Amira Mohamed Ali - Platzhalterin der Linken

Amira Mohamed Ali ist seit November Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag. Das hat nicht zuletzt sie selbst überrascht. Jetzt steht sie in der ersten Reihe, muss eigene politische Schwerpunkte aber erst noch finden.

Amira Mohamed Ali: Grund für ihre Wahl zur Fraktionsvorsitzenden sind vor allem die Flügelkämpfe in der Partei / picture alliance
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Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Auch zwei Monate nach ihrer überraschenden Wahl zur Nachfolgerin von Sahra Wagenknecht als Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag kommt Amira Mohamed Ali kaum aus dem Staunen heraus, dass sie plötzlich in der ersten Reihe der bundesdeutschen Politik steht. „Ich nehme an, dass die wenigsten von denen, die im letzten Jahr dabei waren, damit gerechnet haben, dass ich jetzt hier stehen werde.“ Auch sie selbst habe das „nicht zu träumen gewagt“, sagt sie in ihrer Begrüßungsrede auf dem Neujahrsempfang der Linken-Fraktion in Berlin.

Der kometenhafte Aufstieg der 40-jährigen Juristin in dieses Spitzen­amt war nicht vorhersehbar. Mohamed Ali wuchs in Hamburg auf. Ihr Vater stammt aus Ägypten, ihre Mutter aus Schleswig-Holstein. Nach dem Abi­tur studierte sie Jura in Heidelberg und Hamburg. Ihr Referendariat absolvierte sie in Oldenburg, wohin sie 2006 auch ihren Wohnsitz verlegte, nachdem sie ihren späteren Ehemann kennengelernt hatte. Parteimitglied ist die bekennende Muslima erst seit 2015, zwei Jahre später wurde sie über die niedersächsische Landesliste in den Bundestag gewählt und beendete ihre Tätigkeit als Vertragsmanagerin bei einem Automobilzulieferer. 

Resultat eines lähmenden Patts

Im Parlament agierte Mohamed Ali als „Hinterbänklerin“ unterhalb der öffentlichen Wahrnehmungsschwelle. Sie befasste sich mit Verbraucher- und Tierschutzfragen wie der Essensqualität in Kitas und Schulen oder Wildtierhaltung in Zirkusbetrieben – nicht gerade Themen aus dem linken Markenkern. 

Auch in der internen Auseinandersetzung zwischen den postmodernen Reformern um die Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger und dem Flügel rund um die Traditionssozialistin Sahra Wagenknecht trat sie öffentlich nie in Erscheinung. Pointierte Stellungnahmen zum ewigen Zankapfel Migrationspolitik sind von ihr ebenfalls nicht bekannt. Allerdings gilt sie als politisches Ziehkind des einflussreichen Parteistrippenziehers Diether Dehm, dem sie auch den sicheren Listenplatz für die Bundestagswahl 2013 zu verdanken hatte. Und Dehm hatte sich innerhalb der Fraktion als einer der wichtigsten Unterstützer von Wagenknecht positioniert.
Aber Fraktionsvorsitzende? Das ist nur vor dem Hintergrund der taktischen Machtspielchen in der zerstrittenen Fraktion zu verstehen. Nachdem Wagenknecht – gesundheitlich angeschlagen und mit dem Scheitern der von ihr initiierten neuen Sammlungsbewegung konfrontiert – im März 2019 ihren Rückzug vom Fraktionsvorsitz angekündigt hatte, begann die Suche nach einer mehrheitsfähigen Nachfolgerin. Allzu exponierte Protagonisten in der internen Auseinandersetzung fielen aus, da sich die beiden Flügel in einem lähmenden Patt gegenüberstanden. 

Mohamed Ali will Partei zusammenhalten

Als Kandidatin trat im Oktober schließlich Caren Lay auf den Plan, eine erfahrene Abgeordnete, die in Partei und Fraktion bereits einige Spitzenämter bekleidet hatte und als Sprecherin für Wohnungs- und Mietenpolitik eines der Kernthemen der Linken besetzt. Doch Lay steht in dem Ruf, eine allzu enge Vertraute der Parteivorsitzenden Kipping zu sein, zumal sie sich in der Auseinandersetzung um die Migrationspolitik eindeutig gegen Wagenknecht positioniert hatte. Ein knapper Sieg des Kipping-Flügels hätte die mittlerweile etwas gesitteter verlaufende Auseinandersetzung in der Fraktion erneut ausbrechen lassen. Das wollte auch deren alter und neuer Ko-Vorsitzender Dietmar Bartsch verhindern. Bartsch, der inhaltlich eher den „Reformern“ nahesteht, sieht sich seit Jahren mit der undankbaren Aufgabe konfrontiert, als permanenter Krisenmanager den Zerfall der Fraktion zu verhindern. Vor diesem Hintergrund trat schließlich Mohamed Ali zur Wahl an. Ihre bislang geringe Profilierung wurde nun zum Vorteil. Mit 36 zu 29 Stimmen setzte sie sich gegen Lay durch.

In die neue Rolle muss sie noch hineinwachsen. Ihre bisherigen Auftritte wirken merkwürdig gestelzt und bestehen aus Aneinanderreihungen bekannter Parteipositionen zu Fragen wie soziale Spaltung, Niedriglohnsektor, Renten, Vormarsch der Rechten, Friedenspolitik, Klimagerechtigkeit und Wohnungskrise, stets garniert mit Beschwörungen der Einheit von Partei und Fraktion. Auch Nachfragen bringen wenig Erhellendes zutage. Ihre erfolgreiche Kandidatur bewertet Mohamed Ali als „Angebot an die Fraktion, alte Konflikte zu überwinden und einen Neuanfang zu wagen“. Eigene politische Schwerpunkte mag sie nicht definieren. Ihre wichtigste Aufgabe sei es, „die Linke zu stärken“ und „konsequent unseren Kern nach vorne zu stellen“.

Partei und Fraktion werden ihr eine Schonfrist einräumen. Erst danach wird sich entscheiden, ob Amira Mohamed Ali für längere Zeit im politischen Rampenlicht stehen wird.
 

Dieser Text ist in der Februar-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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