Wahl in Österreich - Viele Möglichkeiten und wenig Optionen

Sebastian Kurz wird wieder Bundeskanzler, aber mit wem sollen er und seine ÖVP koalieren? Vier Parteien stehen im Prinzip zur Wahl, doch das macht die Sache nicht einfacher – im Gegenteil

Möglichkeiten gibt es viele. Doch für welchen Koalitionspartner wird sich Sebastian Kurz am Ende entscheiden? / picture alliance
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Christoph Prantner ist leitender Redakteur im Meinungsressort der österreichischen Tageszeitung Der Standard

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„Wer nicht kann, was er will, muss eben wollen, was er kann.“ Diese hyperrealistische Weltsicht ist gut 500 Jahre alt. Der Satz wird Leonardo da Vinci zugeschrieben. Und perspektivisch wird sich Sebastian Kurz, einer der großen Pragmatiker unter der politischen Sonne, daran halten – und halten müssen. Denn der Chef der konservativen ÖVP hat nach dem gestrigen Wahlsonntag in Österreich zwar einige Möglichkeiten, aber nur wenig realistische Optionen. Seine türkise Bewegung hat auf rund 37 Prozent Zustimmung zugelegt. Als Koalitionäre kommen in Frage: die zweitplatzierten, aber dennoch schwer gebeutelten Sozialdemokraten; die abgestrafte FPÖ; die parlamentarisch wiederauferstandenen Grünen. Und, in einer Dreier-Koalition, die liberalen Neos.

Im Wahlkampf sagte Kurz mit Blick auf enttäuschte freiheitliche Wähler, er wolle seine „ordentliche rechtskonservative Politik“ fortsetzen. Die Strategie ging auf, rund 260.000 Wähler, die 2017 noch die FPÖ gewählt hatten, schwenkten auf die ÖVP um – der größte Wählerstrom bei dieser Wahl. Die FPÖ verlor zehn Punkte auf nun 17 Prozent Zustimmung. Sie scheidet nach dem Ibiza-Desaster und vor allem dem wenige Tage vor der Wahl aufgeflogenen Spesenskandal um Ex-Parteichef Heinz Christian Strache trotz Kurz‘ Ansage als Koalitionspartner mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit aus. Zu risikoreich wäre eine neue Mesalliance mit den Rechtspopulisten. Es ist nicht abzuschätzen, welche Malversationen Staatsanwälte und Finanzbehörden in der schlingernden Partei noch aufdecken könnten. Daneben gibt es weiterhin die ungeklärte Abgrenzung der FPÖ von ihren ultrarechten Rändern, die bei Kurz und international für erhebliche Irritationen gesorgt hat.

Ein fulminantes Comeback

Mit der SPÖ wird der alte und mutmaßlich neue Bundeskanzler in Sondierungsgespräche treten, in denen sich wohl bald herausstellen dürfte, dass die inhaltlichen Schnittmengen zwischen den Parteien enden wollend sind. Überdies gibt es gut dokumentierte persönliche Animositäten zwischen dem Führungspersonal beider Parteien, und die politische Sozialisation des Wahlsiegers, der in Zeiten der gelähmten Großen Koalition groß geworden ist. Am wichtigsten aber ist: Die SPÖ ist unter Parteichefin Pamela Rendi-Wagner ideologisch und organisatorisch dermaßen ausgezehrt geblieben, dass sie realistisch eingeschätzt schon mit der Oppositionsrolle überfordert ist. Der beredte Beleg dafür ist das historisch schlechteste Ergebnis der SPÖ mit knapp 22 Prozent Zustimmung.

Die Grünen dagegen haben ein fulminantes Comeback hingelegt und ihren Stimmenanteil auf 14 Prozent beinahe vervierfacht. Mit diesem (erwarteten) Ergebnis im Rücken haben sie versucht, ihren Preis schon vor der Wahl in die Höhe zu treiben. Am Wahlabend legte Parteichef Werner Kogler polternd noch ein paar Schäuferl nach. Und obwohl es in Wien eine hochtourig linksdrehende, grüne Landespartei gibt, die Kurz beinahe schon persönlich hasst, stehen die Chance für eine Koalition nicht schlecht. Bundespräsident Alexander van der Bellen hat eine solche Variante bereits 2002 schon einmal erfolglos verhandelt. Er wird diesmal – diskret – wieder zu helfen versuchen. Inhaltlich müssten sich beide Seiten einiges zumuten, aber ein neues Projekt für die Alpenrepublik könnte am Ende der Gespräche stehen. Das müssten Kurz und Kogler ihrer Wählerschaft dann erklären, in beiden Lagern ist die jeweils andere Seite nicht sonderlich beliebt. Die Grüne Basis muss dem Projekt jedenfalls zustimmen.

Wahlmüde Österreicher

Manche Beobachter sehen als Kompromissvariante die Neos als eine Art Puffer zwischen beiden Polen, wenngleich eine Dreier-Konstellation immer schwieriger auf Kurs zu halten ist als eine Zweier-Variante. Für den Fall, dass gar nichts geht in Wien, hat Kurz als Rückfallposition nun jedenfalls nicht mehr die FPÖ. Deshalb hat er wenige Tage vor der Wahl in einer TV-Konfrontation eine Minderheitsregierung ins Spiel gebracht. Für das stabilitätsgewohnte Österreich wäre das äußerst ungewöhnlich und vor allem ein teurer Spaß. Das „Spiel der freien Kräfte“ im Parlament zwischen dem Bruch der ÖVP-FPÖ-Regierung  im Frühsommer und den Wahlen am vergangenen Sonntag hat die Steuerzahler einige Milliarden Euro gekostet. Wechselnde Mehrheiten beschlossen etwa üppige Pensionserhöhungen und ein früheres Pensionsantrittsalter für bestimmte Personengruppen (Kostenschätzung des Finanzministeriums bis 2023: rund zwei Milliarden Euro).

Der gravierendste Nachteil einer Minderheitsregierung aber wäre, dass in absehbarer Zeit wieder gewählt werden müsste. Bruno Kreisky hat das Anfang der 1970er Jahre in einem bisher einzigartigen Experiment mit dieser Regierungsform in Österreich vorexerziert –  mit der FPÖ, die damals ein kleinparteienfreundliches Wahlrecht bekam. Seine Minderheitsregierung hielt gerade mal 18 Monate. Den wahlmüden Österreichern, denen in den kommenden Monaten auch noch vier Landtagswahlen bevorstehen, könnte selbst ein Kommunikationstalent wie Sebastian Kurz erneute Neuwahlen in einem Jahr nicht schlüssig erklären.

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