Vor der Wahl in der Ukraine - Ist der Clown nur eine Puppe?

39 Kandidaten treten bei den Präsidentschaftswahlen am Sonntag in der Ukraine an – und alle bezichtigen sich gegenseitig der Korruption. Favorit ist der Comedian Wladimir Selenskij, aber auch ihm wird vorgeworfen, von einem Oligarchen gelenkt zu werden. Wird sich weiter nichts ändern?

Nur Figuren im Spiel von Oligarchen? Die Präsidentschaftskandidaten Wladimir Selenskij, Petro Poroschenko und Julia Timoschenko
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Moritz Gathmann ist Chefreporter bei Cicero. Er studierte Russistik und Geschichte in Berlin und war viele Jahre Korrespondent in Russland.

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Zwei Fünf Jahre sind seit den fürchterlichen Ereignissen im Zentrum Kiews vergangen, als mehr als hundert Menschen ums Leben kamen, die meisten von ihnen Demonstranten. Der „Euromaidan“ verjagte den überaus korrupten Präsidenten Wiktor Janukowitsch, sein Nachfolger Petro Poroschenko versprach auf Wahlplakaten, nun beginne ein neues, europäisches Leben –  und wurde dafür gewählt. Viele Ukrainer hegten damals die Hoffnung, dass der immense Blutzoll dieser Revolution eine Rückkehr zu einer von Korruption geprägten Politik, welche die Entwicklung des Landes seit drei Jahrzehnten verhindert, unmöglich machen würde.

39 Kandidaten, noch mehr Versprechungen

Aber wer in diesen Tagen auf den kaputten Straßen der Ukraine unterwegs ist, kann es eigentlich nicht fassen, wie sehr alles beim Alten geblieben ist: Das Land ist förmlich zugepflastert mit Wahlplakaten, von früh bis spät bezichtigen sich die 39 (!) verbliebenen Kandidaten im Fernsehen einander der Korruption und überbieten sich gegenseitig in Versprechungen, was Frieden (mit Russland), Renten (mehr), Gaspreise (weniger) und Industrie (Wiedergeburt) angeht. Die meisten Fernsehsender gehören Oligarchen oder Politikern, und je nach politischer Ausrichtung wird der politische Gegner mit allen Mitteln bekämpft. So behauptete einer der populärsten Sender vor wenigen Tagen, Poroschenko habe seinen Bruder umgebracht. Mit von der Partie ist auch wieder die 58-jährige Julia Timoschenko, die seit nunmehr zwei Jahrzehnten versucht, Präsidentin des 45-Millionen-Landes zu werden.

Derweil liegt das Bruttoinlandsprodukt des Landes auf dem Niveau von 2006, nachdem es zwischenzeitlich fast doppelt so hoch lag, der Krieg mit von Russland unterstützten Separatisten im Donbass geht in sein fünftes Jahr, und die Justiz ist korrupt wie eh und je: Gerade hat das Verfassungsgericht die nach der Revolution eingeführte Strafverfolgung für „illegale Bereicherung“ kassiert – ein klareres Signal des Präsidenten an korrupte Regionalfürsten und Richter kann es nicht geben.

Ein Comedian als Top-Kandidat

Die politische Elite der Ukraine präsentiert sich auch nicht anders als früher – und die Ukrainer reagieren mit Protest: In allen Umfragen führt der 41-jährige Wladimir Selenskij, beliebtester Comedian des Landes, aber politisch ein völliger Neuling. Letzteres ist gleichzeitig sein bestes Argument, denn inhaltlich hat er wenig Greifbares zu bieten. Seine Wahlkampagne sucht jedoch an Genialität ihresgleichen: Seit 2015 spielt Selenskij die Hauptrolle in der populärsten ukrainischen Serie „Diener des Volkes“, in der ein einfacher Geschichtslehrer plötzlich Präsident wird. Gerade in dieser Woche ist die dritte Staffel der Serie angelaufen. Und am Tag vor den Wahlen wird der Sender einen Dokumentarfilm über einen anderen Schauspieler zeigen, der Präsident wurde: Ronald Reagan. Gesprochen wird der Film von… Wladimir Selenskij.

Dass Selenskijs Serie auf dem Sender des Oligarchen Igor Kolomojskij läuft, legt den Verdacht nahe, dass der Schauspieler lediglich eine Puppe in den Händen des Oligarchen ist, mit der sich Kolomojskij an Präsident Poroschenko rächen will. Dieser hatte ihn in den vergangenen Jahren wirtschaftlich und politisch entmachtet. Selenskij hat das immer wieder zurückgewiesen, aber eine Konstante der ukrainischen Politik wird sich wohl auch nach der Stichwahl in drei Wochen, bei der Selenskij vermutlich gegen Poroschenko oder Timoschenko antreten wird, nicht ändern: Ohne die mediale und wirtschaftliche Macht der kleinen und großen Oligarchen ist in der Ukraine kein Staat zu machen.

Der ukrainische Außenminister Pawlo Klimkin sagte 2018, pro Jahr verlasse eine Million Ukrainer das Land. Die jüngere Generation der Ukrainer verfolgt die Wahl am Sonntag (und die Parlamentswahlen im Herbst) aufmerksam. Wenn in der Ukraine auch unter dem Politikneuling Selenskij alles beim Alten bleibt, werden insbesondere die Jüngeren die Chancen nutzen, die ihnen Länder wie Deutschland, Italien, aber insbesondere Polen in den letzten Jahren bieten. Und dem Land den Rücken kehren.

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