Pamphlet-Skandal - Wer sind die bayerischen Freien Wähler ohne Aiwanger?

Sollte der bayerische Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger zurücktreten müssen, bedeutet das nicht zwangsläufig das Ende der Koalition mit der CSU. Das Problem ist nur: Abgesehen von Aiwanger haben die Freien Wähler kaum bekannte Gesichter.

Beim politischen Aschermittwoch der Freien Wähler: Generalsekretärin Susann Enders, Parteivorsitzender Hubert Aiwanger, Umweltminister Thorsten Glauber und Landtags-Fraktionsvorsitzender Florian Streibl /dpa
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Ferdinand Knauß ist Cicero-Redakteur. Sein Buch „Merkel am Ende. Warum die Methode Angela Merkels nicht mehr in unsere Zeit passt“ ist 2018 im FinanzBuch Verlag erschienen.

 

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„So ein Bündnis hängt nicht an einer einzelnen Person“, sagte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) heute auf einer Pressekonferenz nach dem Koalitionsausschuss wegen des antisemitischen Pamphlets, das sein Vize, der Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger, als Schüler verbreitet oder womöglich auch mitverfasst haben soll. Allerdings zeigt schon die Tatsache, dass er das sagen zu müssen glaubt, dass man im Falle der bayrischen Freien Wähler eben doch diese Partei weitestgehend mit ihrem Vorsitzenden Aiwanger identifiziert. Jedenfalls ist Aiwanger nicht nur der bei weitem prominenteste Politiker der Freien Wähler, sondern fraglos der einzige, der überhaupt eine bayern- und bundesweite Bekanntheit vorzuweisen hat.

Söder machte deutlich, dass Aiwanger nur vorerst im Amt bleibt, bis er 25 Fragen zu der Pamphlet-Affäre schriftlich beantwortet hat. Falls Aiwanger dann doch seinen Ministerposten vor der Wahl am 8. Oktober räumen muss, ist auch ein Rücktritt Aiwangers von seinen Parteiämtern denkbar. Dann müssten die Freien Wähler, zumindest sofern sie sich eine Fortsetzung der Koalition mit Söders CSU offenhalten wollen, ohne ihren Vorsitzenden und ihr einziges mediales Aushängeschild in die Endphase des Wahlkampfes gehen. Apropos, die jüngsten Umfragen (noch vor Bekanntwerden der Aiwanger-Affäre) sehen die Freien Wähler mit Zuwächsen bei bis zu 14 Prozent teilweise als zweitstärkste Partei nach der CSU. Aiwanger selbst kann sich im Stimmkreis Landshut sogar Hoffnung auf ein Direktmandat vor der CSU machen.

Drei potentielle Nachfolger Aiwangers sind denkbar

Doch was wird aus den Freien Wählern, wenn Aiwanger abtreten muss? Wen gibt es da, der Aiwanger als Parteivorsitzender und potentieller Vize-Ministerpräsident in einem neu aufgelegten Koalitionskabinett mit der CSU folgen könnte? Auf den aktuellen Führungsplätzen der Freien Wähler sind drei Namen zu nennen.

 

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Einer davon hat zumindest für ältere Bayern einen gewissen Klang: Florian Streibl. Der 60-jährige Fraktionsvorsitzende im Landtag ist der Sohn des früheren Ministerpräsidenten und Strauß-Nachfolgers Max Streibl, der 1993 sein Amt nach der Amigo-Affäre verlor. Der oft zitierte Satz, die bayerischen Freien Wähler seien „Fleisch vom Fleische der CSU“ hat also jedenfalls in der Person Streibl durchaus auch eine ganz konkrete Bewandtnis. Womöglich hat Streibl Junior, der ein Priesterseminar besuchte, mit der CSU auch noch so etwas wie eine Rechnung offen. Dass er seinen 1998 als „gebrochenen Mann“ verstorbenen Vater heute noch als Opfer seiner eigenen Partei, also der CSU, betrachtet, schreibt jedenfalls der Merkur in einem Porträt über Florian Streibl.

