Ungelöster Syrienkonflikt - Der endlose Bürgerkrieg

Auch nach mehr als zehn Jahren ist ein Ende des Syrienkonflikts nicht in Sicht. Das Schicksal des Landes bleibt ungewiss, weil die Präsenz ausländischer Streitkräfte jedwede Lösung unmöglich macht, und Präsident Assad sich an die Macht klammert. Faktisch ist Syrien heute ein geteilter Staat – und es ist sehr wahrscheinlich, dass er komplett auseinanderfallen wird.

Demonstranten bei einer Mahnwache in der Stadt Idlib anlässlich des neunten Jahrestages des vom syrischen Regime 2013 verübten Saringas-Massakers in Ost-Ghouta / picture alliance
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Autoreninfo

Hilal Khashan ist Professor für Politische Wissenschaften an der American University in Beirut und Autor bei Geopolitical Futures.

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Der Syrienkonflikt ist weitgehend aus den Schlagzeilen verschwunden, weil die politische Lage im Land festgefahren ist. Der langwierige Krieg erhält jedoch oft mehr Aufmerksamkeit, wenn wichtige Ereignisse im Ausland einen oder mehrere seiner Hauptakteure betreffen. So hat sich der Krieg in der Ukraine auf die syrische Krise ausgewirkt. Die Aussichten auf eine Beendigung des Konflikts sind angesichts des Desinteresses des Regimes an einer Einigung und der zersplitterten Bevölkerung des Landes düster. Angesichts der sich abzeichnenden Ordnung in der Region würde ein Frieden in Syrien auch eine Einigung der ausländischen Akteure erfordern, was aufgrund ihrer gegensätzlichen Interessen unwahrscheinlich ist.

Ein Ende des Syrienkonflikts ist nicht in Sicht. Das wesentliche Dilemma besteht darin, dass keine der seit 2011 vorgeschlagenen Friedensinitiativen ausdrücklich auf die Rolle von Präsident Bashar al-Assad in der Übergangszeit und auf sein politisches Schicksal im Nachkriegssyrien eingegangen ist. Syrien ist das einzige arabische Land, in dem der Aufstand nicht zum Sturz des Staatschefs geführt hat, was einen langwierigen Konflikt mit unermesslichen menschlichen Verlusten, demografischen Verwerfungen und materieller Zerstörung nach sich zog. Viele arabische politische Systeme sind autokratisch und repressiv, aber in Syrien, wo die alawitische Minderheit seit der Machtübernahme durch Hafez Assad im Jahr 1971 regiert, übertraf das Ausmaß der Unterdrückung auf ihrem Höhepunkt wahrscheinlich sogar die Unterdrückung unter dem Regime von Saddam Hussein im Irak.

Versprechungen nicht eingelöst

Der Sturz der Regierung von Hosni Mubarak in Ägypten war Auslöser für den Aufstand in Syrien, wobei es zunächst nicht um den Sturz des Regimes ging. Die friedlichen Demonstranten stellten gemäßigte Forderungen nach Freiheit und Bekämpfung der Korruption, aber die Armee versuchte dennoch, die Proteste im Keim zu ersticken. Syrer, die immer noch hofften, dass Assad den Reformprozess in Syrien anführen würde, wurden von seiner Rede am 30. März 2011 enttäuscht, in der er die Proteste als aufrührerische, von ausländischen Mächten inszenierte Verschwörung bezeichnete und versprach, sie niederzuschlagen, bevor er mit den Reformen fortfährt. Es ist verständlich, dass die meisten Syrer es heute vorziehen würden, wenn Assad ganz aus der nationalen Politik verschwände. Mehr als ein Jahrzehnt nach dem Aufstand, der sich in einen blutigen Bürgerkrieg verwandelte, hat er seine Versprechen in Bezug auf Reformen, Wiederaufbau und die Rückführung von Flüchtlingen noch immer nicht eingelöst.

