Junge Grünen-Abgeordnete - Fridays for Bundestag

Weiblicher, jünger, vielfältiger und direkter wollen die neuen Grünen im Parlament sein. Vor allem aber sind viele aus der Fraktion im zwanzigsten Bundestag aktivistischer. Wie viel Fridays for Future steckt in den jungen Abgeordneten? Und wie finden die Idealisten am Ende zur Realpolitik?

Junge Grüne bei einer Veranstaltung von Annalena Baerbock / dpa
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Autoreninfo

Ulrich Thiele ist Politik-Redakteur bei Business Insider Deutschland. Auf Twitter ist er als @ul_thi zu finden. Threema-ID: 82PEBDW9

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118 Abgeordnete. Nie zuvor waren die Grünen zahlreicher im Bundestag vertreten. Und nie zuvor waren sie so jung: 22 Abgeordnete sind unter 30 Jahre alt, 28 zwischen 30 und 40. Mit einem Altersdurchschnitt von 42 Jahren sind sie die jüngste Bundestagsfraktion. Auf ihrer Bundestagshomepage, auf der sämtliche Grünen-Abgeordnete der 20. Wahlperiode aufgelistet sind, präsentieren sie sich entsprechend stolz: „Weiblicher, jünger, vielfältiger und direkter“ sei die Partei, deren Frauenanteil bei 58,5 Prozent liegt und aus der 16 Kandidaten in ihren Wahlkreisen das Direktmandat gewonnen haben.

In ethnischer Hinsicht bleibt es – anders als die Partei suggeriert – insofern beim Alten, da Selbstanspruch und Wirklichkeit auseinanderklaffen. Auf der Liste überwiegen Namen wie Stefanie, Lukas, Annalena, Leon, Kai, Linda, Britta, Michael, Laura, Max, Julian. Das gilt auch für die jungen Abgeordneten, die erstmals in den Bundestag einziehen. Manche von ihnen haben bereits kommunalpolitische Erfahrung sammeln können, viele kommen vor allem aus aktivistischen Kontexten. Sie haben mit Fridays for Future, im Hambacher Forst und bei der Seenotrettung auf dem Mittelmeer lautstark und mitunter radikal die politische Elite und auch das Parteiprogramm der Grünen angeprangert, das ihnen nicht weit genug geht. Nun müssen sie sich mit der Elite arrangieren – oder sie werden selbst ein Teil von ihr.

Vom Aktivismus zur Parteipolitik

Kathrin Henneberger, 34 Jahre, zieht für Mönchengladbach in den Bundestag. Bei ihr ist der Übergang vom Aktivismus zur Parteipolitik fließend. Auf ihrem Twitter-Profil bezeichnet sie sich selbst als Klimaaktivistin. „Eine andere Welt ist möglich!“, das ist ihr Motto. Sie war zwischenzeitlich Sprecherin des Aktionsbündnis Ende Gelände, auf ihrem Twitter-Profil teilte sie dieses Jahr ein Selfie von sich auf einem Baum in Einhorn-Kostüm, auf den sie geklettert war, um dessen Abholzung zu verhindern. Jüngst teilte sie Videos von Blockaden gegen RWE-Trecker und -Lkw. Die Aktionen waren Teil des Bündnisses #AlleDoerferbleiben, das sich laut Selbstbeschreibung „für Klimagerechtigkeit und den Erhalt der Dörfer ein[setzt], die von der Zerstörung für Braunkohle bedroht sind“. Henneberger spricht sich für das 1,5-Grad-Klimaziel aus.

Max Lucks, 24 Jahre alt, Student der Sozialwissenschaften, bezeichnet sich auf seinem Twitter-Profil als Menschenrechtsaktivist und ironisch als „militanter Kampfradler“. Der ehemalige Sprecher der Grünen Jugend aus Bochum zieht über die NRW-Landesliste in den Bundestag ein. In der Vergangenheit kritisierte er seine Partei für ihren „Kuschelkurs mit der SPD“ in NRW. Als Teil der Grünen Jugend unterstützte er die Forderungen der Bewegungen nach einem „radikalen Klimaschutz auch im Verkehrs- und Agrarsektor“. Lucks verkündete in diesem Rahmen:  „Die industrielle Tierhaltung muss beendet werden, Subventionen darf es nur noch für nachhaltige, umweltverträgliche Landwirtschaft geben. Wir fordern ein Ende des Verbrennungsmotors bis 2030, einen kostenlosen Nahverkehr, eine zuverlässige, bezahlbare Bahn statt innerdeutsche Flüge und autofreie Innenstädte.“ Im Wahlkampf sprach er sich für höhere Investitionen für Radwege, für einen Mindestlohn von zwölf Euro und für das Selbstbestimmungsgesetz für Inter-, Trans- und nichtbinäre Menschen aus.

Konflikt zwischen Erwartung und Realpolitik

Nicht einmal das Programm der Grünen gibt genug her, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, weshalb die Partei auch aus der FFF-Bewegung Kritik erfuhr. Angeblich machen sich ältere Grünen-Abgeordnete bereits Sorgen, dass der Konflikt zwischen hohen Erwartungen und Realpolitik bei den jungen Neu-Abgeordneten zur Belastung für die Partei werden könnte. Gerade jetzt, da die Grünen mit Marktliberalen verhandeln und der FDP bereits Zugeständnisse machen, muss die Fraktion Einigkeit demonstrieren. 

