AfD im Abseits - Meuthens Problem heißt weder Kalbitz noch Höcke

Unabhängig vom Ausgang des derzeitigen Macht- und Richtungskampfes in der AfD: Die Partei dürfte ihre stärksten Zeiten hinter sich haben. Selbst wenn Jörg Meuthen in der Causa Kalbitz gewinnen sollte, könnte er am Ende der große Verlierer sein.

Meuthen ist einiges, aber ein Charakterkopf wie Gauland ist er nicht / dpa
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Völlig unabhängig davon, was man von der AfD generell halten mag: Jörg Meuthen ist derzeit Respekt zu zollen. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, sich der immer weitergehenden, fast automatischen Radikalisierung seiner Partei entgegenzustellen, obwohl er wissen muss, dass an dieser Aufgabe schon seine Vorgänger gescheitert sind. Wie ein kleiner Schlepper im Hafen versucht er, das Schiff aus dem Schlammig-Völkischen ins Konservativ-Bürgerliche zu ziehen. 

Die drei anderen denkbaren Schlepper liegen entweder träge an der Hafenmole oder zerren sogar in die entgegengesetzte Richtung. Von seinem Co-Vorsitzenden Tino Chrupalla hat Meuthen bei seiner Aktion nichts zu erwarten, und von der Fraktionsvorsitzenden Alice Weidel auch nicht. Der eine sieht zwar harmlos aus, denkt aber genauso wie die Radikalinskis um Björn Höcke und Andreas Kalbitz. Die andere hat in ihrer Einsamkeit in der AfD bei den Kameraden von der strammen Abteilung eine geduldete Heimat gefunden.

Der Patriarch der Partei

Meuthens Problem heißt aber weder Chrupalla noch Weidel. Es heißt auch nicht Höcke oder Kalbitz. Es heißt Gauland. Alexander Gauland ist der Patriarch dieser Partei. Als Gründungsmitglied hat er ihre Häutungen von Bernd Lucke zu Frauke Petry und jetzt Jörg Meuthen miterlebt. Dabei ist er wie eine Mischung aus Oskar Lafontaine, Joschka Fischer und Helmut Kohl in einer Person.

Mit Lafontaine verbindet ihn die Feindschaft gegenüber seiner einstmals angestammten Partei, in seinem Fall die CDU, für die er in vielen respektablen Positionen tätig war. Seit 2013 aber gibt es eigentlich nur ein Kontinuum bei Alexander Gauland, das all sein Gebaren und vor allem das, was er duldet, erklärt: Der CDU so viel wie möglich zu schaden. Dafür ist ihm jedes Mittel und auch jeder Kampfgefährte recht. Es gehört eine Menge Chuzpe dazu, Leute wie Höcke und Kalbitz kaltschnäuzig dem bürgerlichen Lager zuzurechnen. Allein die Wortwahl Höckes nach dem Parteiausschluss von Kalbitz zeigt, welche Saiten der Scharfmacher zum Schwingen bringen will. Von „Verrat“ und von „Überfall“ hat er gesprochen. „Zurückschießen“ hat gerade noch gefehlt. 

Die AfD hat ihre stärksten Zeiten hinter sich

Für seine Mission gegen seine alte Partei sind Gauland alle Mittel und Mitstreiter recht. Und er ist zugleich wie Joschka Fischer bei den Grünen, die heimliche Nummer Eins, egal, wer die Partei formal führt. Und wie Helmut Kohl deren Ehrenvorsitzender, der ein ebenso fahles Licht auf die seriösen Teile der Partei wirft wie seinerzeit der Ex-Kanzler mit seinen aufgeflogenen schwarzen Kassen.

Ob sich Meuthen gegen den Paten Gauland und die beiden Pappkameraden Weidel und Chrupalla durchsetzen wird in seinem Versuch der Säuberung, ist bis hierher völlig offen. Es zeichnet sich aber ab, dass unabhängig vom Ausgang dieses Macht- und Richtungskampfes die AfD ihre stärksten Zeiten hinter sich hat. 

Charakterkopf an der Spitze

Parteien dieser Prägung haben immer von einem Charakterkopf an der Spitze gelebt und nur mit einer solchen Figur ihre (kurze) Blüte gehabt. Franz Schönhuber und seine Republikaner sind dafür das Role Model. Wenn es Meuthen gelingt, Gauland niederzuringen, ist dessen Zeit vorbei. Und Meuthen ist einiges, aber ein ähnlich markanter Charakterkopf wie Gauland ist er nicht. 

Verliert die AfD aber ihren Urvater und den rechten Flügel gleichzeitig, dann wird es rein rechnerisch schon knapper, weil die Radikalen von Bord gehen und die Bürgerlichen nicht automatisch zusteigen, zumal die in einer CDU nach der Flüchtlingskrise und durch Corona wieder mehr gebunden und zu Hause sind. 

Diese Partei lebt von der Angst

Dazu kommt, dass die Zeitläufe der AfD eine Diät auftischen. Diese Partei lebt von der Angst. Zwar verbreitet das Virus diese auch, sie ist aber viel amorpher, viel weniger mit Händen zu greifen als jene vor Migranten. Daher ist sie politisch viel schwerer zu instrumentalisieren. Man hat in den vergangenen Wochen gemerkt, wie schwer sich die AfD damit tut, aus Corona politisch Kapital zu schlagen.

Ängste ernten, wo die Maßnahmen das Land vor einem großen Sterben bewahrt haben? Außer Meckern und Maulen über eine angebliche Corona-Diktatur und einen überzogenen Lockdown bleibt nicht viel. Und der Resonanzraum ist ungleich kleiner als 2015, als man politisch plausibel machen konnte, dass die deutsche Regierung da ein streitbares Solo hinlegt. Aber jetzt? Wenn es die ganze Welt so macht wie Merkel und selbst Putin Russland acht Wochen stilllegt? Schwierig. Und dann kommt 2021 im Bundestagswahlkampf auch noch die Person abhanden, an der man sich zum eigenen politischen Nutzen nun zehn Jahre abarbeiten konnte.  

So kann Jörg Meuthen das tragische Schicksal drohen, einen Sieg davon zu tragen und dann die neue Nummer Eins einer Partei zu sein, die danach dennoch allmählich diffundiert und schließlich ganz verschwindet.

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