Mit politischen Positionen, die über seine ländlich geprägte oberbayerische Heimat oder gar Bayern hinausreichen, hat Streibl bislang noch nicht für Aufsehen gesorgt, und auch dass Streibl ein begnadeter Wahlkämpfer sei, wird man wohl kaum behaupten. Im Merkur wird er als „Strippenzieher“ im Hintergrund charakterisiert, der über Aiwanger sagt: „Der Hubert ist einfach ein gnadenlos guter Bierzeltredner.“ Wenn Streibl aber die Arbeit seiner Fraktion und der Freien Wähler in Bayern insgesamt lobt, dann schreibt er vom „sachorientierten, pragmatischen und unaufgeregten Politikstil“, der für „Stabilität innerhalb der Staatsregierung“ sorge. Dass Streibl in der nächsten Legislatur in Bayern eine gewichtige Rolle spielen wird – ob mit oder ohne Aiwanger –, ist jedenfalls zu erwarten.

Alle drei Kandidaten sind nicht auf Twitter vertreten

Die nach Aiwanger vielleicht prominenteste Figur der Freien Wähler in Bayern ist Kultusminister Michael Piazolo. Der Jurist und Professor für European Studies ist seit 2006 stellvertretender Landesvorsitzender. Während Aiwanger und Streibl für das bäuerlich-ländliche Bayern stehen, ist Piazolo Münchner. Als Professor und Sohn eines früheren Staatssekretärs kann er auch nicht mit dem volkstribunartigen Auftreten des Landwirts Aiwangers konkurrieren.  Ebenso wie Streibl betont auch Piazolo – ganz in der Kommunal-Tradition der Freien Wähler – auf seiner persönlichen Website kommunale Themen: „München lebenswert erhalten“ ist da die zentrale Botschaft.

Der dritte Minister der Freien Wähler in der bayerischen Staatsregierung und der jüngste (Jahrgang 1970) ist Umweltminister Thorsten Glauber. Der Oberfranke hat seit 2008 überdurchschnittlich gute Erstimmenergebnisse bei den letzten drei Landtagswahlen erreicht. Zuletzt 2018 erreichte der selbständige Architekt 25,2 Prozent im Wahlkreis Oberfranken. Seine Kombination von ökologischen Positionen, inklusive Forcierung erneuerbarer Energiequellen, mit betontem Eintreten für die Interessen heimischer Landwirtschaft scheint bei den Wählern in Franken gut anzukommen. In Bayern und auch über die Landesgrenzen hinaus machte er im Frühjahr auf sich aufmerksam, als er das Abschalten der letzten Atomkraftwerke, darunter das bayerische Isar 2, scharf kritisierte: „Wir werfen Kohlekraftwerke wieder an, betteln bei den Saudis um Gas und steigen gleichzeitig aus der Kernenergie aus. Wir schicken einen kerngesunden 50-Jährigen in den Ruhestand.“ Dass er gerne Minister bleiben möchte, hat er in Interviews ebenso deutlich gemacht wie eine bedächtige Distanzierung nach Aiwangers wütendem Auftritt bei der Demonstration in Erding.

Auffällig ist übrigens bei allen drei genannten Politikern ihre Inaktivität bei „X“ (früher Twitter). Während Streibl und Piazolo fast nur Mitteilungen der Fraktion oder ihres Ministeriums retweeten, bleibt Glauber dem Tummelplatz des polit-medialen Betriebs vollständig fern. Dass dort von allen dreien Bekundungen der Solidarität an Aiwanger fehlen, mag auch durch deren generelle Abneigung gegen das Medium zu erklären sein. Eine solche twitterten allerdings heute nach der Söder-Pressekonferenz der Landtagsabgeordnete Fabian Mehring und die Generalsekretärin Susann Enders.

Falls Aiwanger den Skandal im Amt übersteht, dürfte er das vermutlich nicht vergessen.

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