Ampel-Koalition - Streit zwischen FDP und Grünen

Die grün-gelbe Selfie-Seligkeit ist auch nicht mehr, was sie kurz nach der Bundestagswahl einmal war: Bei der Frage, wie man zu gesetzwidrigen Protestaktionen von Umweltaktivisten steht, zeigen sich durchaus Bruchlinien zwischen Grünen und Freien Demokraten. Öffentlich ausgetragen wird der Streit zwischen Justizminister Marco Buschmann und Umweltministerin Steffi Lemke.

Vergleicht Autobahnblockaden mit der friedlichen Revolution in der DDR: Steffi Lemke / dpa
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Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Was waren das noch für Zeiten, als Freie Demokraten und Grüne in ihrer frisch entflammten Selfie-Seligkeit schwelgten. „Auf der Suche nach einer neuen Regierung loten wir Gemeinsamkeiten und Brücken über Trennendes aus. Und finden sogar welche. Spannende Zeiten“, texteten Annalena Baerbock, Robert Habeck, Christian Lindner und Volker Wissing zu einem Foto, das zwei Tage nach der Bundestagswahl ein strahlendes grün-gelbes Quartett zeigte. Da demonstrierten zwei Parteien den potentiellen Koalitionspartnern SPD und CDU/CSU, dass es keine Kellner mehr gibt, sondern nur noch Köche.

Die sich einst heftig bekämpfenden Freien Demokraten und Grünen haben durchaus Gemeinsamkeiten gefunden. Aber manche Gräben sind offenbar doch so breit, dass das mit dem Brückenbau recht schwierig ist. Das hat sich in den letzten Tagen bei einem Thema gezeigt, bei dem die Freien Demokraten als Rechtsstaatspartei besonders sensibel sein müssen: bei der Verfolgung legitimer politischer Ziele mit illegalen Mitteln. Da reichen die angeblich gefundenen Gemeinsamkeiten bei weitem nicht aus.

Verständnis für gesetzeswidrige Blockaden

Dass spannende Zeiten durchaus auch zu Spannungen führen könnten, dafür sorgten zwei grüne Politikerinnen: Umweltministerin Steffi Lemke mit ihrem Verständnis für gesetzeswidrige Blockaden und Außenministerin Annalena Baerbock mit der Berufung der Greenpeace-Vorsitzenden Jennifer Morgan zu ihrer Sonderbeauftragten für internationale Klimapolitik. Denn für Greenpeace gehören Blockaden, Besetzungen, Diebstahl und Rechtsverstöße jeder Art zum Geschäftsmodell – gerechtfertigt durch hehre Ziele.  

Für jeden Demokraten, und Freie Demokraten allemal, steht fest, dass Proteste legitim sind – sofern die Demonstranten nicht gegen bestehende Gesetze verstoßen. Steffi Lemke sieht das offenkundig nicht so eng. Die Umweltministerin äußerte durchaus Verständnis für Klimaaktivisten, die in Berlin regelmäßig Autobahnen, Straßen oder Parkplätze blockieren und auch keine Rücksicht darauf nehmen, dass beispielsweise Krankenwagen in den von ihnen produzierten Staus steckenbleiben. Für die Grüne ist „ziviler Ungehorsam“ durchaus ein legitimes Mittel, auf die eigenen Anliegen aufmerksam zu machen. Dabei scheute die in der DDR aufgewachsene Ministerin nicht einmal vor dem schiefen Vergleich mit der friedlichen Revolution gegen das DDR-Regime zurück.

Das rief prompt Marco Buschmann (FDP) auf den Plan, der seiner Kabinettskollegin auf Twitter eine kleine Lektion zum Thema Rechtsstaat erteilte. „Ziviler Ungehorsam ist im deutschen Recht weder Rechtfertigungs- noch Entschuldigungsgrund“, schrieb der Justizminister. Und: „Unangemeldete Demos auf Autobahnen sind und bleiben rechtswidrig. Protest ist ok, aber nur im Rahmen von Recht und Verfassung.“ Auch Konstantin Kuhle, stellvertretender Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion, widersprach Lemke heftig: „Mitglieder der Bundesregierung dürfen nicht zu Straftaten aufrufen. Punkt.“

Die Blockade-Versteherin Lemke versuchte, etwas zurückzurudern. „Alle, die darauf warten, dass es endlich einen saftigen Koalitionskrach geben möge, enttäusche ich jetzt mal. Ich stimme mit meinem Kollegen Marco Buschmann überein“, antwortete sie Buschmann. Wobei man jetzt darüber rätseln darf, wie „frau“ rechtswidrige Blockaden gutheißen und zugleich verdammen kann.

