Welttreffen der Christen in Karlsruhe mit Russischer Orthodoxer Kirche - Der Feind ist im Raum

Kann der Dialog der Religionen Frieden stiften? In Karlsruhe bei der Weltversammlung des „Ökumenischen Rates der Kirchen“ treffen erstmals seit Kriegsbeginn Putin-treue Vertreter der russischen Orthodoxie auf die Delegationen der Glaubensbrüder aus der Ukraine. Zum direkten Gespräch kommt es nicht, aber jeder muss die Gegenseite aushalten. Es wäre möglich gewesen, Moskau auszuladen. Aber das wäre letztlich bequem und auch unklug gewesen. 

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Gespräch mit Vertretern der ukrainischen Kirchen bei der Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) in Karlsruhe. /dpa
Anzeige

Autoreninfo

Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

So erreichen Sie Volker Resing:

Anzeige

Der russische Präsident Putin kämpft nicht nur mit Granaten, Truppen – und Gaslieferungen. Er nutzt auch eine weitere Waffe: die Religion. Die Russische Orthodoxe Kirche (ROK) und ihr Oberhaupt Patriarch Kyrill ist zu einem nicht zu gering zu bewertenden Faktor im innerrussischen und auch internationalen Propagandakrieg geworden. „Wie viele Divisionen hat der Papst?“, mit diesem Spruch soll sich Diktator Josef Stalin in Jalta über den Vatikan lustig gemacht haben. Sein Nach-Nachfolger des kommunistischen Schlächters nun scheint um die Bedeutung von geistiger Munition zu wissen. 

Doch wie soll man diesem Missbrauch des Religiösen und spezifischer noch dieser Instrumentalisierung des Christlichen begegnen? Während die politische Antwort auf die russische Aggression eine verständliche wie auch verzweifelte Totalblockade-Haltung bei gleichzeitiger maximaler und richtiger Solidarität mit der Ukraine ist, wählt die religiöse Welt in verblüffender Einigkeit einen gefährlichen anderen Weg.

Wieviel Dialog ist möglich?

Papst Franziskus steht seit Wochen in der Kritik, weil er neben Zeichen der Solidarität mit der Ukraine auch eine als nivellierend empfundene Sprache wählt, die Krieg generell verurteilt und menschliche Opfer auf beiden Seiten beklagt. Immerhin repräsentiert der Papst als Oberhaupt der Katholischen Kirche weltweit 1,3 Milliarden Katholiken, so wenige Divisionen sind das nicht. Und auch der „Ökumenische Rat der Kirchen“ (ÖRK), der große Teile der restlichen Christenheit vertritt, immerhin rund 500 Millionen Menschen, hält am Ideal des Dialogs auch mit Gegnern fest, vielleicht naiv und waghalsig, aber dennoch richtig.  

Nirgendwo auf der Welt sind heute Russen und Ukrainer in offizieller Mission und in zumindest äußerlich friedlicher Absicht räumlich so nah zusammen wie in diesen Tagen in Karlsruhe. Dort tagt die Vollversammlung des ÖRK erstmals in Deutschland. Über 400 Delegierte aus 120 Ländern und aus rund 350 Mitgliedskirchen sind versammelt. Normalerweise interessiert sich die Öffentlichkeit kaum für die Weltvereinigung der Christen. Doch weil die russischen Orthodoxie mit ihrer Delegation unter der Leitung des durchaus als Scharfmacher bekannten „Außenamtschefs“ Metropolit Antonij nach Karlsruhe angereist ist und weil zugleich ukrainische Gäste auf dem Podium sprechen, steckt Sprengstoff in der Veranstaltung.

Seit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine sind auf vielen Ebenen die Kontakte zu Russland gekappt worden, das  gilt vor allem wirtschaftlich und politisch durch die Verabschiedung entsprechender Sanktionen. Der ÖRK hat jedoch nach kontroverser Debatte entschieden, die ROK als die größte Mitgliedskirche weder auszuschließen noch von der Versammlung in Karlsruhe auszuladen. Der ÖRK ist eigentlich ein Wunder. Denn er bringt sehr Ungleiches zusammen. Seit 1949, beinahe so alt wie die Vereinten Nationen, fasst er unter dem Dach der Ökumenischen Bewegung so verschiedene christliche Gemeinschaften zusammen wie die weltweite Orthodoxie und die liberalen evangelischen Kirchen etwa in Skandinavien und Deutschland, aber auch die Anglikanische Kirche und die großen Kirchen aus den USA und aus Afrika. 

Patriarch Kyrill ist Putins geistiges Sturmgeschütz 

Kern des Konflikts ist die Rechtfertigung des russischen Krieges durch das Oberhaupt der ROK, Patriarch Kyrill. Mehr noch haben Kyrill und seine Mitstreiter die russische Orthodoxie zum geistigen Sturmgeschütz von Putins Herrschaft und seinen nationalistischen und imperialen Bestrebungen gemacht. Immer wieder beteuerte Kyrill, dass der Krieg gegen die Ukraine auch einem höheren Ziel diene, dem Kampf gegen den Westen und seiner Ideologie. „Die Andersartigkeit Russlands erregt Eifersucht, Neid und Empörung, aber wir können uns nicht ändern“, polemisiert das 75-jährige orthodoxe Kirchenoberhaupt zuletzt bei einer Predigt in Kaliningrad. 

