Juden in der AfD - Die Alternative für die Alternativlosen?

Der Gründung der Gruppe „Juden in der AfD“ („JAfD“) 2018 begegneten jüdische Organisationen mit erbitterter Kritik. Doch bei manchen wertkonservativen, postsowjetischen Juden, die im islamischen Antisemitismus die größte Gefahr für jüdisches Leben in Deutschland sehen, genießt die AfD durchaus Sympathie.

Protest gegen die Gründung der „JAfD“ 2018 in Frankfurt am Main / dpa
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Autoreninfo

Ilgin Seren Evisen schreibt als freiberufliche Journalistin über die politischen Entwicklungen in der Türkei und im Nahen Osten sowie über tagesaktuelle Politik in Deutschland. 

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Die Gründung der „JAfD“ rief große Bestürzung bei Juden und jüdischen Organisationen Deutschlands hervor. Ausgerechnet eine Partei, die Kontakte zu rechtsextremen Organisationen aufweist und vom Verfassungsschutz unter Beobachtung steht, sollte nun die Rechte der deutschen Juden vertreten? Eine rechtspopulistische Partei als Interessenvertretung jüdischen Lebens zu wählen, passt für viele Juden nicht zu ihrem Selbstverständnis.

Die Gruppierung, die für derartige Provokation sorgte, besteht allerdings nur aus 20 Vollmitgliedern und repräsentiert einen kleinen, aber in jüdischen Gemeinden Deutschlands zahlenmäßig starken Teil jüdischen Lebens in Deutschland. Für JAfD-Gründungsmitglied Artur Abramovych, einen jungen Ukrainer (27), erklärt sich aus der kulturellen Zusammensetzung der jüdischen Gemeinden auch zum Teil die Motivation, sich nicht beim Zentralrat der Juden, sondern in der hierfür eigens gegründeten parteipolitischen Gruppe zu organisieren:

„Für uns Juden aus der ehemaligen Sowjetunion, die wir rund 80% der heutigen Juden in Deutschland ausmachen, lässt sich sagen: Anders als deutsche Juden sind wir überwiegend antikommunistisch und interpretieren das Judentum vornehmlich als Volk und nicht als bloße Konfession. Postsowjetische Juden sind im Zentralratspräsidium massiv unterrepräsentiert, obwohl sie dort meines Erachtens, ihrem Anteil entsprechend, 80% stellen sollten.“

Zentralrat der Juden distanziert sich von der JAfD

Den Vorwürfen, die Juden Deutschlands seien in der Frage der größeren Gefahr für jüdisches Leben in Deutschland entzweit und die JAfD repräsentiere die Gruppe derjenigen, die für sich islamistischen und linken Antisemitismus als größere Bedrohung ausmacht, schließt sich der Zentralrat der Juden nicht an:

„Ich erlebe keinen Riss innerhalb der Gemeinden, weder generationell noch bezogen auf die Herkunft. Wenn einzelne Mitglieder mit der AfD sympathisieren, kann ich mir das nur schwer erklären. Die JAfD ist als Vereinigung überhaupt nicht wahrnehmbar. Sie repräsentiert in keiner Weise jüdisches Leben in Deutschland und war ein Geschöpf der Parteiführung, um über die offensichtlich judenfeindliche Programmatik der Partei hinwegzutäuschen. Die AfD positioniert sich zudem gegen Religionsfreiheit; für mich einer der wichtigsten Grundwerte unserer Verfassung. Auch eine pro-israelische Positionierung erkenne ich nur dann, wenn sie in das Weltbild der AfD-Akteure passt“, so Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden. Tatsächlich spricht sich die AfD gegen die Beschneidung von Männern oder die religiöse Schlachtung von Tieren aus, beides wichtige religiöse Rituale jüdischen Lebens.

Antisemitische Straftaten von Muslimen

Die Unterstützung, die die JAfD aus der AfD erhält, wird von Kritikern gerne als Machtkalkül der Populisten erklärt, als Versuch, rechtsextreme und rassistische Tendenzen mit der Repräsentanz der „Hofjuden“ reinzuwaschen. Das mag stimmen. Die Motive der JAfD-Gründer als populistisch und rassistisch zu bezeichnen, greift allerdings daneben. Die Gründer der JAfD sind wertkonservativ: Für sie stehen wie für viele osteuropäische oder auch muslimische Einwanderer Werte wie die Einheit der Familie, die heterosexuelle Familiennorm, die Pflege traditioneller Werte und religiöser Überlieferungen im Vordergrund. Diese Werte sind spätestens mit der Entstehung der Identitätspolitik und ihrer moralistischen und lauten Rädelsführer, die alles Konservative als rechts und rassistisch bezeichnen, ständigen Angriffen und moralischen Verurteilungen ausgesetzt.

Dazu gesellt sich der fehlende gesellschaftliche Diskurs über linken Antisemitismus, der sich in linksgerichteten Medien und bei linken Meinungsmachern in Form ständiger, unreflektierter Kritik und Pauschalverurteilungen israelischer Innen- und Außenpolitik zeigt.

