert sie mit diesem Schritt den Vorsitzenden der Schwesterpartei CSU, Horst Seehofer. Der nämlich hat nach der Bayernwahl den letzten Moment für einen ehrenvollen Abgang verpasst.

Wer wird Merkels Nachfolger(in)?

Natürlich wirft der Rückzug Merkels vom CDU-Vorsitz eine Reihe von Fragen auf. Politische, programmatische und strategische. Schlagzeilen wird ihre Ankündigung nicht nur in Berlin machen, sondern rund um den ganzen Globus.

Zumindest in Berlin wird zunächst jedoch vor allem eine Frage diskutiert werden: Wer wird ihr Nachfolger oder ihre Nachfolgerin? Erst an der Spitze der CDU, anschließend möglicherweise auch im Kanzleramt. Es gibt offensichtlich mehrere Kandidaten – allen voran Annegret Kram-Karrenbauer, Armin Laschet Jens Spahn und auch Friedrich Merz, aber sicherlich wird in den nächsten Tagen über weitere Namen diskutiert werden. Und es wird sicher einige Zeit dauern, bis sich die Lage sortiert hat und die Fronten im jetzt bevorstehenden innerparteilichen Machtkampf stehen. Nicht ausschließen lässt sich, dass es auf dem Parteitag in Hamburg eine Kampfabstimmung und eine heftige Richtungsauseinandersetzung geben wird. Denn eine zweite Frage ist mit der Wahl eines neuen Parteivorsitzenden unmittelbar verknüpft: Rückt die CDU jetzt wieder nach rechts, gibt sich die Partei für die Nach-Merkel-Ära ein konservativeres Profil? 

Was wird aus der Groko?

Und drittens: Was bedeutet dies alles für die Zukunft der Großen Koalition? Auch für die SPD ist mit Merkels Ankündigung eine neue Lage entstanden. Vor allem dann, wenn mit dem Nachfolger oder der Nachfolgerin ein Rechtsruck verknüpft wäre, wird ihr dies zusätzliche Argumente liefern, die Regierung zu verlassen. Auf der anderen Seite hat die SPD immer deutlich gemacht, dass sie nicht bereit ist, einen Merkel-Nachfolger ganz automatisch ins Kanzleramt zu wählen. Das Ende der Ära Merkel markiert also auch das Ende der Großen Koalition. Dass diese bis 2021 weiter macht, ist in diesen Tagen kaum vorstellbar.

Für die Politik in Deutschland hat die Ankündigung von Merkel, den Parteivorsitz abzugeben und das damit verknüpfte absehbare Ende ihrer Kanzlerschaft etwas Befreiendes. Endlich könnte ein frischer Wind durch das politische Berlin wehen und den Mehltau, der sich mit der Großen Koalition in den vergangenen Monaten über das Land gelegt hat, wegblasen. Alternativen zur Großen Koalition, allen vor an ein Jamaika-Bündnis, werden möglich. Endlich könnte es in der Politik wieder Luft zum Armen geben. Es wäre ein Aufbruch, den Deutschland und Europa dringend brauchen.
 

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