Vorstoß von Nancy Faeser - Leider keiner da

Während in vielen EU-Staaten Migration zunehmend als Problemfaktor wahrgenommen wird, will die neue Bundesministerin für Innen und Heimat, Nancy Faeser, nun eine „Koalition der aufnahmebereiten Mitgliedstaaten“ in der Europäischen Union schmieden – und dadurch noch mehr Asylzuwanderung nach Europa möglich machen. Das Problem ist nur: Wer sollen diese Mitgliedstaaten denn sein?

Migration? Asyl? Humanität? Flüchtlinge in einem italienischen Hafen / dpa
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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Mailand hat seinen eigenen Domplatten-Skandal. In der Silvesternacht ist es in der italienischen Stadt reihenweise zu sexuellen Übergriffen gegen Frauen gekommen. Die Täter: überwiegend junge Nordafrikaner – 30, 40, vielleicht 50 Personen, ist zu lesen –, die Frauen bedrängt und begrapscht haben sollen. Von einem italienischen Ermittler ist zu hören: „Sie haben die Frauen wie Puppen behandelt. Einer hielt das Opfer fest, ein anderer missbrauchte sie, dann wechselten sie die Rollen.“

Und während Mailand nach den Vorfällen von Köln nun seine eigene Domplatten-Geschichte erzählen kann, hat die neue Bundesministerin für Innen und Heimat, Nancy Faeser (SPD), einen Twitter-Account – und offenkundig eine klare Vorstellung davon, wie die Europäische Union der Zukunft auch aussehen soll. In dem sozialen Netzwerk schrieb sie jüngst: „Wir sind bereit, auf dem Weg zu einem funktionierenden EU-Asylsystem mit einer Koalition der aufnahmebereiten Mitgliedstaaten voranzugehen“, gefolgt von drei Hashtags, die zeigen, dass am deutschen Wesen einmal mehr die Welt – oder wenigstens die EU – genesen soll: #Migration, #Asyl, #Humanität. Für Faeser ist Einwanderung nicht etwa eine Frage der wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Machbarkeit – sondern offenbar eine Frage der moralisch richtigen Einstellung. 

Milch und Honig

Nun mag es auf den ersten Blick nicht ganz fair sein, die Übergriffe in Mailand Faesers Version von einer schönen bunten EU gegenüberzustellen, in der alle Menschen jedweden kulturellen Hintergrundes und jedweder Hautfarbe friedlich miteinander koexistieren werden. Denn natürlich macht sich die große Mehrzahl der Menschen, die nach Europa kommen, nicht auf den Weg, um später dann jungen Europäerinnen auf öffentlichen Plätzen in den Schritt, an die Brüste und an den Po zu fassen. Ganz im Gegenteil. Die Kernmotivation der allermeisten Asylbewerber und Einwanderer – den illegalen wie den legalen – besteht wohl eher darin, in Deutschland, respektive in der Europäischen Union, ein besseres Leben führen zu können. Aber auch die Vorfälle in Mailand sind eben Teil des großen Themas Migration und Integration, das, anders als Faeser glauben mag, eben nicht nur eine Frage der Einstellung ist. 

Dass überdies in der EU nicht nur Milch und Honig fließen, sollte mittlerweile genauso bekannt sein wie der Umstand, dass man allein mit Einwanderung Probleme wie den demografischen Wandel oder den Fachkräftemangel nicht lösen wird. Stattdessen führt eine Asylpolitik, die mit weniger statt mehr Restriktionen verbunden ist, vor allem zu Einwanderung in den Sozialstaat, zu gesellschaftlichen Verwerfungen und im Umkehrschluss eben auch dazu, dass jenen, die kommen, um anderswo in der Welt ihr Glück zu suchen, das Leben nicht etwa erleichtert, sondern erschwert wird. Denn steigen die Probleme bei der Integration, steigt auch das Misstrauen gegenüber Menschen, die nicht hier geboren sind. Das ist zwar nicht fair, aber die reale Welt ist eben etwas härter als die linksgrüne Utopie.

Und zur Wahrheit gehört nun einmal auch, dass Faesers Vorstoß in der Asylfrage auch sonst eine erschreckende Naivität offenbart. Nicht nur, was die bereits existierenden Probleme etwa bei der Integration von Menschen betrifft, die aus gänzlich anderen Kulturen kommen und bisweilen nicht einmal lesen und schreiben können. Sondern auch, was die offenkundige Fehleinschätzung der neuen Bundesregierung angeht, einige Länder der Europäischen Union hätten quasi nur darauf gewartet, dass die Ampelkoalition das deutsche Ruder übernimmt, um gemeinsam mit ganz vielen Partnern dann die beste und bunteste EU zu bauen, in der Einheimische und Flüchtlinge jemals gemeinsam lebten.

