US-Präsidentschaftsduell - Gegen den Wrestler Trump hat Biden kaum eine Chance

Inhaltlich war Herausforderer Joe Biden stärker als US-Präsident Donald Trump. Doch das dürfte dem Demokraten im ersten TV-Duell des US-Wahlkampfs kaum genützt haben. Denn diese „Debatte“ glich eher einem Ringkampf ohne Regeln. Und in dieser Disziplin liegt Trump weit vorn.

Manchen Medien gilt das TV-Duell als „hässlichste Debatte ever“ / Screenshot Youtube
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Die beiden Herren an den Stehpulten tragen feine Schlipse, wohlsitzende Jacketts und Einstecktüchlein. Das ist, wie schon nach Minuten klar wird, eine notwendige optische Erinnerung daran, dass es sich bei diesem Spektakel um das erste von drei Fernsehduellen handelt, die sich US-Präsident Donald Trump und sein demokratischer Herausforderer Joe Biden liefern werden. Und nicht um eine dieser Veranstaltungen, bei denen ölig glänzende Männer in eng anliegenden Strampelanzügen mit allen Mitteln versuchen, sich gegenseitig auf die Matte zu legen. 

Was sich die beiden Herren da lieferten, war Wrestling in Anzügen. „Die hässlichste Debatte ever“, notierte der britische Daily Telegraph. Und so war es auch. Das kann man beklagen und als zivilisatorischen Rückschritt betrachten. Aber wer zu Donald Trump in den Ring steigt, der muss wissen, dass dieser Kampf jenseits der Argumente archaisch werden wird, muss wissen, dass die schiere Physis und die Präsenz mindestens so wichtig sind wie die Argumente. 

Präpotent wie immer

Und da sah es über anderthalb Stunden dieses Schlagabtausches zwischen Herausforderer und Amtsinhaber im Kampf ums Weiße Haus so aus, als seien hier die Gewichtsklassen durcheinander geraten. Auf der einen Seite Präsident Donald Trump, präpotent wie immer, ja, aber zugleich fokussiert und enorm schlagfertig. Völlig ruchlos und etikettenfrei sowieso. Ihm gegenüber ein soignierter älterer Herr mit weißem Haar, der diesem Wrestler jedenfalls physisch weit unterlegen schien. 

Manchmal muss man als Zuschauer richtig mitleiden mit Joe Biden. „Systematic injustice“, systematische Ungerechtigkeit – es geht um Polizeigewalt gegen Schwarze – ist kein wirklicher Zungenbrecher, aber Biden braucht drei Anläufe, das Begriffspaar über die Lippen zu bekommen.

 Immer wieder braucht er die Unterstützung des Moderators, um aus den Schlägen des Amtsinhabers bereit zu werden, die auf ihn einprasseln. Nach neun Minuten muss der Moderator das erste Mal klarstellen, dass er der Moderator sei. Als er nach etwa 50 Minuten zum wiederholten Male Trump in die Schranken weist und ihm bedeutet, dass er Biden andauernd ins Wort falle, sagt Trump wie ein kleiner Junge im Sandkasten: „Er auch.“

„Will you shut up, man!“

Dieses unterirdische Debattenniveau geht auf Trumps Konto. Die Frage ist: Schadet ihm das? Er ist der, der er ist. Mehrere Male erklärt er sich zum besten Präsidenten, den die USA (gefühlt: dieser Planet) je gesehen hat. Seine schiere Kraft und Raubauzigkeit drängt Biden immer wieder in die Rolle desjenigen, der nurmehr verzweifelt abwinken kann oder dem der Satz entfleucht: „Will you shut up, man! This is so unpresidential.“ Das ist zwar wahr, aber auch nicht eben präsidentiell und so fein wie der Zwirn, den er trägt. 

Eine Wendung benutzt Biden gern, um die Strukturiertheit seiner Gedanken im Unterschied zum Redeschwall seines Gegenübers deutlich zu machen. „Number one“ am Ende des einen Arguments. „Number two“ zu Beginn des zweiten. Einmal fällt ihm Trump dabei ins Wort und setzt damit einen Wirkungstreffer: „Your are number two!“ Du bist eine Nummer zwei. Das ist nicht nur schmerzhaft, weil Biden der Vize von US-Präsident Barack Obama war. Sondern auch, weil es bis zu diesem Zeitpunkt auch den Zwischenstand dieses Schlagabtausches zusammenfasst. 