Viele der jungen Abgeordneten sprechen sich neben dem Klimaschutz für einen höheren Mindestlohn und eine höhere Besteuerung für Besserverdiener aus. Überschneidungen mit der FDP gibt es bei ihnen eher auf gesellschaftspolitischer Ebene. Nyke Slawik, 27 Jahre, ist zusammen mit Tessa Ganserer eine der beiden ersten Trans¬frauen im Bundestag. Der FAZ sagte sie: „Ich glaube, dass wir zusammen mit der SPD und der FDP in queerpolitischer Sicht sehr viele Schnittmengen hätten und viel auf den Weg bringen könnten. Wie beispielsweise ein Selbstbestimmungsgesetz einzuführen, das Blutspendeverbot abzuschaffen oder das Abstammungsrecht zu reformieren.“ Gegen ein Jamaika-Bündnis sprach sie sich hingegen klar aus: „Aus queerpolitischer Sicht ist es meine große Hoffnung, die Union in die Opposition zu schicken – das wäre eine Möglichkeit für die Union aufzuwachen.“

„Laschet in die Opposition schicken“

Auch Emilia Fester, 23 Jahre und jüngste Abgeordnete im Bundestag, spricht sich gegen ein Jamaika-Bündnis aus:  „Ich sehe nicht, wie wir als grüne Fraktion jetzt einen CDU-Menschen, der so verloren hat, zum Kanzler machen können.“ Deswegen gehe sie davon aus, „dass wir Laschet und die CDU in die Opposition schicken. Die hat das auch bitter nötig.“

Sie sprechen damit aus, was viele Grünen-Wähler denken. Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Civey sind 75 Prozent von ihnen gegen eine Koalition mit der Union. Dennoch will die Parteispitze mit CDU/CSU Gespräche führen.

„1,5 Grad Ultra“

Der Aktivismus muss nicht zwangsläufig fehlende Kompromissbereitschaft bedeuten. Selbst FFF-Aktivist Jakob Blasel, der in Schleswig-Holstein angetreten, es aber nicht in den Bundestag geschafft hat, zeigte Kompromissbereitschaft. Auf Twitter nennt er sich „Klimaaktivist“ und  „1,5 Grad Ultra“. Nach der Bundestagswahl tweetete er: „1,5 Grad bleiben unverhandelbar. Ich werde weiter entschlossen für Klimagerechtigkeit kämpfen, allerdings nicht im Bundestag.“

Noch vor einem Jahr jedoch antwortete der damals 19-Jährige der taz auf die Frage, ob er sich in einer schwarz-grünen Koalition vorstellen könne: „Ich habe mit vielen Parteien Probleme, aber solange das Parlament nicht zum großen Teil aus radikalen Bewegungsakteuren besteht, muss man Kompromisse machen.“ 

Wie gehen die jungen Aktivisten und Politiker, die es in den Bundestag geschafft haben, damit um, wenn ihre Forderungen auf die mühseligen Kompromissprozesse der Realpolitik treffen?

Pragmatismus schlägt Idealismus

Gerne hätten wir sie persönlich befragt, leider blieben alle Anfragen von Freitag Vormittag unbeantwortet – bis auf eine. Und die unterläuft das Bild vom idealistischen Jungspund – dabei ist er besonders jung. Niklas Wagener, 23 Jahre, aus dem Wahlkreis Aschaffenburg, hat den Titel des jüngsten Abgeordneten im Bundestag knapp verpasst. Seine Parteikollegin Emilia Fester aus Hamburg ist zwölf Tage jünger. Das Idealistenklischee unterläuft er mit Pragmatismus. „Es kann nicht schaden, mit allen zu reden“, sagt er über die Pläne seiner Partei, nicht nur mit der SPD, sondern auch mit der CDU zu verhandeln. Er selbst spricht sich, anders als viele seiner jungen Parteikollegen, nicht explizit gegen eine Jamaika-Koalition aus. Er sei bei keiner der beiden (einstigen) Großparteien optimistisch, dass die Verhandlungen in puncto Klimaschutz leicht werden.

Von Maximalforderungen hält er indes nichts. Als Grünen-Stadtrat und Fraktionsgeschäftsführer in Aschaffenburg habe er „Verständnis für das politische Gegenüber gelernt“, sagt er. „Anträge für die Schublade zu erstellen, weil sie sowieso von der Mehrheit abgelehnt werden, ist nicht mein Ding.“ Es gehe in den kommenden Jahren nicht darum, klimapolitische Versprechen zu machen, die die Grünen ohnehin nicht einhalten können, sondern Mehrheiten zu gewinnen, um einen „Stimmungswandel zu erzeugen, der den Menschen Lust darauf macht, das Klima zu schützen“.

Sein Thema ist der Wald und der Einfluss der Forst- und Landwirtschaft auf den Klimaschutz. „Für den Wald nach Berlin“ lautete seine Wahlkampfmotto. Wagener, der bereits 2017 für den Bundestag kandidierte, hat Forstwirtschaft in Göttingen studiert. Den Rohstoff nachhaltig nutzen, um die CO2-Schleuder Betonbau durch Holzbau zu ersetzen, gleichzeitig die alten Wälder – etwa in Unterfranken – und ihren kühlenden Effekt aufs Klima zu schützen, gehört zu seinen Anliegen. „Ich sehe meine Rolle in den nächsten Jahren darin, alle Parteien an einen Tisch zu bekommen: Klimaschützer, Forstwirtschaft, Jäger“, sagt er.

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