„Gemeinsame Erklärung 2018“ - Eine entgangene Chance

Die „Gemeinsame Erklärung 2018“ hätte ein vielsprechendes Aufbegehren konservativer Intellektueller wie Uwe Tellkamp sein können. Doch die Chance auf eine überfällige Debatte wurde vertan

„Gemeinsame Erklärung 2018“ – Das Aufwachen neben Lutz Bachman / picture alliance
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Autoreninfo

Ernst Elitz ist Autor und Journalist. Bis 2009 war er erster Intendant des Deutschlandradios. Von 1969 bis 1974 war er Redakteur für Bildungspolitik beim „Spiegel“

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Nachdem Uwe Tellkamp im Dresdner Kulturpalast seinem Unmut über eine Einwanderung ohne Pass und ohne klare Regeln Ausdruck gegeben hatte, aber sich dabei in den Zahlen schwer verstolperte, nachdem Rüdiger Safranski sich im „Spiegel“ bemühte, den „Kitsch“ eines „dauerhaften friedlichen Nebeneinanders der Kulturen“ mit Hilfe von Immanuel Kant ad absurdum zu führen, schien es für einen Augenblick, als könne sich auch in Deutschland eine Truppe konservativer Dichter und Denker etablieren, die neben und gegen den politisch korrekten Dichterschwarm, den Frank-Walter Steinmeier um sich sammelte, Paroli bieten könnte.

Immerhin ist Tellkamp ein nicht nur in intellektuellen Kreisen hochgerühmter Literat und keiner hat so wie Safranski den Deutschen mit seinen Dichter- und Denker-Biographien die Gedankenweite deutscher Kultur eröffnet.

Safranski war klug genug, seine Gedanken nur dem „Spiegel“ aufs Band zu diktieren, Tellkamp dagegen ließ sich zum Bannerträger einer „Gemeinsamen Erklärung 2018“ küren, in der eine Reihe schräger Adabeis vom Schlage Matthias Matussek Aufmerksamkeit eher für sich als für die konservative Sache erregte. Das wäre glimpflich ausgegangen, hätte nicht Mitunterzeichnerin Vera Lengsfeld im Netz zur Massenunterzeichnung der Petition aufgerufen und würde sie seitdem nicht jeweils das nächste Tausend von Unterzeichnern mit öffentlichen Trompetenstößen begleiten.

Fair, aber wo sind die Massen?

Die „Gemeinsame Erklärung 2018“ an sich ist fair, wenn auch nicht in jedem Falle korrekt. Die Erstunterzeichner sehen „mit wachsendem Befremden“ wie Deutschland durch „illegale Masseneinwanderung beschädigt“ wird und solidarisieren sich „mit denjenigen, die friedlich dafür demonstrieren, dass die rechtsstaatliche Ordnung an den Grenzen unseres Landes wiederhergestellt wird“. Das hört sich erstens so an, als wäre es eine Rechtfertigungsschrift für die Etablierung von Seehofers Heimat-Ministerium samt bayerischer Grenzpolizei. Das lässt zweitens die Frage offen: Wo sind eigentlich die friedlichen Demonstranten, denen die Unterzeichner ihre Solidarität aussprechen? Und lässt drittens außer Acht, dass es inzwischen nun wirklich keine Massen mehr sind, die über die deutsche Grenze tröpfeln.

Die „Gemeinsame Erklärung“ wäre irgendwo zwischen Feuilleton und Politikressort versandet, hätte nicht Vera Lengsfeld mit ihrer Aktion sie ins Reich der Like-Buttons und des allgemeinen Unterschriftenwesens befördert, wo nun wie bei der Mitglieder-Werbeaktion der SPD gegen die Große Koalition ein jeder voraussetzungslos mitmachen kann. Wurde bei der SPD sogar der Hund Lima „aufgenommen“, so bittet Lengsfeld die neuen Unterzeichner immerhin um Angaben zu Beruf und akademischen Titeln. Damit erscheint das Ganze auf den ersten Blick wie ein großes Abiturtreffen, denn es wimmelt nur so von Doktores, Erfindern, Schriftstellern und Ganz- oder Halbakademikern, von kleinen und großen Gaulands etc. In die Unterzeichnerliste können Pegida, AfD und jede andere Sekte ihren Mitgliederstamm umstandslos hineinkopieren. Die Erklärung soll nun zu einer Petition für den Deutschen Bundestag werden. Bis in die Tagesthemen hat es Vera Lengsfeld mit der Erklärung 2018 nun gebracht.

Lengsfeld ist nur noch bitter

Wer ist die Frau, die Tellkamp dermaßen ins Unglück reitet? Keiner möchte mit ihr teilen. Ein Leben im Horror: Der Vater Stasi-Mann, sie Friedensaktivistin in der DDR, vom eigenen Mann bespitzelt, Jobverlust, Knast, Ausweisung. Dann die Aufbauzeit: Sie sitzt in der Verfassungskommission des Runden Tisches, erst für Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag, dann ihr Wechsel zur CDU. Die schickt sie im roten Biotop Friedrichshain-Kreuzberg gegen den unschlagbaren Grünen Ströbele ins Wahlkampfgefecht. Fieser geht's nicht. Kein Wunder, wem das widerfährt, der wird sich allseits bedroht und verlassen fühlen und Freunde suchen, wo sie erst recht nicht zu finden sind.

Lengsfeld ist nur noch bitter: „Gelobt sei Angela Merkel, die Warmherzige, die Vorausschauende. Sie hat alles dafür getan, dass der Terror in Europa Fuß fassen kann“, hatte sie nach den Terroranschlägen von Brüssel auf ihrer Facebook-Seite geschrieben. Später löschte die den Beitrag und erklärte, sie habe aus „Versehen“ gehandelt. Nachdem die Antifa eine konservative Frauendemo attackierte, schrieb sie: „Merkel muss keine Stasi mehr in Marsch setzen, das macht die Antifa.“

Tellkamp findet sich neben Bachmann wieder

Jenseits des Digitaluniversums entlud sich der Geist der „Gemeinsamen Erklärung 2018“ schon auf einer Demo in Hamburg, wo Erstunterzeichner Matussek ganz im Sinne von Lengsfeld einen Sprechchor intonierte:„Merkel muss weg!“. Sehr zum Vergnügen von Führern der sogenannten Identitären Bewegung, die sich am Rande im Fäustchen lachten über die nicht bestellte Reklame. Kurzum, Tellkamp, der als befremdeter Bürger zu Bett ging, wacht am nächsten Morgen zwar nicht als Käfer wie Gregor Samsa, aber dafür neben Lutz Bachmann auf.

Was als konservatives Aufbegehren begann, sogar als Wortmeldung konservativer Intellektueller für eine überfällige Debatte jenseits lähmender politischer Korrektheit gedeutet werden konnte,
ist im Getümmel wutschnaubender Mitbürger gelandet und hat der Petition damit jedes Gewicht genommen – trotz eilig nachgeschobener Forderung, eine prominente Kommission einzusetzen, die nach Wegen contra „Kontrollverlust“ und pro „wirksame Hilfe für tatsächlich politisch Verfolgte“ suchen soll. Eine Chance zur intellektuellen Debatte wurde vertan. Immerhin kann Seehofer den Schriftsatz von Tellkamp-Lengsfeld & Co genüsslich auf dem Kabinettstisch platzieren. Von ihm und seiner CSU ist ja immer noch ziemlich viel drin.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version war davon die Rede, Uwe Tellkamp auf der Leipziger Buchmesse gesprochen. Es war aber die Veranstaltung im Dresdner Kulturpalast. Wir danken einem aufmerksamen Leser.

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