Ulrike Guérot und der Krieg in der Ukraine - „Die Verhandlungslösung bin ich!“

Wer bisher gedacht hatte, dass Harald Welzer unter den deutschen Intellektuellen mit Blick auf den Krieg in der Ukraine in Sachen westlich-behaglicher Selbstgefälligkeit den Vogel abgeschossen hätte, wird wohl einem Irrtum unterlegen gewesen sein. Nach Meinung unseres Kolumnisten nämlich geht es noch eine Spur schärfer. Für ihn zeigt das Ulrike Guérot.

Unversöhnlich: Vorstandsmitglied der Atlantischen Gesellschaft Strack-Zimmermann und Politikwissenschaftlerin Guérot / ZDF Mediathek (Screenshot)
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Autoreninfo

Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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Seit dem Jahr 2021 hat Ulrike Guérot eine Professur für Politikwissenschaft an der Universität Bonn inne, zuvor war sie an der Universität für Weiterbildung Krems in Österreich beschäftigt. Besonders bekannt geworden ist sie für ihre wissenschaftlichen Arbeiten zur Zukunft Europas. Sie plädiert seit Langem für die Errichtung einer „europäischen Republik“.

Jüngst war sie bei Markus Lanz zu Gast. Es ging wieder einmal um die Frage, wer eigentlich Schuld hat an dem Gemetzel in der Ukraine und wie die Sache möglichst schnell beendet werden kann. Für Guérot scheint dabei klar: Wer allein Putin und Russland die Schuld an dem Krieg zuweist, springt zu kurz. Denn: „Wenn zwei sich streiten, wie kann dann einer streiten ohne den Zweiten? Es kann auch nicht einer nur alleine klatschen.“

Mal ganz abgesehen davon, dass man natürlich alleine klatschen kann: Guérot scheint offenbar zu meinen, dass die Ukraine und die Nato einen erheblichen Anteil an den Kriegsursachen hätten und genau deshalb jetzt in Verhandlungen gegenüber Putin nachgeben müssten. Zum Wohle des Friedens.

Strack-Zimmermann personalisierte die Debatte

Moderator Markus Lanz brachte das ebenso auf die Palme wie die couragierte FDP-Außenpolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), die ebenfalls zu Gast bei Lanz war. Guérots Äußerungen seien für sie zutiefst „befremdlich“. Sie würde „kein Wort“ zum Leid der ukrainischen Bevölkerung verlieren. Wie solle man denn, so fragte sie, mit jemandem „ins Gespräch“ kommen, der sich einem „mörderischen“ Angriffskrieg verschrieben hätte?

Guérot wiederum plädierte dafür, etwas mehr Abstand zu gewinnen von dem konkreten Leid der ukrainischen Bevölkerung. Man müsse vielmehr eine „strategische Perspektive“ einnehmen, um den Krieg beenden zu können. Und ein Ende des Krieges und des Leides der Zivilbevölkerung sei eben nicht möglich, wenn es die ganze Zeit nur um „taktische Fragen“ der militärischen Auseinandersetzung ginge.

Strack-Zimmermann indes brach die „taktischen Fragen“ ganz konkret und persönlich auf Guérot herunter. Was wäre denn, so fragte sie die Politikwissenschaftlerin, wenn sie selbst in einem Park überfallen würde? Würde sie dann auch mit dem Angreifer über die Beilegung des Konflikts verhandeln wollen? Für Guérot allerdings war das ein „ganz falsches Beispiel“. Wobei: So ganz falsch war es vielleicht nicht.

Letztlich warf Strack-Zimmerman Guérot vor, sie würde den Ukrainern unterstellen, die Russen provoziert und den Angriffskrieg dadurch selbst verschuldet zu haben. Guérot reagierte darauf in bemerkenswerter Offenheit mit einer Frage: „Wieso ist das eine Unterstellung?“ Für sie ist es offenbar die nackte Realität.

Egomanische Nabelschau

„Ich“, so betonte Guérot sichtlich angefasst vor laufenden Kameras, „bin die einzige, die hier gesessen hat in der Sendung und gesagt hat: Ich möchte den Waffenstillstand sofort, weil ich das nicht mehr sehen will.“ Moderator Markus Lanz wies das empört zurück. Natürlich ginge es allen darum, dass die Waffen so schnell wie möglich ruhten. Aber wahrscheinlich hat Lanz die Pointe des Selbstzeugnisses übersehen.

Denn vielleicht ist Ulrike Guérot tatsächlich die einzige in der Runde gewesen, die, um von der Realität nicht mehr belästigt zu werden, lieber die Niederlage der Ukraine ihn Kauf nehmen würde. Wenig später überbot sie diese ans Egomanische gemahnende Nabelschau durch ein weiteres Bekenntnis: „Die Verhandlungslösung bin ich!“

Und Ulrike Guérot ging noch einen Schritt weiter. Sie erinnerte daran, dass die Europäische Union ein seit vielen Jahrzehnten bestehendes Projekt des Friedens sei, in dem wir „nationale Grenzen und Souveränität“ aufgegeben hätten. Und das sagte sie ausgerechnet in dem Moment, als es bei Lanz um die Frage ging, ob ein russischer Diktatfrieden mit Abtretung ukrainischer Gebiete nicht eine Friedenslösung sein könnte. Wladimir Putin als Friedensengel im Geiste einer „europäischen Republik“: Darauf muss man erst einmal kommen.

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