Ukraine-Konflikt - Die Linke und der russische Einmarsch

Über Wochen warfen Politiker der Linken der Bundesregierung und den deutschen Medien einen einseitigen Blick auf den Ukraine-Konflikt und Putins Interessen im Donbass vor – und wollten partout nicht an einen Einmarsch Russlands glauben. Seit Montag ist klar: Das Geraune von der Kriegstreiberei des Westens war entweder naiv – oder Ausdruck einer Weltsicht, die irgendwo in den Grenzen von anno dazumal steckengeblieben ist.

Am Rande einer Kundgebung zum Ukraine-Konflikt schwadronierte Linke-Politikerin Sevim Dağdelen über „CIA-Lügenmärchen im deutschen Blätterwald“ / dpa
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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Nach der Wiederholung einzelner Statements aus dem russischen Sicherheitsrat wird Klaus Ernst, Bundestagsabgeordneter der Linken, ab Minute 34:17 live ins Studio von RT DE geschaltet. „Die Grenzen sind anerkannt international“, sagt er, weshalb eine „einseitige Anerkennung“ von Donezk und Lugansk durch Russland „ein Bruch des Völkerrechts“ wäre. Die Berichterstattung der „westlichen Medien“ nennt er „einseitig“, da Fakt sei, dass „die Medien die Sicherheitsinteressen Russlands – und um die müsste es ja eigentlich gehen, auch bei der Lösung des Konfliktes – nur unzureichend berücksichtigen und werten. Ich bedauere das sehr.“ Kurz darauf wird das Gespräch unterbrochen, denn Putin hat eine Ankündigung zu machen. Worum es da geht, lässt sich seit Montag in der Presse verfolgen.

Ernsts Analyse über die deutsche Berichterstattung zum Ukraine-Konflikt ist insofern bemerkenswert, dass er diese bei RT DE stellt. Denn RT DE gilt als Propagandamedium des Kreml und wird von Russland finanziert. Angeblich soll sich im Büro der Chefredakteurin Margarita Simonjan sogar ein gelbes Sondertelefon befinden, über das die Chefin verschlüsselt direkt mit dem Kreml kommunizieren kann. Bemerkenswert allerdings nur auf den ersten Blick. Denn in Zusammenhang mit der Ukraine-Krise sind in den vergangenen Wochen wiederholt Politiker der Linken mit Vorwürfen aufgefallen, die Bundesregierung und mit ihr die deutschen Medien würden zu einseitig auf den Ukraine-Konflikt blicken. Und nicht immer kam die Kritik tendenziell eher sachlich daher, wie von Ernst in der Live-Schalte bei RT DE, der immerhin auch anmerkt, dass wahrscheinlich auch in Russland einseitig über den Ukraine-Konflikt berichtet würde. Dazu gleich mehr.

Der Wunsch als Vater des Gedanken

Im Zuge des Ukraine-Konflikts jedenfalls schlägt einmal mehr die Stunde der Partei Die Linke. Einst hervorgegangen aus der SED und ihrer Nachfolgepartei PDS werden – wie schon bei der Annexion der Krim – tiefrote Erinnerungen wach an das sowjetische Bündnis von einst, als man noch ein bisschen Hoffnung hatte, dass der Kommunismus doch keine blöde Idee ist. Und weil dem so ist, gerierten sich Teile der Partei rund um den Ukraine-Konflikt über Wochen nicht nur als Putinversteher, sondern auch als Chefkritiker der deutschen Medienberichterstattung und Mahner gen Bundesregierung, nicht auf die Lügenmärchen der CIA hereinzufallen und sich an der von den USA vorangetriebenen Kriegstreiberei gegen Russland zu beteiligen.

Deutlicher als Ernst wurde vor wenigen Tagen etwa die Linke-Bundestagsabgeordnete Sevim Dağdelen am Rande einer vermeintlichen Friedenskundgebung in Berlin – und lieferte dabei auch einen interessanten Einblick in ihre Sicht auf die Welt. „Wie viele aus Politik und Medien, die eine Kontrollinstanz im Land haben sollten, die einen Journalismus betreiben sollten, die auch Fakten haben wollen, die hinterfragen Informationen“, rief Dağdelen grammatikalisch etwas holprig ins Mikrofon, „wie erschreckend, dass man eins zu eins diese Lügenmärchen des US-Geheimdienstes im Blätterwald der deutschen Presselandschaft gesehen hat! Ungefragt einfach so übernommen. Ja sind wir denn in einem totalitären Staat?!“, so Dağdelen, die seit 2005 – das nur zur Erinnerung – nicht etwa gut situierte Abgeordnete in der russischen Staatsduma, sondern im Deutschen Bundestag ist, und dort unter anderem Mitglied im Auswärtigen Ausschuss.

