Unterstützung für Putin in der arabischen Welt - Auf der Suche nach dem neuen Saladin

In der arabischen Welt findet Wladimir Putin wegen des russischen Überfalls auf die Ukraine breite Unterstützung. Das liegt weniger an seiner konkreten Politik als vielmehr daran, dass er als ein starker Führer gesehen wird, der sich den USA und dem Westen widersetzt.

Können gut miteinander: König Salman ibn Abd al-Aziz Al Saud und Wladimir Putin / dpa
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Autoreninfo

Hilal Khashan ist Professor für Politische Wissenschaften an der American University in Beirut und Autor bei Geopolitical Futures.

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Viele Araber haben gute Gründe, den russischen Präsidenten Wladimir Putin nicht zu mögen. Sunniten waren entsetzt über die entscheidende Rolle, die Russland im Syrienkrieg spielte, indem es den Zusammenbruch des Regimes von Baschar al Assad verhinderte, wahllos eine ungezählte Zahl von Zivilisten tötete und Schulen und Krankenhäuser zerstörte. Selbst schiitische Milizen, die im Bündnis mit den Russen gegen regierungsfeindliche Rebellen kämpften, wissen, dass Putins enge Beziehungen zu Israel es der israelischen Luftwaffe ermöglichten, iranische und schiitische Milizen in Syrien ungestraft zu bombardieren. Dennoch ist Putin bei vielen Arabern aus dem gesamten politischen Spektrum, einschließlich Republikanern und monarchischen Staatsoberhäuptern, erstaunlich beliebt.

Die Araber sind ständig auf der Suche nach neuen Helden, in der Hoffnung, einen weiteren Retter wie Saladin zu finden, den muslimischen Führer, der die Kreuzfahrer in der Schlacht bei Hattin besiegte und Jerusalem im Jahr 1187 zurückeroberte. In den 1950er-Jahren glaubten sie, ihren Helden im ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser gefunden zu haben, der versprach, die Araber zu vereinen und Israel zu vernichten. Doch die schwere Niederlage seiner Armee im Sechstagekrieg von 1967 ließ ihr Vertrauen in die konventionellen arabischen Armeen schwinden, und sie wandten sich stattdessen den palästinensischen Guerillabewegungen zu, die versprachen, den Kampf gegen Israel aufzunehmen. 1982 marschierte Israel in den Libanon ein, vertrieb die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) nach Tunesien, zwang ihren Anführer Jassir Arafat, den Frieden mit Israel zu suchen, und schadete Arafats Image als Anführer einer revolutionären Bewegung.

Die Suche nach einem einheimischen Retter erwies sich als illusorisch

1988 errang der Irak nach einem achtjährigen Krieg einen Pyrrhussieg gegen den Iran und stellte das Ergebnis als Sieg gegen den persischen Expansionismus dar. Saddam Hussein verfolgte ehrgeizige Aktivitäten im Bereich der Massenvernichtungswaffen, zu denen auch ein nicht ziviles Atomprogramm gehörte. In Anspielung auf die Zerstörung des Osirak-Atomreaktors in der Nähe von Bagdad durch Israel im Jahr 1981 drohte Hussein 1990 damit, halb Israel zu vernichten, sollte es erneut versuchen, die irakischen Atomanlagen zu zerstören. Weniger als vier Monate später marschierte er in Kuwait ein, erklärte es zur 19. irakischen Provinz und erntete die leidenschaftliche Zustimmung der arabischen Massen für das vermeintliche Einleiten der arabischen Einigung. Doch die vernichtende Niederlage der irakischen Armee gegen die US-geführte Koalition veränderte die Wahrnehmung des irakischen Führers schnell von einem lang ersehnten arabischen Helden zu einem irrationalen Diktator.

Nachdem sich ihre Suche nach einem einheimischen Retter als illusorisch erwiesen hatte, wandten sich die arabischen Massen an nichtarabische Führer. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan wurde durch seine Ablehnung des Westens und seine anti-israelische Rhetorik als glaubwürdiges Vorbild für die Araber dargestellt. Doch seine Unentschlossenheit und sein plötzlicher Politikwechsel veranlassten viele Araber, ihre Meinung zu ändern.

Putin hingegen erweckte den Eindruck, dass er für die Araber ein Held sein könnte, auch wenn sie ihn nicht als Freund betrachteten. Putin verfügt nicht nur über eine beeindruckende nukleare Kapazität, sondern modernisierte auch das russische Militär, nachdem er im Jahr 2000 Präsident wurde. Er führte 2008 einen erfolgreichen Krieg gegen Georgien und annektierte 2014 die Krim. Er widersetzte sich dem Westen und der Nato und versprach, die Ukraine daran zu hindern, zu einer Abschussrampe gegen die Russische Föderation zu werden. Er stellte die Hegemonie der USA in der internationalen Politik in Frage und versuchte, sie durch ein multipolares System zu ersetzen.