Inhaltlich ist Biden stärker

Inhaltlich macht Biden an der einen oder anderen Stelle Punkte. Bei den offenen Steuerfragen von Trump, die zuletzt durch einen Bericht, er habe über Jahre gar keine Steuern gezahlt, wieder aufgeflammt sind. Am schmerzhaftesten beim Thema Corona, als sich Trump in seiner unnachahmlichen Begeisterung an sich selbst als großen Pandemie-Bändiger preist, der die „chinese plague“, die chinesische Seuche im Zaum gehalten habe.

„Das ist der gleiche Mann“, sagt Biden mit seinem festen Blick direkt in die Kamera. Er sucht immer wieder die direkte Ansprache an die Zuschauer, während Trump den Moderator immer fest im Blick hat oder auch Biden: „Das ist der gleiche Mann, der Ihnen gesagt hat, an Ostern ist das alles vorbei, und der Bleichmittel als Medizin empfohlen hat. Glauben Sie ihm für einen Moment, was er Ihnen erzählt, bei all dem Zeug, das er Ihnen schon erzählt hat?“ 

Er hat keinen Plan, er redet nur und handelt nicht, das ist die Grundmelodie, die die Kampagnenleute von Biden ihrem Kandidaten eingebläut haben. Auf diesen Refrain kommt er bei dem knappen Dutzend Themen, die der Moderator aufruft, immer wieder zurück. Inhaltlich ist Biden am Ende stärker als Trump, aber ist das entscheidend? Biden wirkt schwächer, physisch schwächer und weniger fokussiert als Trump. Das liegt vor allem an seinen Aussetzern, bei denen man nicht genau weiß, ob sie nur mit dem Sprechapparat zu tun haben, also mechanischer Natur – oder eben doch mentaler Natur sind. Gerade bei seinen Adressen direkt an das Publikum passiert Biden das wiederholt. 

„This is not going to end well“ 

Am Ende der Debatte, die Wallace unter den gegebenen Trump-Bedingungen mit all den üblichen Medien-Side-Kicks auch gegen ihn (Trump: „Ich dachte ich diskutiere mit ihm (Fingerzeig zu Biden), jetzt diskutiere ich mit Dir, aber das ist okay, das bin ich ja gewohnt“) zu moderieren versucht, wird es für ein Publikum über die USA hinaus interessant. Für ein Publikum, das nicht in erster Linie wissen will, wie eine Krankenversicherung in den USA aussehen soll und was konkret gegen die Waldbrände in Kalifornien getan werden kann oder muss. Sondern das wissen will, ob die einstmals größte und stabilste Demokratie der Welt eine faire Wahl erlebt und einen verantwortungsvollen Umgang der Kandidaten mit ihrem Ausgang. 

Biden macht an dieser Stelle etwas, was Wahlkämpfer eigentlich nie tun. Er redet von einer möglichen Niederlage, in deren Fall er das Ergebnis akzeptieren würde. Es geht um die Frage, ob es sich um faire Wahlen handelt und ob sie durch den hohen Anteil an Briefwählern gesichert seien. Trump sieht überall Briefwahlunterlagen in den Mülleimern und Flüssen, alle mit seinem Namen natürlich. Und dann sagt er diesen Satz: „This is not going to end well.“ Das wird nicht gut ausgehen. Als der Moderator sagt, es könne Tage oder Wochen dauern, bis das Ergebnis da sei, fällt ihm Trump in Wort und ergänzt: „Monate!“

Dann ist es vorbei. Überstanden. Der Zuschauer in Übersee bleibt mit einem ausgesprochen blümeranten Gefühl zurück. Denn der Gesamteindruck dieses ersten Fernsehduells zwischen Amtsinhaber Donald Trump und seinem demokratischen Herausforderer Joe Biden ist: Es war schmutzig. Es ist schmutzig. Und es wird schmutzig bleiben. Lange über den Wahltag des 3. November hinaus.

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