Rebellion der Wagner-Truppe - Erhöhtes Risiko

Spekulationen und Verschwörungstheorien zur 36-Stunden-Meuterei der Wagner-Truppe in Russland bringen uns nicht weiter. Entscheidend ist, wie mit den jetzt gegebenen Unwägbarkeiten und Unsicherheiten politisch umgegangen wird.

Russlands Präsident Wladimir Putin / picture alliance
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Botschafter a.D. Rüdiger Lüdeking war während seiner Zeit im Auswärtigen Dienst (1980-2018) in verschiedenen Verwendungen, u.a. als stv. Beauftragter der Bundesregierung für Abrüstung und Rüstungskontrolle und Botschafter bei der OSZE, mit Fragen der Sicherheits- und Rüstungskontrollpolitik intensiv befasst.

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Die Rebellion der Wagner-Truppe vom vergangenen Wochenende ist gescheitert. War es – wie Prigoschin in seiner letzten Audiobotschaft behauptet – eine Meuterei gegen die Eingliederung der Privatarmee in die regulären russischen Streitkräfte und für die Absetzung des russischen Verteidigungsministers Schoigu und des Generalstabschefs Gerassimov? Oder war es nicht doch der Versuch eines Staatsstreichs? Letztlich ist die Antwort darauf nicht wirklich entscheidend. 

Das rasche Ende des Wagner-Aufstands legt immerhin nahe, dass Prigoschin recht unvorbereitet und ohne eine klare strategische Planung vorgegangen ist. Prigoschin konnte aufgrund offenbar weit verbreiteter Frustration über die Inkompetenz und Entrücktheit der aktuellen russischen Militärführung mit Sympathie und Zuspruch der einfachen Soldaten rechnen. Aber die erhoffte breite Unterstützung aus der russischen Bevölkerung blieb offenbar aus.

Putins Nimbus hat Schaden genommen

Gerade auch Äußerungen anerkannter militärischer Führer Russlands wie General Sergej Surovikin, der bereits am Samstag der Rebellion selbige verurteilte und dafür eintrat, die Befehle Putins zu befolgen, um nicht dem Feind in die Hände zu spielen, mögen den Ausschlag dafür gegeben haben, dass Prigoschin seinen Marsch auf Moskau abbrach und sich ins Exil nach Belarus begab.

Auch der Nimbus von Putin, der sich stets als verlässlicher Bewahrer russischer Interessen und Stabilität zu inszenieren suchte, hat erheblichen Schaden genommen. Darüber können auch seine jüngsten pompösen öffentlichen Auftritte, mit denen er seine ungebrochene Autorität und die Beherrschung der Lage dokumentieren wollte, nicht hinwegtäuschen. Für viele Russen ist sichtbar, dass es Putin an strategischem Weitblick fehlen ließ und die heraufziehenden Anzeichen des Wagner-Aufstands ignorierte. Und schon wird in vielen Medien über das bevorstehende Ende seiner Präsidentschaft spekuliert.

Ein rücksichtsloser Potentat

Die Aussicht auf eine Ende der Herrschaft Putins bietet jedoch keinen Anlass zu frohlocken. Es mag aber einem fehlgeleiteten Wunschdenken entspringen. Fehlgeleitet schon deshalb, da eben kein gemäßigter Politiker oder gar ein „guter Demokrat“ als Alternative bereit stünde. Vielmehr müsste man sich vermutlich auf einen Hardliner aus dem engeren Umfeld Putins einstellen, der den Sicherheits- oder Nachrichtendiensten entstammt, nationalistisch gesinnt ist und möglicherweise den Krieg mit hoher Brutalität, Rücksichtslosigkeit und Konsequenz zu einem für Russland akzeptablen Ende zu bringen versuchen würde.

Man mag Putin als verabscheuungswürdigen Autokraten mit zunehmenden faschistoiden Tendenzen sehen. Die Alternativen könnten jedoch noch deutlich schlimmere Folgen für die Sicherheit und Stabilität in Europa haben. Kann man sich etwa den Kriminellen Prigoschin an Putins Stelle vorstellen? Könnte er nicht als Herr über das weltweit größte Nuklearwaffenarsenal versucht sein, diese Waffen dann auch einzusetzen?
 

