Proteste in Frankreich - „Gelbwestinnen“ weichen Gewalt aus

In Paris und anderen französischen Städten flackern die Sozialproteste wieder auf. Auch diesmal wieder mit Verletzten, Vandalismus und großem Polizeiaufgebot. Nun gehen Frauen als „Gelbwestinnen“ auf die Straße – sie wollen vormachen, wie es gewaltlos geht

Gelbwestenproteste in Paris – Szene vom 15.12.2018 / picture alliance
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Stefan Brändle ist Frankreich-Korrespondent mit Sitz in Paris. Er berichtet regelmäßig für Cicero.

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Sollte es Emmanuel Macrons Hoffnung sein, die Protestbewegung der „gilets jaunes“ mit seinen milliardenschweren Konzessionen vor Weihnachten eindämmen zu können, so sieht er sich nun getäuscht. 50.000 „Gelbwesten“ waren am Wochenende landesweit auf die Straße gegangen, bedeutend mehr also als während der Feiertage. 4.000 waren es in Paris, 5.000 allein in Bordeaux, das sich zu einem Zentrum der in der Provinz geborenen Bewegung mausert. Dabei kam es in der Weinstadt am Atlantik zu hohen Sachschäden.

Die spektakulärsten Bilder von diesem inzwischen achten Protestsamstag in Folge gab es einmal mehr in Paris. Das dabei in den Sozialen Netzwerken meistbeachtete Video zeigte einen – später als Profiboxer identifizierten – Schläger, der einen Polizisten in Vollmontur spitalreif verdrosch. Andere rammten mit einem Hubstapler das Eingangstor eines Ministeriums, durchbrachen es und verwüsteten im Inneren mehrere Limousinen. Regierungssprecher Benjamin Grivaux musste wie schon im November über den Hofgarten fliehen. Zuvor hatte er erklärt, die Bewegung der Gelbwesten sei von „Agitatoren“ unterwandert, die einen „Regierungsumsturz“ anstrebten.

Schockierte Franzosen, unbeliebter Präsident

Nach der Attacke meinte der Sprecher, nicht er sei im Visier gewesen, sondern „die Republik“. In Wahrheit richtete sich die illegale Aktion gegen Grivaux, weil der Staatspräsident außer Reichweite blieb. Der Elysée-Palast war auch am Samstag hermetisch abgeriegelt. Landesweit waren 56.000 Polizisten im Einsatz. Macron verurteilte die extreme Gewalt und versprach eine entsprechende Antwort der Justiz. Die Polizei verhaftete 35 Personen, unter denen sich der namentlich bekannte aber Boxer nicht befand.

In einer Blitzumfrage erklärten sich 59 Prozent der Befragten „schockiert“ von der gezielten Gewaltanwendung, die sich in Toulon allerdings in gefilmten Faustschlägen eines Polizeikommandanten ins Gesicht eines wehrlosen Demonstranten äußerte. Gerüchte von einer durch ein Polizeigeschoss getöteten Demonstrantin bewahrheiteten sich nicht. Ein Mann hatte ein Video, das ihn weinend und klagend um die tote Frau zeigt, verbreitet. Es stellte sich wenig später als geschauspielert heraus. Wegen der nicht abreißenden Gewaltspirale scheint die öffentliche Meinung den „gilets jaunes“ derweil weniger gewogen als zu Beginn der Proteste. Aber deswegen nimmt Macrons Popularität zugleich nicht zu.

„Gelbwestinnen“ stellen sich gegen die Gewalt

Um den abnehmenden Goodwill für die Sozialbewegung wieder herzustellen, sind dann am Sonntag in vielen französischen Städten wie Caen, Toulouse oder Dijon auch hunderte „Gelbwestinnen“ auf die Straße gegangen. Eine Mitorganisatorin, Alix Christine, erklärte ihren Appell am Ruhetag damit, dass viele ihrer Freundinnen Angst hätten, an den gewalttätigen Samstagsdemonstrationen teilzunehmen. Dabei seien die Frauen an den Verkehrskreiseln und Straßensperren im ganzen Land stark vertreten. Und die Verzweiflung alleinerziehender Arbeiterinnen, prekär lebender Behinderter oder von Kleinrentnerinnen sei ebenso groß.

Wie entschlossen sich die „Gelbwestinnen“ zeigen wollen, lässt sich am Facebook-Aufruf für die Sonntagsdemo am Pariser Bastille-Platz zumindest ablesen: „Wir wollen uns doppelt soviel Gehör verschaffen wie die Männer – wie in der französischen Revolution, als die Frauen die Umzüge anführten, die den König (in Versailles, die Red.) holen gingen.“ Sie wollten nicht länger im Hintergrund bleiben, heißt es in dem Aufruf weiter. „Wir bleiben komplementär und solidarisch mit den Männern; unser Kampf ist nicht feministisch sondern feminin.“ Und die Ziele der Frauen? Sie treten ein für „mehr Gleichheit und Gerechtigkeit“ zwischen den Geschlechtern. „Wir sind das Mutter-Land“, schreiben sie, „und wir sind wütend, weil wir Angst für die Zukunft unserer Kinder haben.“

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