Annegret Kramp-Karrenbauer - Die Patzer häufen sich

Mit viel Vorschuss-Lorbeeren ging die neue CDU-Parteichefin ins Amt, doch inzwischen macht sich Ernüchterung breit. Nicht erst seit ihrem gestrigen Fehltritt wegen des YouTube-Videos stellt sich die Frage: Hat Annegret Kramp-Karrenbauer wirklich das Zeug zur Kanzlerin?

Eine zweite Chance werden sich Friedrich Merz und Jens Spahn kaum entgehen lassen / picture alliance
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Wahrscheinlich hat sie es wirklich nicht so gemeint. Wobei Annegret Kramp-Karrenbauers geheimnisvoll dräuende Ansage in Sachen YouTube-Video zur „Zerstörung“ der CDU zumindest missverständlich formuliert war. Oder wie soll man es interpretieren, wenn die christdemokratische Parteivorsitzende von versammelter Presse „mit Blick auf das Thema Meinungsmache“ danach fragt, was „eigentlich Regeln aus dem analogen Bereich“ seien und „welche Regeln“ für den digitalen Bereich zu gelten hätten. Das Ganze auch noch verbunden mit dem mütterlich-strengen Nachsatz, darüber werde man sich „unterhalten“ müssen, und zwar „sehr offensiv“.

Tatsächlich hinterlässt die von einer großen Werbeagentur produzierte und kurz vor den EU-Wahlen lancierte Wutrede eines bisher nicht durch politische Meinungsäußerungen auffällig gewordenen Internet-Unterhalters einen unguten Nachgeschmack. Denn es stellt sich die Frage, wer hier eigentlich Regie geführt hat und zu welchem Zweck. Klar ist aber auch: Hätte Bibi Heinicke ihren „Beauty Palace“ auf YouTube dazu genutzt, um ihren Heerscharen an Followern ausnahmsweise keine Schminktipps zu unterbreiten, sondern stattdessen zünftig gegen die Grünen abzuledern, wäre Kramp-Karrenbauers Empörung wohl etwas kleiner ausgefallen.

Wirkt auf der großen Bühne zunehmend überfordert

Die CDU-Chefin hat gestern also zumindest den Eindruck erweckt, „Meinungsmache“ falle nicht unter Meinungsfreiheit und müsse deshalb dringend reglementiert werden, am besten vom Konrad-Adenauer-Haus. Ihr späteres Zurückrudern auf Twitter half da natürlich nichts mehr, die Sache war in der Welt. Und weil über kein Thema derzeit so erbittert gestritten wird wie über Möglichkeit und Grenzen der freien Rede, waren die entsetzten Reaktionen auf Kramp-Karrenbauers seltsames Geschwurbel nicht nur absehbar, sondern programmiert.

Die Vorsitzende einer Regierungspartei muss ihre Worte eben anders wägen als eine ambitionierte Büttenrednerin von der Saar. Wobei sie ja schon in letztgenannter Funktion gemerkt haben dürfte, dass der Wind jetzt anders weht und karnevalistische Sottisen über Gendertoiletten nicht in der gesamten Republik zum Schenkelklopfer taugen. Die mit viel Vorschuss-Lorbeeren ausgestattete Merkel-Nachfolgerin wirkt auf der großen Bühne zunehmend überfordert. Das könnte sich bald rächen.

Keine Freunde beim politischen Nachwuchs

Denn das Welpenschutzprogramm für die saarländische Hoffnungsträgerin ist spätestens am vergangenen Sonntag abgelaufen; das dürftige Ergebnis der CDU bei den Europawahlen fällt nicht nur, aber eben doch zum allergrößten Teil in die Verantwortung Kramp-Karrenbauers. Mit dem hilflosen Versuch ihrer Entourage, die Wahlschlappe der Jungen Union zuzuschieben, macht man sich beim politischen Nachwuchs keine Freunde; dort gehen die Sympathien ohnehin eher in Richtung Friedrich Merz oder Jens Spahn.

Wer derart unklug taktiert wie die neue Parteichefin, die es tagelang nicht vermochte, dem YouTube-Rant eine angemessene Antwort entgegenzusetzen, macht sich angreifbar – und zwar aus den eigenen Reihen, die weit über die Junge Union hinaus keineswegs geschlossen hinter Kramp-Karrenbauer stehen. Man musste gestern Abend nur die Talkshow „Hart, aber fair“ sehen, um den Ernst der Lage zu verstehen: Da hatte der thüringische CDU-Vorsitzende Mike Mohring seine liebe Not, für die eigne Parteichefin die Kastanien wieder aus dem Feuer zu holen. Mohring gelang dieses Kunststück zwar erstaunlich gut, aber Rückenwind für die eigene bevorstehende Landtagswahl sieht gewiss anders aus.

Völlig ohne Gespür

Gelinde gesagt undiplomatisch war bereits Kramp-Karrenbauers Replik auf das Europa-Manifest des französischen Präsidenten Emmanuel Macron im vergangenen März gewesen. Dass es in Paris als Affront aufgefasst werden würde, wenn man von Deutschland aus den Straßburger Sitz des Europaparlaments in Frage stellt und im selben Atemzug eine Vergemeinschaftung von Frankreichs Sitz im UN-Sicherheitsrat fordert, war absehbar. Warum sie das ohnehin fragile deutsch-französische Verhältnis trotzdem mit derlei Provokationen noch zusätzlich belasten musste, bleibt bis auf weiteres Kramp-Karrenbauers Geheimnis. Von großer Frankreich-Expertise der Saarländerin ist bisher jedenfalls wenig zu erkennen.

Völlig ohne Gespür für die richtigen Zwischentöne zeigte sich die CDU-Vorsitzende auch dieser Tage, als sie sich für die EU-Kommissionspräsidentschaft Manfred Webers mit dem Argument aussprach, es gehe darum, „deutsche Interessen“ wahrzunehmen. Das erinnerte allzu sehr an den dümmlichen Satz des ehemaligen CDU-Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder von wegen „Europa spricht jetzt deutsch!“ Chauvinismus in Kombination mit dem ohnehin stets hohen moralischen Ton aus dem Berliner Regierungsviertel, das klingt alles andere als nach einem europapolitischen Erfolgskonzept. Zum Glück muss Helmut Kohl das nicht mehr miterleben.

Steiniger Weg zur Kanzlerschaft

Annegret Kramp-Karrenbauer, soviel steht fest, hat sich selbst angezählt. Sie agiert dabei zwar immer noch deutlich souveräner als ihre waidwunde Kollegin Andrea Nahles von der SPD. Aber weil mit dem jüngsten Siegeszug der Grünen auch über dem Unionshimmel die Wolken immer dunkler werden, ist AKK alles andere als sakrosankt. Die Nervosität in der CDU steigt von Tag zu Tag, viel mehr Patzer wird sich deren Chefin nicht mehr erlauben dürfen. Armin Laschet, Jens Spahn und Friedrich Merz werden sich eine zweite Chance kaum entgehen lassen. Der Weg zur Kanzlerkandidatur wird für Kramp-Karrenbauer deutlich steiniger, als es vor wenigen Wochen noch den Anschein hatte. Und die Steine stammen von ihr selbst.

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