Bauernproteste - „Es stimmt alles nicht mehr“

Die demonstrierenden Bauern zeigen sich vom Auftritt von Finanzminister Christian Lindner wenig beeindruckt. Teilnehmer erklären, warum sie noch lange weitermachen wollen, wenn die Regierung ihren Forderungen nicht nachgibt.

Demonstranten in Berlin, 15.01.2024 / dpa
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Jakob Ranke ist Volontär der Wochenzeitung Die Tagespost und lebt in Würzburg. Derzeit absolviert er eine Redaktions-Hospitanz bei Cicero.

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„Ich heiße Jens Kecker, komme aus Leipzig, aus dem wunderschönen Sachsen, und ich erhoffe mir, dass die Regierung noch einlenkt oder im besten Fall geschlossen zurücktritt.“ Kecker, der an diesem Montag der letzte bleiben soll, der spontan mit vollen Namen zu seiner Meinung stehen will, ist gar kein Landwirt, sondern angestellter Baumaschinenführer. Trotzdem verbringt er nun bereits den fünften Tag auf der Bauerndemonstration in Berlin. 

„Die Mauterhöhung und die CO2-Bepreisung trifft uns ja auch.“ Und: „Was der Chef an Geld für Steuern zahlt, kann er mir nicht mehr als Lohn zahlen.“ Den CO2-Preis sähe Kecker gern komplett abgeschafft. „Die Sache mit dem menschengemachten Klimawandel“ sieht er „ein bisschen anders“, meint der Sachse augenzwinkernd.

Das Wetter jedenfalls zum heutigen Höhepunkt des Bauernprotests war kein Argument für die Teilnahme. Nasskalt (zwei Grad), dazu ein leichter Wind. Jeder Schritt auf den Park-Wegen rund um die Straße des 17. Juni, an deren Fluchtpunkt vor dem Brandenburger Tor die Rednerbühne steht, hinterlässt neue Matschtropfen auf den Funktionshosen der Landwirte. Später soll es schneien. Die rund 30000 Bauern, LKW-Fahrer und weitere Frühaufsteher haben sich, so gut es geht, mit ihren Traktoren auf der kilometerlangen Straße eingerichtet. Dünner Rauch steigt aus verrosteten Feuertonnen, um die sich campende Protestierer versammelt haben. Zum Frühstück gibt es Suppe aus der Gulaschkanone. Auch für die Einheimischen fällt etwas ab. So wird der ein oder andere leergetrunkene Bierkasten zur Beute Berliner Flaschensammler.

 

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Vor einem roten VW Bulli, dessen Kühlerhaube ein Plakat mit der Aufschrift „Gebt uns unsere Freiheit zurück“ ziert, unterhalten sich zwei Frauen mittleren Alters. Sie kommen aus dem Spreewald, mehr zu sich selbst wollen sie nicht sagen – sie fürchten die Gefahr beruflicher Nachteile. Seit vier Tagen steht ihr Wagen da, mit wechselnder Besetzung. An einem kleinen Campingwaschbecken im Inneren spült ein stämmiger Mittfünfziger Plastikgeschirr, im Mundwinkel eine Zigarette. „Namen sind unwichtig“, meint er, die Botschaften zählen. 

Eine der Damen erläutert das Transparent. „Die Freiheit wurde uns das erste mal schon ganz massiv bei Corona eingeschränkt.“ Sie sei ungeimpft – und „lebe immer noch“. Jetzt sei sie in Vertretung ihres Mannes hier, der Landwirt ist und heute arbeiten muss. So könne es schließlich wirtschaftlich nicht weitergehen: Sinnlose Bürokratie, jetzt die Inflation. „Es stimmt alles nicht mehr“, murmelt ihre Kollegin. Sie ist noch sauer von letzter Woche. Auf der zwischenzeitlichen Rückfahrt von Berlin sei im Radio von AfD- und Reichsflaggen die Rede gewesen. „Nichts davon haben wir gesehen.“ Alle drei wollen bleiben, bis die Regierung Zugeständnisse macht – oder der Platz geräumt wird.