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Putin ist – von seiner nachrichtendienstlichen Tätigkeit geprägt – ein rücksichtsloser, auch zum Einsatz von Gewalt bereiter Potentat, der jedoch den verdeckten, indirekten Weg bevorzugt und dabei abwägend seine Optionen im Blick behält. So hat er auch lange gezögert, bis er die Ukraine direkt angegriffen hat, was Hardliner seines Regimes schon früher geraten hatten.

Nach der Prigoschin-Rebellion könnte Putin sich jetzt genötigt sehen, größere Entschlossenheit zu demonstrieren. Dies könnte auch bedeuten, dass seine Bereitschaft zu einer Eskalation wächst, was nicht nur die aktuell befürchtete Sprengung des ukrainischen Atomkraftwerks Saporischia durch Russland betreffen würde. Auch das vielfach in Deutschland kleingeredete Risiko des Einsatzes von taktischen Nuklearwaffen dürfte wachsen.

Bisher nicht absehbare Dynamiken

Letztlich ist noch nicht absehbar, ob die Prigoschin-Rebellion lediglich eine Episode bleibt oder den Anfang vom Ende Putins eingeleitet hat. Die weitere Entwicklung auf den Schlachtfeldern des Ukrainekriegs dürfte hierauf einen wesentlichen Einfluss haben. Zwar hat die Ukraine in den Tagen nach der Rebellion einige bedeutsame Gebietsgewinne machen und die russische Logistik über die Krim empfindlich stören können. Dennoch waren diese Erfolge die Ergebnisse nicht unbeträchtlicher Mühen unter Inkaufnahme hoher Opferzahlen.

Von einem Kollaps der russischen Verteidigungsfront lässt sich aktuell noch nicht sprechen. Zudem könnte eine zunehmend in Bedrängnis geratene russische Armee neue, bisher nicht absehbare Dynamiken in Gang setzen. Wie immer man den Status quo einschätzt: Die mit der aktuellen Situation gewachsenen Risiken – eine weitere Brutalisierung und Eskalation des Krieges wie auch Chaos und Instabilitäten für die europäische Sicherheit – dürfen nicht einfach so hingenommen werden.

Diplomatische Möglichkeiten ausloten

Auch sollte die Schwäche Russlands nicht einfach nur Antrieb sein, durch vermehrte Waffenlieferungen der Ukraine zu einem Sieg über Russland verhelfen zu wollen. Vielmehr bedarf es neben der Unterstützung der Ukraine gerade jetzt auch der nachhaltigen Auslotung der diplomatischen Möglichkeiten zur Beendigung des Kriegs. Es ist schlicht zynisch, die erheblichen Opferzahlen auf beiden Seiten achselzuckend hinzunehmen. Auch ist die verbreitete Meinung überheblich, dass allein der Westen die Bedingungen für einen Waffenstillstand oder eine Konfliktlösung definieren dürfe.

Das einfache Verwerfen des chinesischen Zwölf-Punkte-Plans ist in dem Zusammenhang verantwortungslos: Der Vorschlag Chinas ist zwar vage formuliert, knüpft aber an die für das Zusammenleben der Weltgemeinschaft zentralen Prinzipien wie Gewaltverbot, Souveränität und territoriale Integrität an.

Und auch die deutsche Außenministerin Baerbock hat bei ihrem jüngsten Besuch in Südafrika offenbar trotz moderaterer Töne nicht vermocht, Südafrika von einer Verurteilung Russlands zu überzeugen; vielmehr versteht Südafrika seine Neutralität als Voraussetzung für seine Friedensoffensive, die es mit anderen afrikanischen Staaten weiterverfolgen will. Der Westen darf sich nicht selbst durch eine allein wertegeleitete, realpolitische Erfordernisse außer Acht lassende Außenpolitik diplomatisch ins Abseits rücken.
 

Guido Steinberg im Gespräch mit Alexander Marguier: „Wir haben das strategische Denken verlernt“
 

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