Die Araber sehen in Putin den Führer einer riesigen und mächtigen Nation

Der russische Präsident präsentiert sich als maskuline Figur. Er ist ein Kampfsportexperte. Er reitet auf Pferden, schwimmt in kaltem Wasser und jagt wilde Tiere. Das sind männliche Eigenschaften, die die Araber bei ihren eigenen Führern nicht finden. Die Araber sehen in Putin im Allgemeinen einen starken Führer, der unter Druck nicht einknickt und Russlands früheren Ruhm wiederherstellen will. In der Tat hat sich Russland unter Putin zu einer Weltmacht entwickelt; vom Forbes Magazine wurde er zwischen 2013 und 2016 denn auch vier Jahre in Folge zur einflussreichsten Person der Welt gekürt.

Auch Putin verwaltet seine Bevölkerung auf ähnliche Weise wie die meisten herrschenden Eliten in der arabischen Region, indem er sein Volk mit roher Gewalt zur Unterwerfung zwingt. Je mehr Putin im Krieg in der Ukraine Macht und Entschlossenheit zeigt, desto mehr wird er bewundert. Im Gegensatz zu den unsicheren und angespannten arabischen Herrschern strahlt Putin Ruhe und Zuversicht aus und vermittelt ein Bild der Entschlossenheit und Stärke.

In Syrien hat er die militärische Macht Russlands oft demonstriert, indem er beispielsweise von Marineschiffen im Schwarzen Meer und im Kaspischen Meer aus ballistische Raketen gegen schlecht bewaffnete Rebellen abfeuerte. Arabische Schiiten bezeichnen Putin, der neben Assad und dem Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah überall in den von der Regierung kontrollierten Gebieten auf Plakaten zu sehen ist, wegen seiner Rolle bei der Niederschlagung des sunnitischen Aufstands im Land häufig als Hadsch Abu Ali oder als „Befreier der Unterdrückten vom Unrecht“. Die Araber sehen in Putin den Führer einer riesigen und mächtigen Nation, die sich gegen die USA behauptet, welche nicht bereit sind, sich ihm frontal entgegenzustellen, weil Russland eine Atommacht ist.

Der Islam ist mit 20 Millionen Muslimen die zweitgrößte Religion Russlands

Die Araber betrachten Russland als den Erben der ehemaligen Sowjetunion. Wenn sie Putins Handeln heute beurteilen, beziehen sie sich immer noch auf die Außenpolitik des Kremls während der kommunistischen Ära und seine Unterstützung für arabische Anliegen, vor allem die Palästinafrage. Die meisten Araber haben einen antiwestlichen Komplex, der zu einem festen Bestandteil ihres kollektiven Bewusstseins geworden ist. Angesichts der entschiedenen Unterstützung der USA für Israel neigen die Araber dazu, sich auf die Seite eines jeden Landes zu stellen, das sich der Außenpolitik Washingtons widersetzt, unabhängig davon, wie sie persönlich zu der Angelegenheit stehen mögen.

Die Themen Kolonialismus und Imperialismus beschäftigen die Araber weiterhin, denn sie erinnern sich an die Unterstützung der Sowjetunion für die nationalen Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt. Sie denken immer noch in diesem Sinne und sehen Putin entsprechend, wenn auch fälschlicherweise. Die Araber würden Putins Sieg in der Ukraine als den ihren betrachten, auch wenn sie nicht davon profitieren. Sie würden es als erfreulich empfinden, wenn der vom Westen unterstützte jüdische Präsident der Ukraine, ein überzeugter Freund Israels, gegen Russland verlieren würde. In diesem Fall ist die arabische Haltung von Zweckmäßigkeit und nicht von prinzipiellen Überzeugungen geprägt.

Auch die arabischen Länder haben historische Bindungen zu Russland. Putin macht keinen Hehl daraus, dass der Islam einen festen Platz in der russischen Geschichte einnimmt, und hat oft die Notwendigkeit betont, die Qualität der islamischen Schulen in Russland zu verbessern. Der Islam wurde im 7. Jahrhundert in der russischen Wolgaregion und im Kaukasus eingeführt, zwei Jahrhunderte vor dem Christentum. Die russisch-orthodoxe Kirche knüpfte enge Beziehungen zum Patriarchat von Antiochien (das früher zu Syrien gehörte). Der Islam ist mit 20 Millionen Muslimen, die fast 14 Prozent der Bevölkerung ausmachen, die zweitgrößte Religion Russlands. Diese Verbindungen wurden 1788 dauerhaft in der russischen Gesellschaft verankert, als die russische Kaiserin Katharina die Große die Orenburger Versammlung einrichtete und den Unterricht der arabischen Sprache in bestimmten Hochschulen und Schulen förderte.

