Medien zu Coronazeiten - „Die Verengung der Welt“

Eine Studie wirft den Öffentlich-Rechtlichen thematische Verengung vor: Sie hätten die Corona-Maßnahmen stets affirmiert, nicht aber kritisch hinterfragt. Spätestens nach dem ersten Pandemie-Schock ist es jedoch an der Zeit, den Diskurs zu öffnen, findet Ingo Schünemann.

Auf ihn sind während der Pandemie viele Mikros gerichtet: Jens Spahn / dpa
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Autoreninfo

Prof. Dr. Ingo Schünemann ist Filmproduzent und hat eine Professur für Medienmanagement an der bbw Hochschule in Berlin.

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Die Kulturwissenschaftler Martin Hennig und Dennis Gräf haben an der Universität Passau in der Studie „Die Verengung der Welt“ die Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Sender ARD und ZDF zwischen März und Mai 2020 zur Corona-Pandemie untersucht. Die Studie stellt eine Tendenz zur „Affirmation zu staatlichen Maßnahmen“ fest. Regierungshandeln wurde nicht kritisch beleuchtet, sondern durchweg als positiv gekennzeichnet.

Im Erzählerischen bedienten sich die verschiedenen Sendungsmacher wiederkehrender Muster. Durch eine katastrophenorientierte Bildsprache, dramatisierende Textgestaltung und in enger Taktung wiederkehrende Sondersendungen wurde ein völlig negatives Weltbild konstruiert, das mehr ein rhetorisches als ein inhaltliches Phänomen darstellte. Nicht die Pandemie selbst also sei apokalyptisch, sondern ihre mediale Wirklichkeit.

Erfolgsgeheimnis der Pandemiebekämpfung?

Nun mag eingewendet werden, dass die mediale Begleitung und auch die Inszenierung der Angst uns davor geschützt haben, dass die Pandemie sich nicht wie befürchtet ausbreiten konnte. Die Berichterstattung in der strukturellen Kopplung von Politik und Medien hat also in der Krise ihre systemintegrative Funktion verantwortungsbewusst wahrgenommen. Sie hat die Menschen dazu gebracht, sich „vernünftig“ - also den Gefahren des Virus entsprechend - zu verhalten, und hat so die Gesellschaft vor einem stärkeren Fall-Out geschützt.

Aufgrund der richtigen wissenschaftlich-politischen Entscheidungen und der begleitenden Berichterstattung konnte die Katastrophe abgewendet werden: Es gab keine Überlastung der intensivmedizinischen Kapazitäten, weniger Tote, einen überschaubaren wirtschaftlichen Einbruch und zumutbare Freiheitsbeschränkungen, die nun schrittweise zurückgefahren werden können. Staaten, in denen nicht so konsequent an einem Strang gezogen wurde, wie etwa Brasilien oder die USA, so die Argumentation, stünden schlechter dar. 

Kein aussagekräftiger Vergleich

Diese Argumentation lässt sich nicht entkräften, denn sie ist rein hypothetisch. Die Opferzahlen der unterschiedlichen Staaten sind angesichts ihrer unterschiedlichen politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Bedingungen kaum miteinander vergleichbar. Und schon die Zählweise fußt auf keinen einheitlichen Kriterien.

Wir wissen also schlichtweg nicht, wie sich die Situation in Deutschland, wie etwa in den USA, bei einem weniger weitreichenden Lockdown entwickelt hätte. Aber auch die Argumentation von Kritikern, dass die Maßnahmen überzogen gewesen seien und die Kollateralschäden die Verluste durch die Pandemie überwiegen würden, lässt sich nicht belegen. Es gibt keine Erhebungen, mit der sich die Opferzahlen zueinander in Bezug setzen lassen.

Wissenschaftler als Politikberater

Erkennbar ist hingegen, wie in der Passauer Studie skizziert, eine Verengung des wissenschaftlichen Diskurses in den Medien. Der wissenschaftliche Diskurs zur Corona-Krise wurde in den öffentlich-rechtlichen Medien von einer Handvoll Personen geführt: Vor allem die Virologen Christian Drosten, Hendrik Streeck und das Robert-Koch-Institut haben ihn bestimmt. Diese Wissenschaftler waren dabei mehr als nur Forscher: Alle politischen Entscheidungen wurden mit ihrer Expertise begründet. Zur Erklärung der notwendigen Maßnahmen zur Einhegung des Virus wurden ihnen umfangreiche direkte Sprechzeiten eingeräumt: in Podcast-Formaten, in Interviews, als Talkshow-Besucher oder in von der Politik unterstützten Studien.

