Mitgliederentscheid der SPD - Schulz allein zu Haus

Martin Schulz will nun doch nicht Außenminister werden, um ein positives Ergebnis beim Mitgliederentscheid nicht zu gefährden. Verfassungsrechtlich ist dieser vorauseilende Gehorsam fragwürdig. Aber auch bei der Union verwischt sich die Kompetenzverteilung zwischen Partei und Fraktion

Martin Schulz: Das Verfallsdatum seiner Festlegungen wird immer kürzer, die Szenerie immer kafkaesker / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Gernot Fritz arbeitet als Rechtsanwalt. Früher war er Bundesbeamter, zuletzt bis 1999 Ministerialdirektor und stellvertretender Chef des Bundespräsidialamtes.

So erreichen Sie Gernot Fritz:

Anzeige

Martin Schulz machte es vor der Presse kurz: „Ich habe mich entschieden, in die Bundesregierung einzutreten – und zwar als Außenminister.“ Zusammen mit Andrea Nahles verfügte er außerdem, dass sie ihn an der Parteispitze beerbt und Olaf Scholz Vizekanzler wird. Auch Schulz selbst verdankte seine kurze SPD-Regentschaft einer Abrede mit seinem Vorgänger. Gabriels beleidigte Reaktion auf den Bruch der heimlichen Zusage, in einer Großen Koalition Außenminister bleiben zu dürfen, lässt vermuten, dass in seiner Partei Posten auch bisher im Hinterzimmer vergeben wurden. Nun also die neuerliche Rolle rückwärts: Schulz übernimmt das Amt doch nicht. Das Verfallsdatum seiner Festlegungen wird immer kürzer, die Szenerie immer kafkaesker.

Nun mag die SPD die Auswahl ihres Führungspersonals durch Zugriff und Umverteilung von oben hinnehmen. Unbehagen bereitet allerdings der Umgang mit Regierungsämtern. Das Grundgesetz sieht eindeutige Zuständigkeiten und einen klaren Fahrplan vor: Der Bundestag wählt den Bundeskanzler mit der Mehrheit seiner Mitglieder; die Minister werden dann auf Vorschlag des Bundeskanzlers durch den Bundespräsidenten ernannt. Bei diesem Vorgang ist von Parteien nicht die Rede, schon gar nicht von der Selbstberufung ihrer Funktionäre in bestimmte Ämter. 

Drohkulisse SPD-Mitgliederentscheid

Der Sündenfall ist allerdings nicht neu. Auch bisher haben vorrangig die Parteien verhandelt und entschieden, wer mit wem eine Regierung bildet. Koalitionsverträge werden in der Staatspraxis durch die Partei- und Fraktionsvorsitzenden gemeinsam geschlossen. In ihnen werden nicht nur politische Projekte vereinbart, sondern auch die Ressortverteilung und das Bestimmungsrecht der Parteien für die Ministerposten festgelegt. Die Abgeordneten kommen erst ins Spiel, wenn die Absprachen unter Dach und Fach sind. Es mag gute Gründe dafür geben, sich auf diese Weise der Unterstützung der koalierenden Parteien für die künftige Regierung zu versichern. Vor allem soll das Verfahren eine gewisse Stabilität gewährleisten. Dennoch muss die Praxis in Sichtnähe der Verfassung bleiben. 

Dass der Zugriff und Verzicht des Noch-Vorsitzenden auf das Auswärtige Amt unter dem Vorbehalt des Mitgliedervotums der SPD steht, macht den Vorgang nicht besser. Natürlich darf die SPD-Führung ihre Vorstellungen für ein Regierungsprogramm mit ihrer Basis rückkoppeln. Aber zuständig für die parlamentarische Entscheidung über die Regierung sind nicht die Mitglieder der SPD, sondern ausschließlich deren Parlamentarier, die nach dem Grundgesetz von Aufträgen und Weisungen frei sind. Der Mitgliederentscheid kann die SPD-Parlamentarier also rechtlich nicht binden, obwohl er genau dies bezweckt und auch tatsächlich bewirkt. Die Abgeordneten werden auf die Rolle abhängiger Parteigänger reduziert – das imperative Mandat lässt grüßen. Die Drohkulisse der bevorstehenden SPD-Abstimmung hat schon die Verhandlungen maßgeblich beeinflusst und Bundeskanzlerin Angela Merkel veranlasst, die SPD als Siegerin erscheinen zu lassen, um deren Basis gnädig zu stimmen – Wählervotum hin oder her. Und dennoch bleibt die Bundeskanzlerin weiter die Gefangene der Stimmungslage der Sozialdemokraten.

Auch Merkels Wiederwahl nicht gesichert

Bei der CDU soll ein Parteitag den Koalitionsvertrag absegnen, die Fraktion wurde bisher vorsichtshalber gar nicht zur Abstimmung aufgefordert. Es ist wahrscheinlich, dass die Partei ihrer Vorsitzenden trotz vieler Bedenken die Gefolgschaft nicht versagt. Aber auch bei der Union verwischt sich die verfassungsrechtliche Kompetenzverteilung zwischen Partei und Fraktion. Zuerst entscheidet die Partei, was vorrangig durch deren Parlamentarier zu bestimmen wäre. 

In der SPD tobt ein seltsamer Kampf, der entweder die Koalitionsvereinbarung platzen lässt und die Partei gänzlich enthauptet, oder – im Falle der Zustimmung – eine allenfalls widerwillige Anerkennung der Vaterschaft für das ungewollte Kind erwarten lässt. Es wird dann eine Koalition mit Metastasen, von der Stabilität kaum zu erwarten ist. Bereits die Kanzlerwahl bleibt ergebnisoffen. Denn nicht alle SPD-Abgeordneten, die sich gegen die Koalition positioniert haben, besitzen die gleichen Umfallerqualitäten wie Martin Schulz. Und auch bei der Union ist eine einheitliche Zustimmung unwahrscheinlich, nachdem dort die politische und personelle Ausbeute der Koalitionsvereinbarungen unisono als dürftig eingeschätzt wird. Zwar ist denkbar, dass einige Parlamentarier anderer Fraktionen aus Angst vor einem Mandatsverlust bei Neuwahlen Merkel ihre Stimme geben, aber setzen darf die Kanzlerin hierauf nicht. 

Ob die Koalitionäre bei einem Scheitern im ersten Wahlgang einen Plan B haben, ist ungewiss. Besser freilich wäre es, wenn sie ihn hätten. 

Anzeige