Moskau sich nicht in die inneren Angelegenheiten der arabischen Staaten ein

Auch wenn es in Russland antimuslimische Diskriminierung gibt, unterscheidet sie sich von der Islamophobie im Westen. In Russland erfolgt die Diskriminierung in Form einer ethnischen Hierarchie, die die russische Ethnie bevorzugt.

Für die arabischen Herrscher ist die Kommunikation mit Russland viel einfacher als mit dem Westen, weil Moskau sich nicht in ihre inneren Angelegenheiten einmischt. Als sich die arabischen Aufstände in der Region ausbreiteten, verurteilte Russland sie als eine Verschwörung der USA gegen die bestehenden Regime. Mit der Niederschlagung der syrischen Revolte, die die politischen Konturen des Nahen Ostens hätte verändern können, wenn sie erfolgreich gewesen wäre, hat Putin den arabischen Despoten eine Rettungsleine zugeworfen. Als der saudische Kronprinz Mohammad bin Salman 2018 kurz nach der brutalen Ermordung des saudischen Dissidenten Jamal Khashoggi in Istanbul am G-20-Gipfel teilnahm, wurde er von den meisten Teilnehmern wie ein Paria behandelt. US-Präsident Donald Trump ignorierte ihn, und der französische Präsident Emmanuel Macron und die britische Premierministerin Theresa May befragten ihn zum Mord an Khashoggi. Putin hingegen begrüßte ihn herzlich, gab ihm ein High-Five und schüttelte ihm fest die Hand.

Putin geht auf die arabischen Herrscher zu und knüpft scheinbar herzliche Beziehungen zu ihnen. Wenn er sie in Moskau empfängt, sitzt er neben ihnen und nicht an einem riesigen Tisch, wie er es bei seinen Treffen mit westlichen Staatsoberhäuptern tut. Putin ist sehr daran interessiert, die russischen Beziehungen zu den arabischen Ländern zu stärken, insbesondere während des Ukraine-Kriegs, der Russland für Monate, wenn nicht sogar Jahre, in die internationale Isolation treiben könnte.

Washington ist enttäuscht, dass die arabischen Führer den Ukraine-Krieg nicht verurteilen

Russland ist auch eine wichtige Rüstungsquelle für mehrere arabische Länder. Seit seiner Unabhängigkeit im Jahr 1962 ist Algerien ein ständiger Importeur von Waffen aus Russland, die mehr als 80 Prozent seiner militärischen Beschaffung ausmachen. Ägypten, der drittgrößte Empfänger von US-Militärgütern, kehrte nach den arabischen Aufständen auf den russischen Waffenmarkt zurück und importiert derzeit mehr als 40 Prozent seines Militärbedarfs aus dem Land. Selbst die Vereinigten Arabischen Emirate, die traditionell von westlichen Waffen abhängig sind, kaufen jetzt russische Militärgüter, die insgesamt sechs Prozent ihrer Militäreinfuhren ausmachen. Putin bot Saudi-Arabien auch den Verkauf des S-400-Flugabwehrraketensystems an.
 
Unterdessen ist Washington enttäuscht, dass die arabischen Führer den Krieg Russlands gegen die Ukraine nicht verurteilen. Jüngst besuchte US-Außenminister Antony Blinken die Region, um arabische Unterstützung für die Beendigung des Konflikts zu gewinnen. Die arabischen Staaten sind jedoch nicht in der Lage, Putin zu drängen, auf seine strategischen Ziele in der Ukraine zu verzichten. Außerdem sind sie nicht gewillt, ihre Haltung gegenüber Russland zu ändern, da sie glauben, dass eine Nähe zu Putin die Kritik der USA an ihrer nationalen Politik, insbesondere in Bezug auf Menschenrechte und Demokratisierung, abschwächen wird.

Die geografische Nähe, die kulturellen und religiösen Überschneidungen und das fehlende koloniale Interesse des kaiserlichen Russlands an der arabischen Region erleichterten das Eindringen der Sowjetunion in die Region mit antiwestlichem arabischem Segen. Putin will Russland als Zufluchtsort vor westlicher politischer Dominanz und als Sicherheitsschild für den Fall propagieren, dass sich die USA ganz aus der Region zurückziehen. Es ist insofern unwahrscheinlich, dass sich der Ausgang des Krieges in der Ukraine negativ auf diese Beziehungen auswirken wird.

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