An anderer Stelle erklärte Kyrill, Russlands Aufgabe sei es, der Welt christliche Werte zu vermitteln und die allgemeine „geistige und moralische Verfassung“ zu verbessern. Das ist angesichts des Grauens in der Ukraine so unerträglich, dass die Idee der Ausladung verständlich schien. „Es wäre einfach, die Sprache der Politiker zu benutzen, aber wir sollten die Sprache des Glaubens sprechen“, erklärte sich jüngst der Generalsekretär des ÖRK. Ioan Sauca in der „Zeit“. „Wir sind berufen, auch denen zuzuhören, mit denen wir nicht übereinstimmen“. Karlsruhe sei eine „Plattform und Raum für Begegnung und Dialog“. 

Steinmeier: Blasphemischer Irrweg

Ausgerechnet Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wählte hingegen wuchtigere Worte. Er war zu Eröffnung nach  Karlsruhe genommen, obwohl einige ihn davon abhalten wollten. Er sucht in letzter Zeit auffallend oft nach kirchlichen und religiösen Terminen, bei denen er sprechen kann. Der einst als Präsident des Kirchentages vorgesehene Steinmeier wird beim ÖRK zum lauten Prediger. Es gebe Kirchenführer, die ihre Gläubigen „auf einen schlimmen, ja geradezu glaubensfeindlichen und blasphemischen Irrweg“, lenkten. Das war schon ungewöhnlich theologisches Vokabular. Und es war klar, wer gemeint ist. Diese reagierten entsprechend auch sogleich. ROK-Metropolit Antonij sprach von „unbegründete Anschuldigungen“. Man sehe nun, was für ein „unverhohlener Druck“ durch hochrangige Vertreter einer Staatsmacht auf die älteste innerchristliche Organisation der Welt ausgeübt werde. Eine Einmischung „in die internen Angelegenheiten des Ökumenischen Rats der Kirchen“, sei unzulässig, ließ er via Website wissen. Für die russische Sicht gab es vereinzelt sogar auch Zustimmung. Freilich zu einem offenen Austausch kam es nicht.

In Karlsruhe gab es bislang auch kein Gespräch oder einen Dialog zwischen Russen und Ukrainern. Allenfalls das gegenseitige Aushalten der Anwesenheit des Anderen fand statt. „Es ist nicht leicht, einen Dialog zu etablieren mit jemandem, der dir das Existenzrecht abspricht“, sagte der ukrainische Erzbischof von Tschernihiw, Yevstratiy, vor Journalisten. Hinzu kommen die inner-ukrainischen Konflikte, die auch die durch den Krieg überdeckte Zerrissenheit der Ukraine dokumentiert. In Karlsruhe waren zu Gast die „Orthodoxen Kirche der Ukraine“ (OKU) und  die „Ukrainische Orthodoxe Kirche“ (UOK)- Letztere war bislang moskautreu, doch spaltete sie sich wegen der russischen Rechtfertigung des Krieges gegen das eigene Brudervolk vom Moskauer Patriarchen ab. Aus Moskauer Sicht dürfte es beide Kirchen gar nicht geben – und noch sind sie auch nicht Mitglied im ÖRK. Ob dieser eigentlich unhaltbare Zustand in Karlsruhe noch beendet wird, ist offen. 

Vatikan verteidigt Papst-Äußerungen zum Ukraine-Krieg

Der Bundespräsident warnt und sagt, Dialog sei kein Selbstzweck. „Ein Dialog, der sich auf fromme Wünsche beschränkt und im Ungefähren bleibt, wird schlimmstenfalls zur Bühne für Rechtfertigung und Propaganda.“ Spielt also diese vermeintliche Dialogfähigkeit doch nur dem Verbrecher in die Hände? Welche „Türen“ werden da offengehalten, die von der anderen Seite nur als Einfallstor für neue Feindseligkeiten genutzt werden kann? Der Vatikan hatte jüngst noch mal die Statements des Papstes eingeordnet. Sie seien keine „politischen Stellungnahmen“, sondern würden allgemein zur „Verteidigung des menschlichen Lebens und der damit verbundenen Werte“ aufrufen, hieß es. Die „zahlreichen Interventionen“ dienten dazu, „die Hirten und die Gläubigen zum Gebet und alle Menschen guten Willens zur Solidarität und zu Bemühungen um den Wiederaufbau des Friedens einzuladen.“ Ist es sinnlos, so etwas zu formulieren. Nur in der allgemeinen politischen Logik ist das so, doch die ist ja für sich genommen auch bisweilen am Ende ihrer Handlungsfähigkeit.  

Der Ökumenische Rat der Kirchen ist ein einzigartiges Projekt mit mächtigen auch inneren Problemen und Konflikten. So muss sich in diesen Tagen noch zeigen, ob die Organisation offenem und verstecktem Antisemitismus in den eigenen Reihen klar entgegentritt und diesen abstellt. Natürlich darf die Einladung der Russen und deren Nicht-Ausschluss auch keine Art von Akzeptanz des Angriffskrieges nahelegen. Aber tatsächlich kann sich vielleicht erweisen, dass am Ende Duldung der Russischen Orthodoxen Kirche, die doch die westliche Welt als Feind definiert, mehr gebracht hat, als der einfache Effekt der Ausladung oder des Ausschlusses. Ein Versuch war es wert. 
 

Anzeige