Für Assad ist das Machtmonopol eine Garantie dafür, dass er und die alawitische Sekte nicht existentiell bedroht werden. Seine Anhänger haben das Land zerstört, um seine Präsidentschaft zu schützen, und er hat alle Versuche, Frieden zu schließen, ignoriert. Im August 2011 erklärte US-Präsident Barack Obama, Assad müsse grundlegende Reformen einleiten oder zurücktreten. Im Jahr 2012 kündigte die Arabische Liga eine Initiative an, die vorsah, dass Assad seine Macht zugunsten seines Stellvertreters Farouk al-Shara abgeben sollte, der in einer Übergangsphase echte Reformen einleiten würde. Das Regime in Damaskus lehnte dies jedoch kategorisch ab, und seither ist al-Shara von der politischen Bühne verschwunden. 

Ebenfalls 2012 legte der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan einen Friedensplan vor, der sich nicht ausdrücklich auf den Abgang Assads bezog, sondern die Notwendigkeit einer politischen Lösung betonte, die den Wünschen des syrischen Volkes gerecht wird, und andeutete, dass eine grundlegende Änderung der Regimestruktur eine weitere Herrschaft Assads nicht zulassen würde. Dann kam die Genfer Konferenz, die zu einem Plan für eine politische Lösung führte, der vom UN-Sicherheitsrat Ende 2015 einstimmig angenommen wurde.

Von Genf nach Astana

Auch der Genfer Plan verlangte nicht ausdrücklich die Entmachtung Assads, sondern stellte vielmehr eine akzeptable Lösung insbesondere für die USA und Russland dar. In dem Dokument wurde die Bildung einer Übergangsregierung aus Vertretern des Regimes, der Opposition und der Zivilgesellschaft erörtert, die schließlich zu einer demokratischen Regierung führen sollte. Außerdem wurde festgelegt, dass das Gremium im Konsens gebildet würde und sowohl die Opposition als auch das Regime ein Vetorecht hätten. Dennoch waren die Oppositionskräfte der Ansicht, dass Assad von der Zukunft des Landes ausgeschlossen werden müsse, um eine politische Lösung zu erreichen. Die meisten Länder, die an der Genfer Konferenz teilnahmen, waren sich ebenfalls einig, dass Assad keinen Platz in der Zukunft Syriens habe – mit Ausnahme Russlands, das Assads Recht auf Teilnahme am Übergangsprozess und auf eine erneute Kandidatur für das Präsidentenamt aufrechterhielt.

Mit dem Eingreifen Moskaus von September 2015 an nahm der Friedensprozess einen anderen Verlauf. Das Genfer Dokument wurde von den Gesprächen in Astana und Sotschi abgelöst. Parallel zu diesen Entwicklungen nahmen die Streitigkeiten zwischen den Anhängern der Opposition zu. Die Russen gewannen vor Ort wieder die Oberhand und lockten schließlich die Türkei in den Astana-Prozess. Russlands Ansatz konzentrierte sich auf die Schaffung eines dauerhaften Waffenstillstands und vier Deeskalationszonen, was die Zerstörung der von der Opposition kontrollierten Gebiete und die Verlegung der Rebellenkämpfer in die nordwestliche Provinz Idlib bedeutete. Auch wollte Russland die Verfassung ändern, was mehr als sieben Jahre nach Beginn des Astana-Prozesses noch immer nicht geschehen ist. Im Jahr 2021 kandidierte Assad für eine vierte Amtszeit und wurde für weitere sieben Jahre im Amt bestätigt.

