Kursänderung in der Migrationspolitik - Hat die Ampel den Schuss gehört?

Unter dem Eindruck der desaströsen Landtagswahlen lädt Bundeskanzler Olaf Scholz zum Migrations-Spitzengespräch am Freitag ein. Doch mehren sich die Anzeichen, dass die beabsichtigte Kursänderung in der Migrationspolitik noch immer bei weitem nicht ausreichen wird.

Schuhe einer Flüchtlingsfamilie sind in einem Zelt der Flüchtlingsunterkunft abgestellt/ picture alliance
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Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Zyniker behaupten, durch Wahlen ließe sich nichts verändern. Die Parteien würden nach jedem Urnengang weitermachen wie zuvor. Dieses Vorurteil hat jetzt die Ampel widerlegt. 48 Stunden nach den Landtagswahlen in Bayern und Hessen haben sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) auf den Migrationspakt II geeinigt. 

Grund genug, sich endlich zu bewegen, hatten die Koalitionäre reichlich. Schließlich hatte die Flüchtlingskrise in beiden Wahlen die landespolitischen Themen überlagert. Das Ergebnis war aus Sicht der Regierenden verheerend. In Bayern kamen die Ampel-Parteien zusammen gerade noch auf 26 Prozent, in Hessen auf 35 Prozent. SPD, Grüne und FDP erreichten im einstigen rot-grünen Vorzeigeland zusammen noch so viel wie die CDU allein. Da hat das Wahlvolk sein vernichtendes Urteil gesprochen.  

Kursänderung der Ampel war überfällig

Diese Kursänderungen der Koalition waren überfällig: Erleichterungen bei den Abschiebungen wie beim Zugang zum Arbeitsmarkt für Geduldete. Der Kanzler will mit dem CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz sowie den Ministerpräsidenten Boris Rhein (CDU/Hessen), Stephan Weil (SPD/Niedersachsen) und Hendrik Wüst (CDU/Nordrhein-Westfalen) am Freitag darüber sprechen. So wie man Scholz kennt, wird er das in der Pose des genialen Problemlösers verkünden. Allerdings hatten die Länder die geplanten Änderungen bereits bei einem Flüchtlingsgipfel mit dem Bund im Mai gefordert. Doch die Ampel bewegte sich damals nicht wirklich. 

Die Erleichterung von Abschiebungen, unter anderem durch die Verlängerung des Ausreisegewahrsams von zehn auf 28 Tage, geht in die richtige Richtung. Doch kann sich die Koalition bisher nicht aufraffen, Länder wie Marokko, Algerien, Tunesien oder Indien zu sicheren Herkunftsländern zu erklären. Vollends unverständlich ist, dass die EU-Beitrittskandidaten Georgien und Moldawien immer noch als so undemokratisch und inhuman eingestuft werden, dass dorthin nicht abgeschoben werden darf. Auch hier hinkt die Ampel mit ihrer jüngsten Gesetzesinitiative der Entwicklung weit hinterher.  

 

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Wenn in viele Länder nicht abgeschoben werden darf, in denen Krieg oder Terror keineswegs an der Tagesordnung sind, ist das schwer zu verstehen. Hier wirkt sich unverändert die linksgrüne Sehnsucht nach einer Multikulti-Idylle aus, wonach Zuwanderung grundsätzlich als Bereicherung anzusehen ist. Dass eben nicht jeder Zuwanderer eine Bereicherung darstellt – weder mit Blick auf den Arbeitsmarkt noch in Bezug auf seine Integrationsbereitschaft – kann nur übersehen, wer das aus ideologischen Gründen nichts sehen will.

Das deutsche Modell mit weit offenen Grenzen und im internationalen Vergleich sehr großzügigen Sozialleistungen ist nämlich krachend gescheitert. Der Hass gegen Israel, der sich in diesen Tagen auf unseren Straßen Bahn bricht, ist nur eine Facette dieser völlig verfehlten Zuwanderungspolitik. 

„Too little, too late“

Was die Ampel jetzt hastig auf den Weg bringt, ist „too little, too late“. Der entscheidende Hebel ist nicht die beschleunigte Rückführung von Menschen, die Asyl sagen und Sozialstaat meinen. Die Umstellung von Geldleistungen auf bargeldlose Zahlungsmöglichkeiten kann, falls sie denn kommt, unterbinden, dass Flüchtlinge ihre Familien in der Heimat unterstützen. Was übrigens dafür spricht, dass die derzeitigen Leistungen bei den Migranten mehr abdecken als deren Existenzminimum. Andernfalls könnten sie nicht ihre Angehörigen in der Ferne mitversorgen. Doch sind die relativ hohen Geldleistungen nur einer unter vielen Pull-Faktoren. 

Für eine wirksame Eindämmung des Zustroms von Flüchtlingen gibt es nur eine erfolgversprechende Lösung: die robuste Kontrolle der EU-Außengrenzen – zu Land und zu Wasser. Wenn die kriminellen Schlepperorganisationen ihre „Kunden“ erst einmal in die Nähe der italienischen Küste gebracht haben, ist es zu spät. Was die EU zur Sicherung der Außengrenzen tut, reicht bei weitem nicht. Von der Bundesregierung muss Brüssel da keinen Druck befürchten. Wer bei schärferen Kontrollen an den Grenzen zu Polen und Tschechien so dilettantisch agiert wie Innenministerin Nancy Faser (SPD), kann von anderen Staaten nichts fordern.   

Bei den Grünen träumt man unverändert von einer bunten Republik

Die FDP hat schon länger erkannt, dass Fortschritte bei der Migration in der selbsternannten Fortschrittskoalition nur in Trippelschritten möglich sind. Immerhin scheint man in der SPD den Schuss gehört zu haben, den die Bayern und Hessen am vergangenen Sonntag in Richtung Berlin abgefeuert haben. Wer im einst „roten Hessen“ keinen einzigen Wahlkreis zu gewinnen vermag und sich in Bayern mit dem Status einer Kleinpartei abfinden muss, muss auch ans eigene politische Überleben denken. 

Anders ist die Lage der Grünen. Ihre Träume von „20 Prozent plus“-Ergebnissen sind geplatzt. Aber offenbar haben sie eine vor allem in Städten beheimatete Stammwählerschaft, die ihnen Ergebnisse um 15 Prozent garantiert. Dort wird unverändert von einer bunten Republik geträumt. FDP-Generalsekretär Bijan Dijr-Sarai hat die Grünen beim Thema Zuwanderung nicht grundlos zum Sicherheitsrisiko erklärt. Die grüne Ko-Vorsitzende Ricarda Lang traf zweifellos die Stimmung der Basis, als sie sagte, „wir dürfen nicht vergessen, dass es sich hierbei um Menschen handelt, die Schutz suchen. Und wer Schutz braucht, muss Schutz bekommen.“ Heißt also: Wer kommen will, darf kommen.  

Die plötzliche Aktivität der Ampel erinnert an die Vorgeschichte der „Agenda 2010“-Politik unter Rot-Grün. Als Roland Koch 2003 in Hessen nicht zuletzt wegen der damaligen schlechten Wirtschaftslage die absolute Mehrheit errang, und in Niedersachsen die SPD abgewählt wurde, setzte Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) auf einschneidende Veränderungen in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Die Grünen zogen damals mit. Ob ihre heutigen Nachfolger in der Flüchtlingspolitik sich ebenfalls zu einem pragmatischen Vorgehen durchringen können? Da sind Zweifel erlaubt.  

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