Verfassungsschutz beobachtet AfD nun bundesweit - Katastrophal kommuniziert

Aus den Verfassungsschutzbehörden wurde an Medien „durchgestochen“, dass die Behörde die AfD zum Verdachtsfall erhoben hat. Diese Entscheidung ist zu bedeutend, als dass sie auf diese Weise kommuniziert werden darf.

AfD-Bundessprecher Tino Chrupalla, Fraktionschef Alexander Gauland: Munition gegen Meuthen / dpa
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Moritz Gathmann ist Chefreporter bei Cicero. Er studierte Russistik und Geschichte in Berlin und war viele Jahre Korrespondent in Russland.

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Wird die gesamte Partei Alternative für Deutschland vom Bundesamt für Verfassungsschutz nun als Verdachtsfall geführt, also mit nachrichtendienstlichen Mitteln überwacht? Wer offiziell anfragt beim Bundesamt, bekommt folgende Antwort: „Mit Blick auf das laufende Verfahren und aus Respekt vor dem Gericht äußert sich das BfV in dieser Angelegenheit nicht öffentlich.“

Das darf es auch gar nicht, denn vor dem Verwaltungsgericht Köln läuft ein Verfahren, in dessen Zuge das BfV zunächst begründen muss, warum eine Beobachtung der AfD gerechtfertigt ist. Anstelle einer offiziellen Erklärung wurde nun aber an Journalisten „durchgestochen“, dass die Partei schon als Verdachtsfall eingestuft worden ist: BfV-Chef Thomas Haldenwang hat diese Entscheidung heute zudem den Chefs der Landesämter bekanntgegeben.

Zur Unzeit und überzogen

Haldenwang hat damit vollzogen, was er vor zwei Jahren in Gang gesetzt hat: Nachdem er den Posten von Hans-Georg Maaßen übernommen hatte, schlug er demonstrativ einen härteren Kurs gegenüber Rechts ein. Kurz nach Amtsantritt erklärte er die AfD zum Prüffall (die erste Stufe der Beobachtung) und gab eine Frist von zwei Jahren an, innerhalb derer man über eine weitere Hochstufung entscheiden wollte.

Es gibt sicher gute Gründe dafür, den Flügel innerhalb der AfD als erwiesen rechtsextrem zu beobachten, wie es das BfV tut. Es gibt auch gute Gründe, die ostdeutschen Landesverbände auf diese Weise staatlich zu sanktionieren. Aber die Beobachtung und damit die Brandmarkung der gesamten Partei ist viererlei: katastrophal kommuniziert, erwartbar, zur Unzeit und überzogen.

Katastrophal kommuniziert ist sie, weil das Amt Ende Januar eigentlich auf einer Pressekonferenz bekanntgeben wollte, dass und warum es die AfD zum rechtsextremistischen Verdachtsfall erhebt. Dass es dazu nicht kam, lag daran, dass offenbar einer der darüber informierten Chefs eines Landesamtes für Verfassungsschutzes die Information an die Medien weitergab. Daraufhin klagte die AfD sowohl gegen die Einstufung als Verdachtsfall wie auch gegen die Bekanntgabe an sich. Die Pressekonferenz, auf der Haldenwang seine Entscheidung dann öffentlich hätte begründen können, war damit geplatzt. Dass die Entscheidung nun „inoffiziell“ bekannt wird, ist die schlechteste Variante.

Ein eigentlich grandioses Wahlkampfthema

Sie war zudem erwartbar, weil Haldenwang offenbar gar nicht mehr anders konnte. Welches mediale und politische Gewitter wäre über ihm niedergegangen, hätte er Anfang dieses Jahres verkündet: Alles halb so schlimm, der Großteil des AfD-Personals bewegt sich auf dem Boden der Verfassung, aber wir bleiben dabei, den Flügel als erwiesen rechtsextrem zu beobachten? Innenminister Horst Seehofer hätte Haldenwang möglicherweise entlassen. Oder die Opposition hätte ein grandioses Wahlkampfthema gegen CDU und CSU auf dem Tablett serviert bekommen.

Zur Unzeit kommt die Entscheidung, weil das Land sich kurz vor Landtagswahlen und praktisch schon im Bundestagswahlkampf befindet. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gilt für die Bundesregierung in den Monaten vor der Wahl die Pflicht zu Mäßigung und Zurückhaltung. Für das BfV, das dem Innenminister unterstellt ist, gilt das erst recht – ganz besonders bei einer Entscheidung, die einen politischen Mitbewerber betrifft.

Natürlich hat es eine politische Wirkung

Überzogen ist die Heraufstufung zum Verdachtsfall, weil es in der Partei, die inzwischen in allen Landesparlamenten vertreten ist und im Bundestag die stärkste Oppositionsfraktion stellt, einen erkennbaren Richtungskampf gibt. Der wurde in letzter Zeit hart geführt, das gemäßigte Meuthen-Lager konnte sich dabei aber in der Mehrzahl der Landesverbände und auf Bundesebene behaupten: Meuthen selbst hatte den Richtungskampf vor einem Jahr mit dem Partei-Ausschluss von Andreas Kalbitz und anderer rechtsextremer Querulanten in Gang gesetzt.

Es ist zwar nicht Aufgabe des Verfassungsschutzes, gemäßigte Tendenzen in einer Partei zu unterstützen. Aber das BfV kann auch nicht so tun, als hätte seine Tätigkeit keine politische Wirkung. Natürlich hat sie die: Eine Partei, die als rechtsextremistischer Verdachtsfall beobachtet wird, kann es sich für Jahre an den Hut stecken, auch nur in die Nähe eines Koalitionspartners zu kommen.

„Und nun, Herr Meuthen?“

Die jetzt getroffene Entscheidung gibt all jenen in der AfD Munition, die Meuthen für seinen Kurs gegen die Radikalen lieber gestern als heute abschießen würden. „Und nun, Herr Meuthen? Hatten Sie von diesem offensichtlich politisch instrumentalisierten Verfassungsschutz wirklich etwas anderes erwartet?“, fragt der Bundestagsabgeordnete Roland Hartwig heute hämisch auf Twitter. Hartwig, der in der AfD die Arbeitsgruppe Verfassungsschutz leitete, war im Dezember von Meuthen abgesetzt worden. Welche Argumente kann Meuthen jetzt parteiintern noch für seinen Kurs der Mäßigung anführen? Man wird ihm antworten: Wir können tun, was wir wollen – das „System“ will uns kleinhalten.

Auch wenn eine Wahl des Vorsitzenden überhaupt nicht auf dem Programm steht: Ob Jörg Meuthen nach Bekanntwerden der Beobachtung durch den Verfassungsschutz den Parteitag im April politisch überleben wird, ist fraglich. Und dann?

Alle, die die Entscheidung des BfV nun beklatschen, sollten sich dessen bewusst sein: Es gibt viele Gründe dafür, warum die AfD nicht aus dem politischen Leben verschwinden wird wie die NPD oder die Republikaner. Man sollte sich daran gewöhnen, mit ihr zu leben. An einer Radikalisierung der Partei kann vor diesem Hintergrund kein Interesse bestehen.

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