Appell an Umweltorganisationen, „Druck“ auf SPD und FDP auszuüben

Dass es zu den Grünen doch mehr Trennendes gibt, als man noch in der Nach-Wahl-Euphorie wahrhaben wollte, dürfte den Freien Demokraten ebenfalls bei der Berufung der Klimaaktivistin Morgan ins Auswärtige Amt klar geworden sein. Während der Koalitionsverhandlungen hatte Baerbock in einem Brief an zahlreiche, den Grünen eng verbundene Umweltorganisationen (darunter auch Greenpeace) appelliert, „Druck“ auf SPD und FDP auszuüben, damit diese sich in der Klimapolitik beweglicher zeigen. Jetzt holt sich Baerbock den Druck der Straße in die Regierung. Die in Bezug auf widerrechtliche Aktionen allzeit bereiten Greenpeace-Kämpfer werden zu reagieren wissen, wenn ihre bisherige „Chefin“ in ihrer neuen Funktion Hilfe von der Straße braucht.

Einen großen Koalitionskrach wird das alles natürlich nicht auslösen. Die Freien Demokraten sind – ebenso wie die Grünen – nach so langer Zeit viel zu gerne wieder an den Schalthebeln der Macht. Außerdem bestehen gute Chancen, bei den Landtagswahlen im Saarland, in Nordrhein-Westfalen oder in Schleswig-Holstein Ampel-Mehrheiten zustande zu bringen. Da wären koalitionsinterne Auseinandersetzungen in Berlin kontraproduktiv.

Freie Demokraten und Grüne müssen, wenn die Ampel ein Erfolg werden soll, auch auf anderen Politikfeldern noch manche Brücke bauen. Zum Beispiel, wenn es darum geht, eine Klimapolitik zu betreiben, die die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft nicht gefährdet oder die Automobilindustrie zu einem zu schnellen Abschied vom „Verbrenner“ zwingt. Man sollte jedoch nicht übersehen, dass FDP und Grüne in vielen gesellschaftspolitischen Fragen mehr eint als trennt.

Für eine „Modernisierung“ der Gesellschaft brennen Grüne und Gelbe gleichermaßen

Robert Habeck nennt die Gesellschaftspolitik den „Glutkern“ der Koalition. Für eine „Modernisierung“ der Gesellschaft brennen Grüne und Gelbe gleichermaßen – und die Roten ebenso. Bei der Abschaffung des Paragrafen 219a des Strafgesetzbuchs, dem Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche, ist man sich einig – und hat dabei die Streichung des Paragrafen 218 noch nicht verabredet, aber wohl fest im Blick. Eine großzügige Einbürgerungspolitik zählt ebenso zum „Glutkern“ wie der leichte Zugang zur doppelten Staatsbürgerschaft für alle, die sich partout nicht uneingeschränkt zu Deutschland bekennen wollen.

Im grün-gelben Deutschland wird die Ehe zu einem Modell, das es auch noch gibt – neben der neuen „Verantwortungsgemeinschaft“. Zu der sollen sich mehrere Erwachsene zusammenschließen können – mit mehr oder weniger denselben Rechten wie Eheleute, aber weniger Verpflichtungen. Die sexuelle Selbstbestimmung wird so aussehen, dass jeder 14-Jährige auf dem Standesamt sein Geschlecht ändern und auch die Änderung wieder verändern kann. Der Queer-Beauftragte der Bundesregierung wird zudem dafür sorgen, dass sexuelle Minderheiten nicht nur geschützt, sondern stärker ins Zentrum der Gesellschaftspolitik gerückt werden. All diese Gemeinsamkeiten waren wohl nicht allzu schwer auszuloten, damals bei der grün-gelben Vor-Sondierung vor den Dreier-Sondierungen unter Einschluss der SPD.

In der Tat: Es sind „spannende Zeiten“, wie unter dem berühmten Vierer-Selfie kurz nach der Wahl zu lesen war. Mit Spannung wird auch zu beobachten sein, wie viele Wähler der FDP – vor allem jene über 50 – auf so manches gelb-grüne Arrangement reagieren. Die werden schon auszuloten wissen, was sie mit der Partei noch gemein haben, die sie am 26. September als Korrektiv zu Rot-Grün gewählt haben.

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