Auch Linke-Politikerin Sahra Wagenknecht äußerte sich noch am Sonntagabend bei Anne Will, sagen wir, etwas eigenwillig zur Rolle Putins und des Westens im Ukraine-Konflikt. Wagenknecht beklagte unter anderem eine „amerikanische Aggressivität, mit der ein russischer Einmarsch herbeigeredet“ werde, und gab außerdem zu Protokoll: „Manchmal hat man das Gefühl, da ist der Wunsch Vater des Gedankens.“ Und auch Dieter Dehm, ehemaliger Bundestagsabgeordneter der Linken, verteidigte noch vergangene Woche beim „Talk im Hangar 7“ des österreichischen Senders Servus TV das Vorgehen Putins. Dass die USA vor einer drohenden Invasion Russlands in die Ukraine warnten, wertete Dehm als „ein ziemlich gemeiner Plan der Nato und des Pentagon“, die ukrainische Regierung „aufzuhetzen“.

Berechtigte und nostalgische Interessen

Nun ließe sich vielleicht einwerfen, dass Prognosen immer schwierig sind, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen – und es selbstredend gar nicht so leicht ist, in den Kopf eines Wladimir Putin zu blicken. Die Wahrheit dürfte aber eher sein, dass es Teilen der Linken schon qua Parteihistorie schwerfällt, auch gedanklich den Schritt herauszuwagen aus einer feudalen Vorstellung einer Welt, die aufgeteilt war zwischen dem Kapitalismus hier und dem Kommunismus dort. Denn freilich ist die Ukraine ein souveräner Staat und als solcher nicht bloße Verhandlungsmasse zwischen dem Westen und der einstigen Weltmacht Russland.

Selbstredend macht es gleichwohl Sinn in einer freien Welt, Russland nicht zu isolieren. Und in einem Punkt hat man bei der Linken sicherlich Recht, nämlich in dem, dass es in der globalisierten Welt von heute, wo fast jeder auch ein stückweit abhängig ist vom anderen, dass in dieser Welt die Diplomatie ein besserer Kommunikationsansatz ist als das Donnern schwerer Geschütze. Klar ist aber auch, dass sich Russland hierfür an gewisse Spielregeln halten müsste. Doch offenkundig scheint es da bei Teilen der Linken massive Orientierungsschwierigkeiten zu geben, wo die Grenzen zwischen den berechtigten und den nostalgischen Interessen Russlands liegen, dessen Präsident Putin bei seiner Rede am Montag erstmal ausholte für ein langes Referat über die angebliche Entstehungsgeschichte der Ukraine. Zumindest teilweise, muss man fairerweise sagen.

Keinesfalls eine „Friedensmission“

Denn am Dienstag haben die Partei- und Fraktionsspitzen der Linken das Verhalten Russlands im Konflikt mit der Ukraine dann doch kritisiert. „Die Anerkennung der ,Volksrepubliken‘ und der Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine eskalieren den Konflikt weiter“, schrieben sie gemeinsam. „Das ist keinesfalls eine ,Friedensmission‘, das ist völkerrechtswidrig, verletzt die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine und befördert die Gefahr eines großen Krieges in Europa.“ Laut der Deutschen Presse-Agentur stehen hinter der Erklärung die Parteivorsitzenden Susanne Hennig-Wellsow und Janine Wissler sowie die Fraktionsvorsitzenden Amira Mohamed Ali und Dietmar Bartsch. Nach eigenem Bekunden unterstützt auch Dağdelen diese Position. 

Gleichwohl meldete sich am Dienstagabend dann noch die Linksjugend Solid Berlin, der Hauptstadableger der inoffiziellen Jugendorganisation der Partei, zum Vorgehen Russlands auf Twitter zu Wort. „Der Hauptfeind steht immer noch im eigenen Land!“, war da zu lesen. Und auch: „Nein zu imperialistischen Kriegen! Nein zur Nato!“ – gefolgt von den Forderungen „Keine Sanktionen“ und „Nato zerschlagen“. Davon distanzierte sich dann wiederum die Linksjugend Treptow-Köpenick: „Wir finden es beschämend, wie einseitig hier mit aktuer Kriegsgefahr umgegangen wird. Wir distanzieren uns ausdrücklich von diesem Statement und verurteilen den Völkerrechtsbruch Russlands“, twitterte die postwendend. Und nun?

Eine Gedenkminute für die Sowjetunion

Folgender Gedanke: Vielleicht sollten die jetzt noch verbliebenen Putinversteher der Linken, Jugendorganisationen freilich inbegrifffen, demnächst einen gemeinsamen Russlandabend veranstalten, inklusive Gedenkminute in schöner Erinnerung an die Sowjetunion. RT DE liefert dafür sicherlich gerne das entsprechende Entertainmentprogramm mit Bildern aus dem Donbass, wohin sich russische „Friedenstruppen“ voraussichtlich auf den Weg machen werden, um ein bisschen 3. Weltkrieg zu proben. Denn auf die deutsche Presse, das weiß man bei gewissen Teilen der Linken, kann man sich im Ukraine-Konflikt halt leider nicht verlassen.

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