Freisbachs Bürgermeister Gauweiler im Interview - „Über 1000 Gemeinden haben das gleiche Problem“

Im rheinland-pfälzischen Freisbach sind Gemeinderat und Bürgermeister aus Protest geschlossen zurückgetreten. Im Interview kritisiert Ortsbürgermeister Peter Gauweiler weltfremde Vorgaben des Landes an die Kommunen und erklärt, warum er sich im Stich gelassen fühlt.

Während einer Sitzung mit Bürgermeister Gauweiler und dem Gemeinderat, erklären diese den Freisbacher Bürgern ihren Rücktritt / dpa
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Autoreninfo

Alexandre Kintzinger studiert im Master Wissenschafts- philosophie an der WWU Münster und arbeitet nebenbei als freier Journalist. Er ist Stipendiat der Journalistischen Nachwuchsförderung (JONA) der Konrad-Adenauer-Stiftung. 

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Herr Gauweiler, was überwiegt nach dem kollektiven Rücktritt bei Ihnen? Freude über Ihren Befreiungsschlag? Oder Bedauern, dass es soweit kommen musste?

Bedauern, dass es so weit kommen musste. Meine 25-jährige Amtszeit hätte bei der nächsten Kommunalwahl geendet. Meine engagierten Ratsmitglieder wollten jedoch noch weitermachen. Für uns alle war das kein einfacher Schritt. Doch wir haben ihn als einzige Möglichkeit empfunden, weil wir das Mandat des Wählers, der uns gewählt hat, nicht mehr erfüllen können.  

Haben Sie mit so viel Medienaufmerksamkeit gerechnet?

Ich habe mit Medienaufmerksamkeit gerechnet. Dass wir aber bundesweit so aufschlagen, das war mir nicht bewusst. Wir waren die ersten, die sowas gemacht haben. Noch nie gab es einen Rücktritt von einem Bürgermeister und einen Gemeinderat zur gleichen Zeit. Aber dass so viel dabei rauskommt in den Medien, hätte ich nicht gedacht. Ich kriege Anrufe von Kollegen aus den neuen Bundesländern, die mir sagen, sie hätten das vorher nicht geglaubt. Der Zuspruch ist aber groß.

 

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Sie kritisieren die SPD-geführte Landesregierung von Rheinland-Pfalz, weil sie den Kommunen immer mehr Aufgaben aufbürdet, aber nicht genug Geld dafür bereitstellt. Warum übersieht die Landesregierung, dass sie die Kommunen damit finanziell überfordert?

Weil sie vielleicht abgehoben ist. Es gibt zwei Urteile vom Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz, wonach entschieden wurde, dass die Landesregierung die finanzielle Ausstattung der Kommunen verbessern muss. Darauf hatte der Innenminister erklärt, er stelle den Kommunen 350 Millionen Euro mehr zu Verfügung. Doch die 350 Millionen Euro mehr ändern nichts an der Tatsache, dass wir immer noch sehr wenig Geld haben, um unsere Aufgaben zu erfüllen.

Besteht also ein Kommunikationsproblem zwischen den Kommunen und dem Land? Als Außenstehender möchte man meinen, dass das Land ja irgendwie einen Überblick haben muss, wie es den Kommunen finanziell geht.

Es ist nicht unbedingt ganz einfach für das Land, das zu sehen; wegen der ganz unterschiedlichen Strukturen. Es gibt ein Einschreiben von Innenminister Ebling vom Mai, wo er seine Kommunalaufsichten anweist, defizitäre Haushalte nicht mehr zu genehmigen. Wir haben 24 Landkreise, wir haben kreisfreie Städte, wir haben kreisangehörige Städte, wir haben Ortsgemeinden, alle mit unterschiedlichen Anforderungen und unterschiedlichen Profilen. Und da passt so ein Schreiben, welches für alle gleich ist, nicht. Als jemand vor Ort kann ich in meiner kleinen Gemeinde einschätzen, wo es bei uns hängt. Ich habe hier fünf städtische Gebäude, ich kann jedes Gebäude beurteilen, ich weiß, was ich brauche. Ich habe hier keine goldenen Brücken gebaut und trotzdem reichen mir die Mittel nicht aus, die ich bekomme, um den Haushalt auszugleichen.  

Ein großes Problem in Freisbach ist die Sporthalle. Die ist dringend renovierungsbedürftig. Die Elektrik und die Technik sind auf dem Stand von 1972, auch ihre Kindertagesstätte ist viel zu klein. Warum blieben Renovierungen und Modernisierungen aus? Nur wegen des Geldes? 

Das Problem sind auch die Standards, die das Land setzt. Zum Beispiel neue Kindergartenplätze, Ganztagsbetreuung, Mittagessen für alle. Das sind alles Anforderungen, die erstmal vor Ort mit unseren Kosten entsprechend erfüllt werden müssen. Das bedeutet, es gibt dann zwei Möglichkeiten: Entweder finanziert das Land die Kommunen weiter aus oder es senkt die Standards, die sie vorgibt. Es gibt diesen Spruch: Wer bestellt, der bezahlt. Fakt ist: Es wird bezahlt, aber nicht ausreichend.