Hinzu kommt eine gesamtgesellschaftliche und vor allem mediale Ignoranz gegenüber islamistischer Bedrohung jüdischen Lebens in Deutschland. Die Entstehung der JAfD zeigt Parallelen zu jüdischem Wahlverhalten in Frankreich, wo sich wegen zunehmender islamistischer Gewalt Juden der rechtspopulistischen Front-National-Politikerin Marine Le Pen zuwenden. Das Motiv eines solchen Wahlverhaltens liegt in der Verzweiflung einer Minderheit, die in ihrer Geschichte Holocaust und Pogromen ausgesetzt war und neben der altbekannten Gefahr des rechtsextremistischen Antisemitismus zunehmend linken und islamistischen Antisemitismus erlebt. Die AfD wird für Juden auch deshalb zu einer Alternative zu anderen Parteien, weil sie über die wachsende Gefahr durch diese Formen von Antisemitismus redet und sie anders als linke oder bürgerliche Parteien nicht mit Tabus und Sprachnormen im Keim erstickt.

 

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Für Artur Abramovych und seine Parteikollegen steht fest, dass islamistischer Antisemitismus für jüdisches Leben in Deutschland die größere Gefahr darstellt: „Die meisten antisemitischen Straftaten in Deutschland werden nicht etwa von Rechten, sondern von Muslimen verübt. Diesen Umstand bestätigen auch Umfragen unter Juden in Deutschland. Zum Beispiel eine Studie der Universität Bielefeld zu jüdischen Perspektiven auf Antisemitismus in Deutschland aus dem Jahre 2017. Von einer Gruppe, die bislang nur rund 10% der deutschen Bevölkerung ausmacht, gehen rund 80% der Gewalttaten gegen Juden aus: Das ist eine 36-fache Überrepräsentation.“

„Dass die polizeiliche Kriminalstatistik diesen Umstand nicht zu erfassen imstande ist“, so Abramovych weiter, „liegt an ihren Spezifika: Sie ist rein technokratisch und missachtet sowohl den Täterhintergrund als auch den Kontext der Tat. Zudem erfasst sie jedwedes Verwenden verfassungsfeindlicher Symbolik als Politisch motivierte Kriminalität (PMK). So kommt es, dass ein Syrer, der Hakenkreuze an die Wände seines Asylantenheims malt, um einen Nazi-Angriff zu fingieren, als rechts in die Statistik eingeht. Und auch ein Afghane, der beim Oktoberfest in München so lange den Hitlergruß zeigt, bis er abgeführt wird, geht in die Statistik als rechts ein.“

Josef Schuster vom Zentralrat der Juden widerspricht dieser Einschätzung: „Alle Statistiken zeigen, der gewaltbereite Antisemitismus geht weitestgehend vom Rechtsextremismus und von verschwörungsideologischen Kreisen aus. Zur Wahrheit gehört aber ebenso, was nicht immer in den Statistiken auftaucht, dass es aus dem muslimischen Bereich einen latenten Antisemitismus gibt, der sich gegen Jüdinnen und Juden sowie den Staat Israel richtet.“

Islamistischer Judenhass auf deutschen Straßen

Konflikte im Nahen Osten zeigen sich auf deutschen Straßen mit „Tod den Juden“- oder „Allah soll Hitler segnen“-Rufen. Wovor säkulare, meist muslimische, Migranten aus dem Nahen Osten seit Jahrzehnten warnen, ist auf deutschen Straßen und im öffentlichen Raum längst Realität: Jeder Konflikt im Ursprungsland einer Minderheit wird Teil der deutschen Realität – in Form eines wütenden Mobs, der Juden den Tod wünscht oder queere Menschen als Abschaum bezeichnet.

Deutsche Sicherheitspolitik wird von außenpolitischen Ereignissen mitbestimmt und entfremdet deutsche Wähler von linken und konservativ-bürgerlichen Parteien, denen ein Ignorieren dieser Probleme und eine sicherheitspolitische Inkompetenz vorgeworfen werden. Was von bürgerlichen Parteien nicht aufgegriffen wird, nämlich die Loyalität eingewanderter Migranten ihrem Herkunftsland und dessen politischen Problemen gegenüber, findet in der rechtspopulistischen AfD einen strategisch gut kalkulierenden Abnehmer.

