Streumunition für die Ukraine - Bomben für den Frieden?

Joe Biden hat angekündigt, Amerika werde der Ukraine Streubomben liefern. Das könnte ein Schritt sein zu weiterer Eskalation. Oder im Gegenteil ein Versuch, den Krieg zu beenden. Denn der US-Präsident hat ein ernsthaftes innenpolitisches Interesse daran, dass der Konflikt sich nicht noch länger hinzieht.

Streubombenabwurf aus einem Langstreckenbomber der US-Luftwaffe / dpa
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Autoreninfo

George Friedman, 74, ist einer der bekanntesten geopolitischen Analysten der Vereinigten Staaten. Er leitet die von ihm gegründete Denkfabrik   Geopolitical Futures  und ist Autor zahlreicher Bücher. Zuletzt erschien „Der Sturm vor der Ruhe: Amerikas Spaltung, die heraufziehende Krise und der folgende Triumph“ im Plassen-Verlag.

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Der amerikanische Präsident Joe Biden hat vorige Woche angekündigt, Washington werde der Ukraine Streubomben überlassen – und mit sichtlicher Bewegung hinzugefügt, dass ihm diese Entscheidung sehr schwer gefallen sei. Im Allgemeinen kündigen Präsidenten keine Waffentransfers an, obwohl sie solche gelegentlich genehmigen. Normalerweise überlässt man derlei Erklärungen weniger bedeutenden Persönlichkeiten im Verteidigungsministerium, die so wenig wie möglich über die Art der Waffen oder über die Gründe für ihre Lieferung preisgeben. Hauptsache, sie versetzen die Öffentlichkeit nicht in Aufregung. Da wir Biden noch nie in dieser Weise erlebt haben, müssen wir uns fragen, was hier vor sich geht.

Meiner Meinung nach ist dies ein Teil des Versuchs, den Waffenstillstand zu erreichen. Es gibt kaum konkrete Hinweise auf amerikanisch-russische Treffen oder Gespräche über die Ukraine. Die Russen dürften den Krieg beenden wollen, aber sie können dies nicht auf eine Weise tun, die wie eine Niederlage aussieht. Das ist bei den meisten Kriegsparteien der Fall. Aber angesichts des versuchten Staatsstreichs der Wagner-Söldnergruppe, der ernsthafte Zweifel an der Loyalität hochrangiger russischer Militärs gegenüber der russischen Führung hat aufkeimen lassen, und angesichts der Ungewissheit, was derzeit überhaupt in Moskau passiert, ist die Beendigung des Krieges eine heikle Angelegenheit.

Keine Leichensäcke auf US-Stützpunkten

Auf amerikanischer Seite berührt der Krieg nicht das Herz der Nation. Im Gegensatz zu anderen Konflikten sind in diesem Fall keine Leichensäcke auf heimischen Luftwaffenstützpunkten gelandet, so dass die Dringlichkeit, den Krieg zu beenden, nicht gegeben ist – wiewohl die finanziellen Aufwendungen einige beunruhigen. Gleichwohl kandidiert der Präsident für die Wiederwahl, und seine Umfragewerte geben im Moment nicht viel Anlass zur Hoffnung. Ein erfolgreiche Beendigung des Krieges ist etwas, was sich jeder Präsident in seiner Position wünschen würde.

Damit ist die Dringlichkeit, den Konflikt zu beenden, ein wenig höher als üblich. Die Russen können nicht einfach nur mit gefallenen Soldaten davonkommen. Sie stehen politisch unter Druck, sowohl den Konflikt zu beenden als auch zu zeigen, dass die Truppenangehörigen nicht vergeblich gestorben sind. Der Krieg wurde geführt, um die Ukraine einzunehmen, die strategische Tiefe Russlands zu erweitern und russische Truppen an der Grenze der Nato zu stationieren. Die Amerikaner haben die Ukraine unterstützt, um all dies zu verhindern und um ihren Willen zu demonstrieren, die territoriale Integrität der Ukraine zu bewahren.

