Die Ampel-Regierung und Putins Krieg - Aufgewacht im Stahlbad

Der russische Einmarsch in die Ukraine holt auch die Ampel-Regierung von ihren rosaroten Fortschrittsträumen auf den Boden der weltpolitischen Realitäten zurück. Vor welche Probleme die Eskalation in Osteuropa die neue Bundesregierung noch stellt, ist ungewiss.

Redet auch angesichts des Krieges immer noch von Windrädern: Wirtschaftsminister Robert Habeck / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

So erreichen Sie Volker Resing:

Anzeige

Noch vor seiner Vereidigung hatte Deutschlands erster grüner Außenminister dem ersten Kampfeinsatz der Bundeswehr zugestimmt. Es war ein dramatischer Start von Rot-Grün im Spätherbst 1998, als Bundeskanzler Gerhard Schröder und Joschka Fischer Deutschland in den Kosovo-Krieg führten, im Rahmen der Nato, aber ohne UN-Mandat. Die damalige Bombardierung Belgrads ist das Symbolbild, auf das sich auch Putin aktuell wieder bezieht. Auch ins kollektive Gedächtnis eingebrannt haben sich die Bilder vom Farbbeutel, die Fischer damals auf einem Grünen-Parteitag abbekam. Große Teile seiner eigenen Partei verurteilten ihn wegen seines vermeintlichen Militarismus. Seine Verteidigungsrede gehört zu einem Wendepunkt der bundesrepublikanischen Geschichte hin zu einer sicherheitspolitischen Realpolitik im linken politischen Spektrum: „Ich stehe auf zwei Grundsätzen, nie wieder Krieg, nie wieder Auschwitz, nie wieder Völkermord, nie wieder Faschismus. Beides gehört bei mir zusammen.“

Die neue grüne Außenministerin Annalena Baerbock scheint aktuell noch nicht von ähnlichen ideologischen innerparteilichen Auseinandersetzungen gefangen genommen zu werden, der aggressive Pazifismus in ihrer Partei scheint bislang verstummt. „Wir alle sind heute Morgen fassungslos, aber wir sind nicht hilflos“, erklärte sie. Und doch ist die Lage vergleichbar. Das als gesellschaftspolitischer Aufbruch verstandene Projekt „Rot-Grün“ konnte sich vor 24 Jahren nicht auf die Lieblingsthemen stürzen, sondern musste mit Krieg und Außenpolitik beginnen –  bis hin zum Afghanistankrieg nach dem 11. September 2001.

Geopolitik statt Zukunfstvisionen

Ähnlich ergeht es nun der Ampel. Statt Aufbruch, Wandel und rosarotem Fortschrittsversprechen sieht sich das neue Regierungsbündnis wenige Monate nach Amtsantritt in Putins blutigem Stahlbad auftauchen, statt Zukunftsvisionen geradezu wörtlich zurückgebombt in längst überwunden geglaubte Schreckenszeiten der aggressiv-polarisierten Geopolitik. Putin hat mit seinem „Zivilisationsbruch“ militärische Operationen als legitimes Mittel Politik reaktiviert – und stellt die Regierung von SPD, Grünen und FDP vor Herausforderungen, die sie in dieser Dimension nicht vorhergesehen hatte, vielleicht auch sich nicht ausmalen wollte. Vor welche Probleme die Eskalation in Osteuropa die neue Bundesregierung noch stellt, ist ungewiss.

 

Weitere Artikel zum Krieg in der Ukraine:

 

Zunächst reagierten gestern die Ministerinnen und Minister sowie Kanzler Olaf Scholz (SPD) geschlossen und abgestimmt, bisweilen allenfalls unbeholfen. Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) kündigte mehr pflichtschuldig als konkret die Verstärkung der Nato-Ostflanke an. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) stellt sich immerhin auf die erhöhte Gefahr von Cyber-Angriffen ein und verspricht Hilfe für ukrainische Flüchtlinge. Und Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) spricht zu Sanktionen im Finanzbereich, die aber gut überlegt seien müssten. Allein Wirtschaftsminister Robert Habeck versuchte gestern trotz allem noch, die Ampel-Agenda in einen inneren Zusammenhang mit der akuten Gefährdung des Weltfriedens durch Putin zu bringen: Die russische Invasion in die Ukraine müsse nun zu einem beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien führen, um die Abhängigkeit vom russischen Gas zu reduzieren. Er wolle nun die „Schlafmützigkeit“ beenden.

Weitere Bruchstellen können noch auftauchen

Tatsächlich stellt sich da aber doch die Frage, wer die Schlafmütze aufhat, wenn man jetzt angesichts des Krieges von Windrädern redet. Habeck war Realist genug, in einem Atemzug zwar die Abkehr von fossilen Brennstoffen zu beteuern, aber doch auch zugleich den Aufbau von Gas- und Ölreserven anzukündigen. Das ist die neue Ampel-Realität. Weitere Bruchstellen können noch auftauchen, etwa bei der Frage von Waffenlieferungen und Verstärkung des Nato-Engagements an der Ostgrenze. Ob eine Unterstützung der Ukraine mit militärischem Gerät überhaupt noch möglich ist, ist fraglich, aber zwischen SPD, Grünen und FDP könnte es hier zu Konflikten kommen. Dabei steht allerdings gleich die Frage im Raum, welche Möglichkeiten die Bundeswehr überhaupt hat, um zu helfen. Rächt es sich jetzt, dass die deutschen Streitkräfte kaputt gespart und dilettantisch geführt wurden, wie manche sagen?  

Mit Selbstkritik ist gestern die frühere CDU-Vorsitzende und Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) in die Offensive gegangen. „Ich bin so wütend auf uns, weil wir historisch versagt haben“, erklärte sie auf Twitter. Wirkliche Abschreckung habe gefehlt, so die Ex-Ministerin. Und sie fasste eine in den zurückliegenden Jahren wohl fehlende deutsche Militärdoktrin in die knappe Formel:  „Wir haben die Lehre von Schmidt und Kohl vergessen, dass Verhandlungen immer den Vorrang haben, aber man militärisch so stark sein muss, dass Nichtverhandeln für die andere Seite keine Option sein kann.“

Dass die nun amtierende Bundesregierung schon ihre Irrtümer der Vergangenheit reflektiert hat angesichts der dramatischen Lage, kann man kaum erwarten. Immerhin sagte Habeck, man sei gegenüber Putin „zu naiv“ gewesen. Die Ampel findet sich kurz nach Amtsantritt in einer „neuen Welt“ wieder, wie Baerbock morgens sagte. Der 24. Februar ist der neue 11. September, allerdings nicht nur für die Regierung, sondern für uns alle.

 

Anzeige