Auch für Abramovych sind außenpolitische Rivalitäten und Feindschaften ein Grund für die Sympathie, die die AfD bei manchen ex-sowjetischen Juden genießt: „Das Problem mit dem politischen Islam ist, dass er die prädominante Form der heutigen Islamauslegung ist. Lässt man die Menschen in arabischen Ländern abstimmen, werden sie, mit der einzigen Ausnahme Tunesiens, mehrheitlich für Islamisten stimmen, in sunnitischen Ländern hauptsächlich für die Muslimbruderschaft. Wir sind uns natürlich dessen bewusst, dass es islamische Länder wie die Türkei und Aserbaidschan gibt, wo viele Muslime keine Islamisten sind und sogar ein gutes Verhältnis zu Juden haben, im Fall der Türkei insbesondere die Gruppe der Aleviten. Dieser Umstand ändert aber leider nichts daran, dass die meisten Araber, und von arabischen Ländern ist Israel ausnahmslos umgeben, kein gutes Verhältnis zu Juden haben.“

Widersprüche in den Anliegen der JAfD und ihrer Mutterpartei

Während die Juden in der AfD sich von bürgerlichen und linken Parteien mit ihren Sorgen nicht ernstgenommen fühlen, setzt der Zentralrat der Juden auf Abbau von Ressentiments durch Dialogprojekte: „Es gibt wichtige Akteure der muslimischem Community, mit denen wir zusammenarbeiten, unter anderem in der Denkfabrik Schalom Aleikum, um über Begegnungen und Bildung Vorurteile abzubauen. Häufig haben Muslime und Juden ganz ähnliche Geschichten zu erzählen. Leider gibt es kaum offizielle Ansprechpartner auf muslimischer Seite, sodass vieles im Kleinen bleibt“, so Schuster.

Allerdings ist für den Zentralratspräsidenten klar, dass es Stadtteile in Deutschland gibt, in die Juden lieber nicht gehen sollten: „Mir bereitet es schon Sorge, dass es Orte wie Berlin-Neukölln gibt, an denen ich keinem Juden empfehlen würde, sichtbar eine Kippa zu tragen. Es geht am Ende einerseits über Bildung und Dialog und dort, wo es nicht funktioniert, über einen starken Rechtsstaat“, so Schuster, dem die Bedrohung jüdischen Lebens auch durch islamistische Antisemiten bekannt ist.

Die Anliegen der JAfD und ihrer Mutterpartei sind oft auch widersprüchlich. Einen Riss erfuhr das Verhältnis durch die Positionierung der Parteispitze zum Ukrainekrieg. Viele Mitglieder der JAfD stammen aus Osteuropa, für den „patriotischen Kampf der Ukrainer gegen den kryptosowjetischen Imperialismus Putins“ – so Abramovych – haben Sie vollstes Verständnis und wünschen sich eine ähnliche Positionierung auch von der AfD.

Deutsche Medien begegnen der JAfD mit der Moralkeule

Jüdische Kinder lernen – so weiß es der Volksmund – als erstes folgendes Wort: Warum? Die jüdische Kultur ist bekannt für ihre Diskussionsfreude, ihre Liebe zur Demokratie und zur Gerechtigkeit. Die Spaltung in der jüdischen Community und die Präferenz einer eindeutig rechtspopulistischen Partei zeigt die Verzweiflung und das Gefühl einer politischen Ohnmacht und Alternativlosigkeit einer Minderheit, die neben der gewohnten Bedrohung durch Rechtsextreme nun auch die Gefahr islamistischer Übergriffe und Pöbeleien fürchten muss.

Der Rapport der Universität Bielefeld und des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung zeigt, dass befragte jüdische Bürger des Landes öfter von islamischen Mitbürgern beleidigt, bedroht oder gar gewaltsam angegriffen wurden als von christlichen. In Statistiken zu antisemitischen Übergriffen fließen diese Taten nicht ein, da sie mehrheitlich nicht zur Anzeige gebracht werden. Wer Le Pen wählt, weil er Angst davor hat, beim Shoppen im koscheren Supermarkt überfallen zu werden oder aus Angst vor Pöbeleien manche deutsche Stadtteile nicht mit jüdischen Symbolen betreten kann und davor sogar vom Zentralrat der Juden gewarnt wird, hat das Recht, wütend zu sein. Wütend auf ein politisches System, das aus einer falsch verstandenen Form von politischer Korrektheit sicherheitspolitische Debatten nicht anstößt.

Der Aufregung um die Gründung der JAfD wurde in den deutschen Medien mit Moral statt mit Analyse und politischen Konsequenzen begegnet. Was jüdische Bürger brauchen, ist primär Schutz und die Garantie, dass sie ihre Religion ausleben und ihre Identität durch das Tragen religiöser Symbole zum Ausdruck bringen können, ohne Pöbeleien oder Gewalt zu befürchten. Aus politischem Kalkül Minderheiten gegeneinander auszuspielen, wie die AfD dies macht, ist genauso verwerflich wie als Vorbereitung für die nächsten Wahlen die zahlenmäßig stärkere Minderheit mit Samthandschuhen anzufassen, wie es linke Parteien in Deutschland praktizieren. Das politische System und die wirtschaftliche Entwicklung der Bundesrepublik wird letztlich zeigen, ob es für deutsche Juden – egal in welcher Partei – eine Zukunft gibt oder ob sie sich wie zuletzt in Frankreich und Russland geschehen für eine Auswanderung nach Israel entscheiden.

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