Angela Merkel - Die Entschwebte

Angela Merkel macht in ihrer vierten Amtszeit nur noch, wozu sie Lust hat. Doch nach der Befragung im Bundestag könnte damit Schluss sein. Die Abgeordneten besinnen sich jetzt wieder auf ihre eigentliche Aufgabe

Die Zeiten des permanenten Eskapismus in höhere Sphären sind für Angela Merkel vorbei / picture alliance
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Im Spiegel war dieser Tage ein reichlich einfühlsamer Text über die Bundeskanzlerin zu lesen. Der Reporter schilderte seine Eindrücke von einer besorgten Angela Merkel, die sich in historischen Analogien zum Augsburger Religionsfrieden von 1555 und zum Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges 1618 ergeht. Eine nachdenkliche Geschichtsphilosophin wurde den Lesern präsentiert, eine Denkerin der Düsternis mit Blick für die ganz langen Linien. Von ganz hoher Warte.

Das kann ja im Prinzip nicht schaden. Nur darf sich im Sinnieren nicht das Tun einer Regierungschefin erschöpfen. Sie ist nicht Herfried Münkler oder Heinrich August Winkler oder Jürgen Osterhammel, oder wie die großen deutschen Historiker der Gegenwart heißen mögen. Sie ist nicht in erster Linie für die Befunde, sondern für die Lösungen zuständig. Sie ist nicht Beobachterin, sondern zentral Handelnde. Sie philosophiert über Zustände, die sie in 13 Jahren selbst mit herbeigeführt hat. Und die sie ändern müsste und könnte. Wie sagt ihr treuester Knappe, Unionsfraktionschef Volker Kauder, immer so gern in Anlegung an Kurt Schumacher: „Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit.“ 

Stimmt. Aber sie darf dort nicht stehen bleiben. Damit ist es nicht getan. Damit fängt es an. 

Fußball schien wichtiger zu sein

Seit einiger Zeit schon ist bei der 13 Jahre regierenden Kanzlerin eine gewisse Entrücktheit festzustellen. Und ein seltsames Verständnis davon, was sie für wichtig hält. Vergangenes Wochenende ist sie für zweieinhalb Stunden ins Trainingslager der deutschen Fußballnationalmannschaft in ihr geliebtes Südtirol geflogen, um mit den Kickern ausgiebig zu reden.

Der französische Präsident Emmanuel Macron bekam zeitgleich via Sonntagszeitung eines sehr schüttere Antwort auf seine sehr konkreten Vorstellungen zu einem neuen Europa. Macron hatte diese über fast ein Jahr immer wieder ausführlich und gestenreich dargelegt. Erst vor Studenten an der Sorbonne, dann auf dem historischen Boden der Akropolis, schließlich in Aachen, als er den Karlspreis entgegennahm. 

Merkels Antwort auf Macrons mächtige Vorlage? Ein Interview in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Der Fußballbesuch schien wichtiger. Und nahm auch mehr Zeit in der „Tagesschau“ ein.

Das Sedativum verliert seine Wirkung

Die Kanzlerin ist in ihrer vierten Amtszeit entschwebt. Sie macht nur noch das, wozu sie Lust hat. Und am wenigsten Lust hat sie darauf, mit den Folgen ihres eigenen Handelns konfrontiert zu werden. Das Parlament aber, über Jahre der Großen Koalition als Korrektiv zum Kanzleramt ausgefallen, entdeckt seine Rolle wieder und fängt an, die entrückte Kanzlerin wieder zum Bodenkontakt zu zwingen. Die Premiere der Kanzler-Fragestunde im Bundestag war noch kein rhetorisches Meisterstück seitens der Abgeordneten. Aber schon diese noch allzu artige Veranstaltung machte Hoffnung auf einen lebendigeren Parlamentarismus mit mehr Checks and Balances, als man es in den vergangenen Jahren erlebt hat. Das Sedativum, das Merkel dem politischen Betreib zum eigenen Nutzen über Jahre verabreicht hat, wirkt nicht mehr durchweg. Und man muss das klar sagen, auch wenn einem vieles aus guten Gründen nicht passt an dieser Partei: Die AfD hat an der neuen Munterkeit und dem neuen aufrechten Gang des Parlaments einen entscheidenden Anteil. 

Die Fragestunde des Bundestages war noch von zu viel Ehrfurcht vor ihrer Majestät Merkel gekennzeichnet. Selbst als die AfD im Zusammenhang mit den Folgen der Merklichen Flüchtlingspolitik 2015/2016 deren Rücktritt forderte, klang das nicht souverän, sondern bemüht. 

Aber die dickeren Taue, die Merkel an den Boden binden sollen, werden im Parlament schon geflochten. FDP-Fraktionschef Christian Lindner schreckt nicht mehr vor einer gemeinsamen Sache mit der AfD zurück und löst sein Wahlversprechen ein, einen Untersuchungsausschuss zu Merkels Flüchtlings-Solo anzustrengen. Formal ist die Initiative aufgehängt an den skandalösen Vorgängen des Bamf in Bremen, aber unter Berücksichtigung der politischen Verantwortung fürs Versagen der Behörde. Und damit ist man ganz schnell bei Angela Merkel als Kanzlerin, dem damaligen Bundesinnenminister Thomas de Maizière und dem damaligen Kanzleramtsminister Peter Altmaier.

Das Parlament besinnt sich

Die Stimmen von FDP und AfD werden nicht reichen, Angela Merkel vor einem U-Auschuss zu Verantwortung zu ziehen. Die SPD sollte sich in einer ruhigen Minute daher einmal überlegen, ob sie nicht alle Gründe hätte, es wie CSU-Chef Horst Seehofer zu halten und einem Untersuchungsausschuss aufgeschlossen gegenüber zu stehen. Was am Ende heißen müsste: Einem Antrag darauf zuzustimmen. 

Die SPD hat dabei nichts zu verlieren, kann nur Boden bei den eigenen Wählern wieder gut machen. Die damals operativ handelnden Personen kommen allesamt aus der CDU. Einen Koalitionsbruch darüber kann sich Merkel gar nicht leisten. Mit wem soll sie denn regieren außer den Sozialdemokraten? Der Betreiber des U-Ausschusses, Christian Lindner, hat Merkel mit seinem Nein zu Jamaika alle Fluchtwege jenseits der Großen Koalition abgeschnitten. 

Am Tag nach der Fragestunde im Bundestag debattierte dieser über den Antrag der FDP zu einem Untersuchungsausschuss. Bezeichnenderweise war diejenige, die 24 Stunden vorher an gleichem Ort noch Rede und Antwort stand, schon wieder auf dem Sprung, halb entschwebt: nach Kanada, zum G-7-Gipfel. 

Das gehört zu ihren Aufgaben und sei ihr gegönnt. Aber sie wird aus Quebec wieder zurückkommen und erkennen: Die Zeiten des permanenten Eskapismus in höhere Sphären sind vorbei, seit sich ein Parlament wieder seiner vornehmsten Rolle erinnert hat: Der Kontrolle der Regierung und ihrer Chefin. 

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