 

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Russland kann natürlich nicht die gesamte Ukraine bekommen, aber Präsident Wladimir Putin muss einen Teil davon einnehmen. Doch selbst wenn Washington und Kiew eine Teilung akzeptieren würden, gibt es keine logische, verteidigungsfähige Demarkationslinie, die die Ostukraine von der Westukraine trennt. Das Gebiet, das die Ukraine am ehesten opfern könnte, ist der Donbas entlang der Ostgrenze zu Russland. Diese Region ist stark von ethnischen Russen besiedelt, und Russland war dort schon vor dem Krieg präsent. Das Problem wäre folglich, dass Moskau mit seinem Krieg nicht wirklich viel gewonnen hätte. Diese Art von Zugeständnis würde Russland nämlich keine starke strategische Präsenz in der Ukraine verschaffen. Auch wenn Putin von einem überwältigenden Sieg für Russland spräche, würde ihm niemand glauben.

Nächste russische Offensive könnte effektiv sein

Putin befindet sich in einer schwierigen Lage und muss die Dynamik der Verhandlungen ändern. Er braucht einen überzeugenden militärischen Sieg, um den Krieg zu seinen Bedingungen zu beenden (und um ihn überhaupt vor der russischen Öffentlichkeit zu rechtfertigen). Vieles deutet darauf hin, dass die Russen einen massiven Angriff vorbereiten, um die ukrainische Gegenoffensive abzublocken und tief ins Land vorzudringen. Obwohl frühere russische Angriffswellen im Allgemeinen weniger erfolgreich waren als erforderlich, könnte diese Offensive durchaus effektiv sein. 

Russland hat dieses Mal einen echten Vorteil. Die Truppen, die es aufstellt, werden nicht aus der Wagner-Gruppe stammen, auch wenn es sich um erfahrene Kämpfer handelt. Höchstwahrscheinlich wird es sich um Angehörige der regulären Armee handeln, die von Kommandeuren geführt werden, die dem russischen Generalstab unterstellt sind. Die Erfahrung wird gemischt sein, aber es war ein langer Krieg, und Russland braucht sowohl frische als auch erfahrene Truppen. Auf ukrainischer Seite haben die ukrainischen Truppen gut gekämpft, aber sie sind müde – und ihre Reserven sind begrenzt.

Aus amerikanischer Sicht sollte der Krieg jetzt durch eine Verhandlungslösung beendet werden. Nur so werden die Russen jene Art von Abschluss akzeptieren, die die USA und die Ukraine brauchen. Washington benötigt eine Einigung aus innenpolitischen Gründen, insbesondere um die Wähler zu überzeugen, von denen viele den Krieg entweder skeptisch sehen oder ihn ganz ablehnen. Wenn die russische Offensive die ukrainische Verteidigung zerschlägt oder auch nur massiv beschädigt, werden diese Wähler noch weniger von der Notwendigkeit der US-Unterstützung für die ukrainischen Kriegsanstrengungen überzeugt sein.

Das Streubomben-Dilemma

Die USA sind sich einfach nicht sicher, ob die Ukrainer erschöpft sind oder nicht. Daher rühren auch die Streubomben und Bidens Befürchtungen. Wenn die Russen unter dem Einsatz von Streubomben angreifen, werden sie massive Verluste erleiden, und die Streitkräfte könnten relativ schnell zerschlagen werden. In jedem Fall hätten die Russen ihre letzte Chance auf Friedensverhandlungen verloren, in denen sie die erforderlichen Zugeständnisse erzwingen können.

So soll die Ankündigung des amerikanischen Präsidenten, Streubomben zu liefern, die Russen offenbar zu Verhandlungen zwingen und ihre Forderungen minimieren. Die Russen mögen die Aussage eines normalen Militäroffiziers über die US-Waffenunterstützung nicht allzu wichtig nehmen, aber eine Drohung des Präsidenten können sie nicht ignorieren. Das Einzige, was für mich ungewiss bleibt, ist die Qualität der amerikanischen Geheimdienstinformationen, die besagen, dass Russland nur wenige oder gar keine Streubomben besitzt, und dass es seinen nuklearen Bluff in die Tat umsetzen könnte. Biden hat nicht vor zu verlieren, was immer das für ihn bedeutet. Für Putin gilt das ebenso.

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