Weiter vorne, vor der Bühne am Brandenburger Tor, ist die Stimmung etwas aufgelockerter. Hupen, Trommeln, Pfeifen; irgendwie macht es ja auch Spaß, wenigstens den zahlreichen jüngeren unter den Demonstranten. Tatsächlich sind vor allem Deutschlandflaggen im Einsatz – gelegentlich mit zentral platzierter Banane. Auch das Emblem der schleswig-holsteinischen Landvolkbewegung ist an Traktoren zu sehen – häufiger allerdings farblich ähnliche Piratenflaggen. 

„Wählt keine Parteien, die euch enteignen“

Eine enthusiastische Rentnerin aus Brandenburg, Buttons mit Friedenstaube am Kragen, ist aus Solidarität gekommen. Alle hätten begriffen, dass sie jetzt zusammenhalten müssten, meint sie. Die Regierung erhöhe sich die Diäten, das Geld werde von den Kleinbürgern genommen. Tatsächlich scheint der Protest in der Breite zuzunehmen. „Wählt keine Parteien, die euch enteignen“, steht auf dem Plakat eines Brandenburger Handwerkers. Durch die Politik werde der Geldbeutel für alle immer kleiner.

Eindeutig in der Mehrheit sind aber nach wie vor Bauern. Nicht alle treibt ein genereller Verdruss nach Berlin. Simon, ein ruhiger Mittzwanziger aus Thüringen, ist erstmal gespannt darauf, was Finanzminister Lindner, der gleich sprechen soll, zu den Forderungen nach der vollständigen Rücknahme der Subventionsstreichungen zu sagen hat. Ob er vielleicht zurückrudert oder sich herauswindet? 

Als Beschäftigter in einer großen Agrargenossenschaft und gleichzeitiger Mitarbeiter in der kleinen eigenen Landwirtschaft kenne er die Strukturen recht gut, meint er. Für den eigenen Betrieb bedeute der Wegfall der Agrardieselsubvention 3000 Euro weniger im Jahr. „Für den Ottonormalverbraucher ein Monatsgehalt, das bleibt halt ungern liegen.“ Sterben werde man davon aber ehrlicherweise auch nicht. Eher schon sei die Streichung der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht habe. 

Seit Novellierung der Düngeverordnung 2017 bekämen die Bauern „ständig mit dem Knüppel eins auf den Kopf“. Auch um auf die ausufernde Bürokratie hinzuweisen seien sie hier. Und um sich nicht in die rechte Ecke rücken zu lassen. Dass Politiker ihren Protest als rechts aufnähmen, sei schade.

Als vorne auf der Bühne schließlich Christian Lindner unter lauten Buhrufen ans Mikro tritt, scheint es, als habe der sich vorgenommen, ungeachtet der unfreundlichen Kulisse auf die gewogene Kritik des Jungbauern zu antworten. „Ich sage sehr klar, Ihr Protest, er ist legitim, und er ist friedlich.“ Statt der Bauern seien eher die linksextremen Klimakleber von der Politik zu ächten, die das Brandenburger Tor nicht geehrt hätten. 

Gegen unwissenschaftliche Ideologie habe er sich auch angesichts der Düngeverordnung der damaligen Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner ausgesprochen – vor vier Jahren am Brandenburger Tor. Lindners verbrüdernde Töne indes wollen nicht recht ankommen. Zu viel der Verantwortungsdelegation auf vorhergehende Regierungen?  

Zwar ebben Pfeif- und Buhkulisse während Lindners Ausführungen immer wieder ab; jedoch nur, bis der jeweilige Satz beendet ist. Immer wieder schallt „Die Ampel muss weg“ durch die Menge; gelegentlich auch „Wir sind das Volk“. Einige lachen etwas verschämt. 

Pfui-Rufe gegen Lindner 

„Ich will, dass die Politik den Landwirtinnen und Landwirten vertraut, statt in die Betriebe hineinzuregieren!“ Lindner schreit es seinen Zuhörern regelrecht entgegen. Und erntet dennoch jedes Mal ein Pfeifkonzert, das mögliche Zustimmung zum Inhalt der finanzministerlichen Formulierungen lediglich mit geringfügig reduzierter Lautstärke bezeugt. Linders Beteuerung, sich seit Jahrzehnten für den Mittelstand eingesetzt zu haben, sorgt nur für „Pfui“-Rufe. 

