CDU-Vorsitz und Kanzlerkandidatur - Warum es Merkel noch einmal machen könnte

Angela Merkel hat angekündigt, das Kanzleramt nach dieser Legislatur zu verlassen. Doch es soll ja schon vor ihr CDU-Kanzler gegeben haben, die sich wenig um ihr „Geschwätz von gestern“ kümmerten. Fünf Gründe, warum Merkel es noch einmal machen könnte.

Angela Merkel hat vielleicht noch ein Ass im Ärmel / dpa
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Es ist ein Gedankenspiel – aber vielleicht doch ein bisschen näher an der Realität, als es manchen lieb sein mag: Heißt der nächste Kanzlerkandidat von CDU und CSU womöglich weder Armin Laschet, Friedrich Merz, Norbert Röttgen noch Markus Söder? Wird vielleicht überhaupt gar kein Mann die Unionsparteien in den nächsten Bundestagswahlkampf führen, sondern eine Frau? Und heißt diese Frau am Ende Angela Merkel?

Die Christdemokraten sind nämlich nicht erst seit dem Gebührenerhöhungs-Debakel in Sachsen-Anhalt in einer derart verfahrenen Lage, dass nicht wenigen CDU-Mitgliedern (und Wählern ohnehin) eine fünfte Amtszeit der Bundeskanzlerin am Angenehmsten wäre. Auszuschließen ist inzwischen überhaupt nichts mehr. Fünf gute Gründe und ein paar Gegenargumente für weitere vier Jahre von Angela Merkel im Kanzleramt:

1.)  Das Führungsvakuum in der Partei

Der Stabwechsel an der Parteispitze von Merkel an Annegret Kramp-Karrenbauer ist spektakulär gescheitert. AKK hat keine eigene Autorität aufbauen können, deswegen hat sie nach der verunglückten Wahl von Thomas Kemmerich (FDP) zum kurzzeitigen thüringischen Ministerpräsidenten im Februar auch ihren Rückzug angekündigt. Seither treibt die CDU führungs- und konzeptionslos vor sich hin, was einer größeren Öffentlichkeit nur wegen der Corona-Pandemie halbwegs verborgen geblieben ist. Da gilt das Motto: große Krise frisst kleine Krise. Dennoch zeigen die aktuellen Verwerfungen etwa in Sachsen-Anhalt nur allzu deutlich, dass niemand innerhalb der Bundespartei in der Lage ist, ein Machtwort zu sprechen und die Abgeordneten im Magdeburger Landtag irgendwie auf Linie zu bringen.

Merkel mag zwar in Teilen der CDU regelrecht verhasst sein. Umgekehrt gilt aber auch: Im Vergleich zu den drei Kandidaten für den Parteivorsitz hätte sie insgesamt den größeren Rückhalt an der Basis und wohl auch in der Funktionärsebene. Würde Merkel sich dazu berufen fühlen (oder dazu berufen werden), noch einmal als Kanzlerkandidatin anzutreten, müsste sie konsequenterweise auch ins Amt der Parteichefin zurückkehren. Es ist ihr durchaus zuzutrauen, dass sie in dieser Funktion mehr zur Befriedung der CDU beitragen könnte, als Merz, Laschet oder Röttgen. Trotz allen Gegenwindes von Seiten ihrer parteiinternen Gegner.

2.)  Der Macht-Faktor

Wer auch immer als Kanzlerkandidat für CDU und CSU antritt: Der Wahlausgang ist überaus ungewiss. Denn weder Merz, noch Laschet oder Röttgen sind sichere Zugpferde in dem Sinne, dass sie immerhin ein Drittel aller Wähler für die Unionsparteien gewinnen können, wie das mit Merkel bei der zurückliegenden Bundestagswahl der Fall war. Und auch ein Kandidat Söder aus Bayern wäre kein Selbstläufer, zumal er sich mit seiner harten Corona-Politik nicht nur Freunde gemacht hat. Zwar ist davon auszugehen, dass CDU oder CSU den nächsten Kanzler stellen würden – ob nun mit Laschet, Röttgen, Merz oder Söder.

Aber das Risiko ist außerordentlich groß, dass das Ergebnis von 32,9 Prozent aus 2017 deutlich unterschritten würde. Und da geht es eben nicht nur darum, wer nächster Regierungschef wird. Sondern auch um die Frage, wie viele Abgeordnete von CDU und CSU eine realistische Chance auf den Wiedereinzug in den Bundestag haben. Man muss kein Demoskop sein, um zu ahnen: Mit Merkel als Kanzlerkandidatin wäre für CDU und CSU an den Wahlurnen immer noch die größte „Beute“ zu holen. Und Macht beziehungsweise Mandate waren für die Unionsparteien schon immer die eigentliche Währung.

3.)  Die Weltlage

Die weltweite Corona-Krise, ein neuer Präsident in den Vereinigten Staaten, eine drohende schwere Rezession im nächsten Jahr, der scheinbar unaufhaltsame Aufstieg Chinas, eine von politischen Fliehkräften bedrohte EU und noch vieles andere mehr: Die weltpolitische Lage war seit Ende des Zweiten Weltkriegs noch nie so instabil und unsicher wie heute. Mit ihrer dann 16-jährigen Erfahrung als Bundeskanzlerin wäre Merkel eine der dienstältesten und bestvernetzten Regierungschefinnen der Welt. Nun kann man zwar einwenden, dass viele der genannten Probleme auch trotz, mit (und vielleicht sogar wegen) ihrem Zutun entstanden sind.