Die im Rahmen des „Caesar-Gesetzes“ 2020 verhängten US-Sanktionen hinderten Assad daran, seinen militärischen Sieg in einen politischen umzuwandeln, indem sie den Wiederaufbauprozess in Syrien mit einer politischen Lösung verknüpften. Heute werden die Wiederaufbaubemühungen an mehreren Fronten behindert. Der Friedensprozess ist ins Stocken geraten. Ein Viertel der 22 Millionen Einwohner Syriens ist aus dem Land geflohen, ein weiteres Viertel wurde innerhalb des Landes vertrieben. Die Wirtschaft und die Infrastruktur liegen in Trümmern. Die Zahl der Analphabeten ist gestiegen, und nur 37 Prozent der Kinder haben Zugang zu einer Grundschulbildung. Mehr als 90 Prozent der Syrer leben in Armut, und 60 Prozent leiden unter Ernährungsunsicherheit. Die meisten strategischen Ressourcen wie Wasserkraftwerke, Ölfelder und Phosphatminen befinden sich außerhalb der Kontrolle des Regimes.

Die Korruption grassiert

Das einzige wirkliche Mittel, das die Länder, die sich Assad entgegenstellen, eingesetzt haben, sind einseitige Sanktionen; seine wichtigsten Helfer im Iran, in Russland und China hingegen stützen Assads Regime ungehindert weiter. Assad ist es gelungen, die Sanktionen zu umgehen, so dass sein Volk die Hauptlast zu tragen hat. Die Kosten für den Wiederaufbau Syriens belaufen sich auf mehr als eine Billion Dollar, und selbst wenn die Konfliktparteien eine Lösung für den Konflikt finden könnten, ist es unwahrscheinlich, dass Investoren eine Rolle beim Wiederaufbau des Landes spielen wollen, da das Geschäftsumfeld immer noch instabil ist und die Korruption grassiert.

Seit dem Beginn des russischen Krieges in der Ukraine hat der Astana-Prozess an Wirksamkeit verloren. Das letzte Treffen der Astana-Gruppe – bestehend aus Russland, Iran und der Türkei – fand vor weniger als zwei Monaten in Teheran statt, ohne dass greifbare Ergebnisse erzielt wurden. Es scheint, dass Syrien nun Gefahr läuft, sich aufzuteilen, da einflussreiche Länder zu dem Schluss gekommen sind, dass eine Lösung des Konflikts aussichtslos ist und eine Eindämmung das bestmögliche Szenario darstellt.

Eine politische Lösung wäre für Assad katastrophal, denn jede Versöhnungslösung würde letztendlich zu seinem Sturz führen. Die Syrer, darunter viele Alawiten, sind es leid, unter seiner Kontrolle zu leben. Weniger als ein Drittel der Bewohner der von ihm beherrschten Gebiete unterstützen ihn, während zwei Drittel der Bewohner auswandern wollen. Die Sanktionen sind nicht abschreckend genug, um Assad zu einer echten Lösung zu zwingen.

Syrien faktisch geteilt

Das Schicksal Syriens ist ungewiss, weil die Präsenz ausländischer Streitkräfte es keiner der Konfliktparteien erlaubt, über die Zukunft des Landes zu entscheiden. Es scheint, dass eine Teilung der einzig mögliche Ausweg aus dem Dilemma ist. Tatsächlich ist das Land de facto bereits geteilt, da die nationalen, religiösen, konfessionellen und politischen Gruppierungen Selbstverwaltungen eingerichtet haben, um ihre zivilen Angelegenheiten zu regeln. Das Regime scheint unterdessen darauf zu setzen, dass die Rückkehr Syriens in die Arabische Liga, sollte sie denn stattfinden, die Krise zu seinen Bedingungen beenden wird.

Die Franzosen zerstörten 1920 das arabische Königreich Syrien und kontrollierten es bis 1943, wobei sie einen künstlichen Staat ohne Fundament schufen. Der syrische Staat vereinte eine Vielzahl von unharmonischen Völkern, da Frankreich ihn auf einer konfessionellen und ethnischen Bruchlinie errichtete. Es war nur eine Frage der Zeit, bis er sich auflösen würde – und seine Wiederherstellung ist unwahrscheinlich.

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