Rechts, rechter, Zemmour

Die Realität ist nämlich eine andere: In den allermeisten Ländern der Europäischen Union hat sich längst ein gewisser Realismus breitgemacht, was Migrations- und Asylfragen angeht. Vielmehr werden Flüchtlinge und Einwanderer bei vielen unserer Nachbarn zunehmend eher als Problem denn als Bereicherung wahrgenommen. Dafür kann gewiss der einzelne Asylbewerber nichts – der gute Gründe haben mag, in die Europäische Union zu kommen –, aber es ändert halt nichts an der Tatsache, dass Faeser noch so emsig nach europäischen Verbündeten suchen kann, um den Traum von noch mehr statt weniger Flüchtlingen in der EU realisieren zu können. Sie wird sie schlicht nicht finden.

In Italien etwa wird nicht erst seit den Vorfällen von Mailand heftig über die Asylfrage diskutiert, vor allem über illegale Einwanderung über den Seeweg. So ist das auch in anderen Ländern im europäischen Süden, die sich beim Grenzschutz ohnehin regelmäßig alleingelassen fühlen. In Frankreich wiederum finden dieses Jahr Präsidentschaftswahlen statt, und die zentrale Frage scheint dort längst nicht mehr zu sein, ob der künftige Präsident einen einwanderungskritischen Kurs fahren wird, sondern eher, wie weit rechts der neue französische Staatschef genau stehen wird. Denn derzeit sieht es nach einem Rennen zwischen Amtsinhaber Emmanuel Macron, der Rechtsaußen Marine Le Pen und dem neuen Shootingstar von noch weiter rechts außen, Éric Zemmour, aus. Und selbst Macron findet, dass Migration besser „kanalisiert“ werden müsste.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser / dpa

Auf die osteuropäischen Länder, das ist bekannt, wird Faeser ohnehin nicht zählen können. Mal abgesehen davon, dass die Menschen von außerhalb der EU dort auch nicht hinwollen. Großbritannien ist mittlerweile raus aus der Europäischen Union – übrigens auch deshalb, weil man wieder alleiniger Herr über die Einwanderung ins Land sein wollte. Auch Österreich hat kein Interesse an einer linken Flüchtlingspolitik in der Europäischen Union, will den Zustrom dauerhaft eindämmen – und selbst das lange als quasi Musterland für eine liberale Asylpolitik geltende Schweden hat längst eine drastische Kurskorrektur in seiner Migrationspolitik vorgenommen, weil die alte Willkommenskultur weniger zu einem bunten Schweden geführt hat, dafür umso mehr zu No-go-Areas in schwedischen Großstädten. Wer bleibt also noch für Faesers „Koalition der aufnahmebereiten Mitgliedstaaten“, um noch mehr Menschen in die EU zu holen? Luxemburg etwa? Eben.

Zorn der Opposition

Wenig überraschend war denn auch, dass Faeser mit ihrem asylpolitischen Vorstoß direkt den Zorn der Opposition auf sich gezogen hat. Innenpolitiker Christoph de Vries (CDU) etwa sagte der Bild: „Oberste Priorität für eine deutsche Innenministerin muss jetzt sein, klare Stoppsignale zu senden und keine neuen Einladungen zu verteilen.“ Und auch der EVP-Abegordnete Christian Doleschal (CSU) meldete sich an gleicher Stelle zu Wort: „Das wird Europa auf Dauer zerstören.“

Faesers Twitter-Account steht unterdessen seit mittlerweile drei Tagen still. Gut möglich, dass die Suche nach „aufnahmebereiten Mitgliedstaaten“ nun erstmal nicht oberste Priorität im Innenministerium hat. Sondern – neben dem Kampf gegen Rechtsextremismus, den Faeser bereits mehrfach betonte – vielleicht eher die Suche nach jemandem, der um die Lage in der Europäischen Union weiß, was Themen wie Migration und Integration betrifft. Und der idealerweise auch ein bisschen Ahnung hat von der Kommunikation in den sozialen Netzwerken – und davon, was man mit einem Tweet alles auslösen kann.

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