Dem Einzelnen wurde klar, dass, wenn er sich in diesen einstimmigen Chor nicht integriert, er sich außerhalb dem wissenschaftlich Gebotenen verortet. Die soziale Integration möglichst vieler, also die gemeinsame Umsetzung der vorgeschriebenen Maßnahmen, schien in einer akuten Epidemie mit unvorhersehbaren Risiken geboten, um überhaupt wirksam zu sein. Diesem Primat ordneten sich die systemrelevanten Stake Holder nahezu ausnahmslos unter.

Nur graduelle Meinungsverschiedenheiten abgebildet

Die Positionsunterschiede in der Gefahrenbewertung und den geforderten Maßnahmen waren bei den dominierenden Wissenschaftlern eher gradueller Natur. Der Lockdown, das Tragen eines Mundschutzes, Schulschließungen wurden in diesem engen Diskurskorridor grundsätzlich nicht in Frage gestellt, allenfalls ihre Dringlichkeit und die Dauer wurden unterschiedlich bewertet.

Über fundamental abweichende Meinungen, wie sie im Ausland diskutiert und selten auch umgesetzt wurden – etwa die des schwedischen Staatsepidemiologen Anders Tegnell oder des Epidemiologen Sucharit Bahkdi – wurde vor allem berichtet, um ihre Positionen zu widersprechen. Direkte Sprechzeit hatten diese Wissenschaftler fast nur in den Sozialen Medien, fern der tradierten meinungsbildenden Medien, welche, wieder fast reflexhaft, als Hort der Desinformation und der Unvernunft erklärt wurden.

Wissenschaft und Politik kritisch begleiten

Nun wurde der Diskurs zu entscheidenden Themen der letzten Zeit stets polarisierend geführt. Besondere Phänomene der Sozialen Medien wie Filterblaseneffekte, Mehrheitsillusion und die digitale Schweigespirale, basierend auf einer starken Moralisierung der Positionen, hat zu einem unversöhnlichen Nebeneinander vor allem in den Sozialen Medien geführt. Dies können wir auch in der Corona-Krise beobachten. Auf der einen Seiten die Systemidioten, auf der anderen die Covidioten. Aber im Unterschied zur Migrationskrise, Metoo oder BLM befindet sich der Corona-Diskurs ganz auf dem Boden der Naturwissenschaften, der sich die Politik (in ihrer nachvollziehbaren Not, es besser zu wissen) weitgehend ausgeliefert hat.

In dieser strukturellen Kopplung kommt den tradierten Medien mit ihrer enormen Reichweite auch in die Sozialen Medien eine entscheidende Rolle zu. Sie können mit ihrem Medienhandeln die Einheit von Politik und Wissenschaft zelebrieren und damit die Einengung des Diskurses auch im Geltungsbereich der Naturwissenschaft fortschreiben. Oder aber sie können nun, da die Katastrophenprognosen nicht mehr so drastisch ausfallen, diese Beziehung kritisch begleiten. Und beide, Politik, aber vor allem die Wissenschaft, daran erinnern, dass der Diskurs, das Ringen um die richtige Position keine gesellschaftliche Gefahr, sondern eine Grundvoraussetzung für ihre Akzeptanz und damit auch für potentiellen Fortschritt darstellt.

Raum für den Diskurs öffnen

Die Macher der Passauer-Studien haben sich nach starker Kritik der öffentlich-rechtlichen Sender mit einer langen Pressemitteilung für ihre Untersuchung erklärt. Darin tuen sie etwas, das in der Wissenschaft selbstverständlich sein muss: Sie benennen eine Position und laden zum Diskurs ein. Eine Position wird auf Dauer nicht dadurch mehrheitsfähig, indem ihr Gegenstück medial bekämpft wird. Hier liegt die Chance auch für die tradierten Medien, allen voran die öffentlich-rechtlichen Sender. Die Chance liegt nicht in dem sich wiederholenden Versuch, die „richtige Position“ dem offenbar für schwach empfundenen Rezipienten „zu erklären“ und die Konsequenzen einer „falschen Haltung“ aufzuzeigen. 

Nein, Medien hätten hier und vor allem jetzt, nach dem ersten Pandemie-Schock, mehr denn je die Aufgabe, Raum für den Diskurs zu öffnen und der Wissenschaft zu ermöglichen, öffentlich um Erkenntnisse zu streiten. Positionen mit derart direkten persönlichen Folgen wie in dieser Pandemie werden dauerhaft nur dann akzeptiert und wirksam sein, wenn die Mehrheit der Rezipienten das Gefühl haben, um sie sei ausgiebig gerungen worden. Sonst geht auch die Wissenschaftskommunikation zur Corona-Pandemie, wie so viele Diskurse zuvor, den Weg der Filterblasenbildung und der Cancel Culture.

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