Er habe ein Gefühl für die Situation der Landwirte, versichert Lindner. Er teile die Empörung über Bevormundung. Und lehnt sich dann weit aus dem Fenster: „Es muss enden, dass Juristen und Politologen Ihnen erklären, wie sie die Böden bewirtschaften, auf denen Ihre Familien seit Generationen leben. Deshalb: Sie können mir doch nicht erzählen, dass Sie wegen des Agrardiesels hier sind! Es hat sich doch über Jahre und Jahrzehnte etwas aufgestaut!“ Darüber wolle er nun mit den Bauern sprechen. 

Immer mehr Schulden zu machen, das wäre unverantwortlich, verweist Lindner auf die steigende Zinslast. Auch in Sicherheit müsse wieder investiert werden. Beim Verweis auf den Krieg in der Ukraine erntet der Finanzminister nochmal einen regelrechten Aufschrei. Es dürfe nun „kein Sonderopfer“ der Bauern geben. Aber alle müssten eben einen Beitrag leisten, auch im Interesse der Steuerzahler, die nicht noch mehr belastet werden sollten. 

Lindner ist fast nicht mehr zu  hören

„Hören Sie mir zu, die Regierung selbst leistet einen Beitrag!“ Erneuter Aufschrei. Er habe den Ausbau des Finanzministeriums gestoppt, so Lindner. „Wir rücken zusammen.“ Auch bei Bürgergeld und Asylbewerberleistungen werde gespart. Die Argumente der Bauern würden gehört – weshalb die Subventionen beim Agrardiesel nur schrittweise abgebaut würden. Lindner, heiser geschrien, ist nun fast nicht mehr zu hören. 

Die Zeit, die mit der Verschiebung gewonnen sei, müsse nun genutzt werden, um Bürokratie abzubauen – über alles was die Produktivität der Betriebe stärke, könne mit ihm geredet werden. Eine dauerhafte „Tarifglättung“ bei der Einkommenssteuer für Bauern oder eine steuerfreie Risikorücklage könne er sich vorstellen. Auch die immer höheren Standards bei der Tierhaltung seien unverhältnismäßig. 

Mittlerweile ist es etwas leiser geworden. Viele bemühen sich, Lindner zu hören, der sich auch gegen Flächenstilllegung und für Biokraftstoffe ausspricht. Man könne helfen, dass den Bauern nicht so viele Knüppel zwischen die Beine geworfen würden. „Denken wir jetzt zusammen groß“, fordert Lindner. Nicht ganz klar wird dabei, ob er die ganze Regierung meint: „Jetzt ist die Gelegenheit, die seit Renate Künasts Amtszeit überzogenen Umweltstandards zu diskutieren!“ Mehr staatliche Hilfe aus dem Bundeshaushalt gebe es nicht. Aber mehr Freiheit, wofür man gemeinsam streiten könne. Abtritt Lindner.

 „Nach der Rede muss ich erstmal kotzen“

In der Menge wird es nun ruhiger. Schneefall hat eingesetzt, einige machen sich auf den Weg in die Stadt. Sicherheitshalber führt kein Ausweg über das Regierungsviertel; hinter den Absperrungen hat die Polizei sogar ein Panzerfahrzeug platziert. Gebraucht wird es heute nicht. 

Wo wollt Ihr denn alle hin, fragt ein gutgelaunter Demonstrant. „Nach der Rede muss ich erstmal kotzen“, antwortet ein anderer. Sarkastisches Gelächter. Was hat ihnen denn gefehlt bei Lindners Worten? Ein paar ältere brandenburgische Bauern erläutern es gerne: Er hätte auf die Forderung eingehen sollen, zurückrudern. Und die Regierungskollegen mit ins Boot holen. Der Landwirtschaftsminister hätte da sein sollen. Und nur mit dem Bürokratieabbau „gewinnt er keinen Preis“. Davon redeten sie schon die ganze Zeit. Und noch etwas: „Du kannst hier jeden fragen. Da is keener zufrieden. Dit war jetzt die Ruhe vor dem Sturm. Wir machen weiter!“ Es sei ja keine Einigung getroffen. Und für die Landwirte sei jetzt die Zeit. „Der Januar ist noch lang, und der Februar auch.“
 

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