Braucht es also eine gerechtere Verteilung des Geldes auf die Kommunen? Oder eine zielgerichtete Verteilung der Mittel für konkrete Projekte?

Sagen wir so: Als Firma wäre ich schon pleite. Kommunen können nicht insolvent gehen. Denn ganz plakativ gesehen, ist es egal, ob mein Haushalt in den negativen Bereich geht. Wenn ich aufgrund der Aufgaben, die ich für andere wahrnehme, anderen Dingen nicht mehr nachkommen kann; von dem, was in meinem Dorf in Sachen kommunaler Verwaltung verlangt wird – wegen der fehlenden Genehmigung des Haushalts –, dann ist das ein Fehler im System. 2022 war es noch möglich, der zuständigen Behörde zu erklären, warum der Haushalt im negativen Bereich war, weshalb die Kreisverwaltung diesen dann auch genehmigt hat. Durch das neue Schreiben des Ministers, gibt es keinen Handlungsspielraum mehr für die Kreisverwaltung und die Haushalte werden dann nicht genehmigt. Die Folge ist: Ich habe einen Stillstand in der Gemeinde.

Ist die Bürokratie das Problem? Die Kommunalaufsicht sagt, die Gemeinden sollen die Steuern für die Bürger anheben. Was halten sie davon?

Von Bürokratie eigentlich nicht, eher von den Vorgaben, die aus meiner Sicht weltfremd sind. Und was die Steuererhöhungen angeht: Ich kann nicht einfach den Steuersatz auf 90 Prozent hochheben. Selbst wenn ich die Steuersätze verdreifachte, ist mein Haushalt immer noch negativ. Wie soll ich den Bürgern dann erklären, dass die höhere Steuerbelastung zu nichts führt?

Peter Gauweiler während der Sitzung / dpa

Was müsste sich grundlegend ändern im Verhältnis von Land und Kommunen, damit in Zukunft solche Zustände in den Gemeinden überhaupt nicht mehr vorkommen?

Einige Ansätze gibt es schon. Die kommunalen Spitzenverbände sind da schon seit fünf Jahren dran, damit das Land die Kommunen besser ausstattet. Der Innenminister versprach dahingehend fünf Millionen Euro mehr. Die finanziellen Hilfen reichen jedoch nicht aus. Und das Problem, dass negative Haushalte nicht genehmigt werden, verschwindet dadurch nicht. Es gibt eine Umfrage vom Spitzenverband, aktuell haben über 1000 Gemeinden keine ausgeglichenen Haushalte. Man kann mir ja vorwerfen, ich sei ein schlechter Haushälter. Aber wenn über 1000 Gemeinden das gleiche Problem haben, dann gibt es vielleicht ein größeres Problem.

Hoffen Sie, dass andere Gemeinden Ihrem Beispiel folgen, um die Landesregierung noch stärker zum Handeln zu bewegen?

Wenn alle, die mich angerufen sowie per Email kontaktiert und ihren Unmut geäußert haben, konsequent reagieren auf das, was sie mir alles erzählten, dann wäre das ein Erfolg. Das Signal, das wir jetzt gesendet haben, ist schon überproportional zu der Größe unserer Gemeinde. Ich brauche keine Titelgeschichte in der Bild. Aber wenn es was hilft, kann ich damit leben.  

Birgt eine Vernachlässigung der Kommunen eine Gefahr für die Demokratie, da die Bürger das Vertrauen in den Staat verlieren, wenn dieser schon bei der Instandhaltung  grundlegender öffentlicher Infrastruktur versagt?

Unmut ist ja schon vorhanden, aufgrund der aktuellen Situation: der Energiekrise, der Pandemie und so weiter. Klar, dass dann nicht jeder Bürger mit allen Entscheidungen des Bundeslandes einverstanden sein mag. Und jetzt kommen wir entsprechend als Kommune hinzu, und sagen den Bürgern: Bei eurer geliebten Sport- und Kulturhalle, da können wir nichts machen, weil wir kein Geld dafür bekommen. Das ist nicht direkt ein Schaden für die Demokratie, aber das Ehrenamt ist in Gefahr. Die Folge daraus ist, dass sich dann immer weniger Bürger engagieren werden. In Rheinland-Pfalz werden 2450 Ortsgemeinden ehrenamtlich geführt, also mit ehrenamtlichen Bürgermeistern und ehrenamtlichen Gemeinderäten. Rheinland-Pfalz rühmt sich damit, das Land der Ehrenämtler zu sein. Doch wenn all diese Ehrenämtler gar nichts mehr bewegen können in ihren Kommunen, haben die auch keine Lust mehr. Und dann haben wir ein großes Problem.

Das Gespräch führte Alexandre Kintzinger

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