Dennoch bleibt die Frage: Wären Söder, Laschet oder Merz in der Lage, mit der schwierigen weltpolitischen Lage besser klar zu kommen? Allen drei fehlt es jedenfalls an internationaler Expertise. Und selbst ein EU-interner Merkel-Gegner wie Ungarns Premierminister Viktor Orbán hat vor zwei Wochen in einem Interview mit der Zeit bekannt, dass er Merkel unlängst regelrecht bekniet habe, noch vier Jahre weiterzumachen. Das mag seltsam erscheinen, aber Orbán machte nicht den Eindruck, als habe er das ironisch gemeint.

4.)  Die näher rückende Bundestagswahl

Wer auch immer zum neuen CDU-Chef gewählt wird, muss den Anspruch haben, die Unionsparteien als Kanzlerkandidat(in) in den nächsten Wahlkampf zu führen. Aber da macht es inhaltlich schon einen großen Unterschied, ob das Zugpferd Laschet, Merz oder vielleicht sogar Röttgen heißt. Das Konrad-Adenauer-Haus braucht allerdings genug Zeit, um den Wahlkampf auf den jeweiligen Kandidaten hin maßzuschneidern, und bis zur nächsten Bundestagswahl sind es gerade noch neun Monate.

Hinzu kommt: Es ist noch längst nicht zu hundert Prozent sicher, dass die CDU im Januar wirklich wie geplant ihren Parteitag zur Kür eines neuen Vorsitzenden abhalten kann; Corona liegt wie ein Schatten über dem Zustandekommen dieser Veranstaltung. Sollte es abermals nichts werden, würde die Zeit immer mehr davon laufen. Die einzige sichere Bank in so einer Lage: eine abermalige Kanzlerkandidatur Angela Merkels, für die man im Adenauer-Haus schon vier Wahlkämpfe organisiert hat und deshalb über entsprechende Erfahrung verfügt.

5.)  Markus Söders Ambitionen

Es können nur wenig Zweifel daran bestehen, dass Markus Söder Bundeskanzler werden will. Dennoch steckt in seinem Mantra „Mein Platz ist in Bayern“ ein wahrer Kern: Für die CSU gilt, dass der Freistaat immer an erster Stelle kommt. Und sollte Söder jetzt tatsächlich ins Kanzleramt nach Berlin wechseln, steht seine Partei in Bayern ohne Führungsfigur da. Denn ein „geborener“ Söder-Nachfolger als bayerischer Ministerpräsident existiert derzeit nicht.

Vor gut zwei Jahren ist die CSU bei der Landtagswahl mit 37,2 Prozent nur knapp an einer Katastrophe vorbeigeschrammt (mit mehr als zehn verlorenen Prozentpunkten im Vergleich zu 2013), mittlerweile aber hat Söder seine Partei in den Umfragen zu alter Herrlichkeit zurückgeführt: Jüngste Erhebungen sehen die CSU bei 46 Prozent. Dieses aufgebaute Kapital wäre ohne Söder mit ziemlicher Sicherheit schnell wieder weg. Deshalb dürfte Markus Söder ein erhebliches Interesse daran haben, erst in vier Jahren die Kanzlerkandidatur zu erlangen. Und wenn Angela Merkel jetzt noch eine Legislaturperiode verlängern würde, wäre 2025 absehbar der Weg frei für Söder.

Zumal er damit rechnen muss, dass Merz oder Laschet noch einmal antreten würden, sollte es ihnen im nächsten Herbst tatsächlich gelingen, Bundeskanzler zu werden. Folgendes Szenario ist also denkbar: Söder selbst schlägt Merkel als nächste Kanzlerkandidatin vor und begründet das mit der schwierigen weltpolitischen Lage (siehe oben). Damit würde er zwar Merz, Laschet und Röttgen vor den Kopf stoßen, aber für die CDU hätte diese Vorgehensweise einen großen Vorteil: Der Impuls für eine abermalige Kanzlerkandidatur Merkels käme nicht aus den eigenen Reihen, sondern von der Schwesterpartei. Und wenn sogar die CSU das vorschlägt …

Was dagegen spricht:

Merkel hat sich klar festgelegt, nicht noch einmal als Bundeskanzlerin zu kandidieren. Wer sie besser kennt, neigt dazu, zu sagen: Davon wird sie jetzt auch nicht mehr abrücken – stur, wie sie eben ist. Aber schon vor der zurückliegenden Bundestagswahl hat sie sich von den CDU-Granden (angeblich) dazu breit schlagen lassen, noch einmal anzutreten. Allerdings hatte sie damals zuvor nichts kategorisch ausgeschlossen. Dennoch ist nicht völlig unvorstellbar, dass sie es sich demnächst noch einmal anders überlegt.

Denn tatsächlich dürfte es für sie wenig verlockend sein, in einer absehbar tiefen Wirtschaftskrise von Bord zu gehen und damit ihr historisches Vermächtnis zu gefährden, das vor allem darin besteht, Krisen bewältigt zu haben. Nicht zuletzt ist für Merkel mit Sicherheit die Aussicht verlockend, den von ihr verachteten Friedrich Merz als ihren Nachfolger verhindert zu haben. Zweifelsfrei würde das Merz-Lager bei der Aussicht auf eine abermalige Kanzlerschaft Angela Merkels vor Empörung schäumen. Die Spaltung innerhalb der CDU würde womöglich sogar eine neue Dimension erreichen.

Andererseits würden auch weder Merz noch Armin Laschet kurz- oder mittelfristig eine Befriedung der Partei schaffen; der Sauerländer sogar am allerwenigsten. Vor diesem Hintergrund könnte „the return of Angie“ als Parteichefin (und Kanzlerkandidatin) als das kleinste Übel gesehen werden. Es wäre ein Wunder, wenn die Spitzenfunktionäre von CDU und CSU in der aktuellen Misere nicht auch dieses Szenario ernsthaft in Betracht zögen. Man darf gespannt sein.

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