Tschechische Präsidentschaftskandidatin - Unterkühlt, ehrgeizig, jung

Zunächst erschien sie chancenlos, doch inzwischen kann sich mit Danuše Nerudová erstmals eine Frau berechtigte Hoffnung auf das Präsidentenamt in Tschechien machen. Zuletzt hat sie das Bewerberfeld von hinten aufgerollt.

Danuše Nerudová hat Chancen, die erste tschechische Präsidentin zu werden / dpa
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Peter Lange war bis August 2022 Korrespondent für ARD und Deutschlandradio in Prag.

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Prag im November 2020: die zweite Corona-Welle. Das Jahrestreffen des Deutsch-Tschechischen Gesprächsforums findet deshalb online statt. Zu einer Diskussion ist aus Brünn Danuše Nerudová zugeschaltet. Aber sie hat den Verbindungstest versäumt, ist erst auf den letzten Drücker vor dem Bildschirm erschienen und findet sich nicht auf der Tastatur zurecht. Als sie dann alle anderen hören kann, antwortet sie auf politische Fragen gelinde gesagt einsilbig. Sie sei ja Wissenschaftlerin. Und nicht nur der Moderator fragt sich insgeheim, warum sie überhaupt ihre Teilnahme zugesagt hat.

So etwas würde Danuše Nerudová heute sicher nicht mehr passieren. Die Professorin für Wirtschaftswissenschaft, verheiratet mit einem Rechtsanwalt und Mutter zweier Söhne, war bis vor einem halben Jahr noch Rektorin der Mendel-Universität in Brünn. Nun kandidiert sie für das tschechische Präsidentenamt – und das nicht ohne Erfolgsaussichten. Lange Zeit war sie nur eine von etwa 20 Persönlichkeiten, die Interesse an einer Bewerbung bekundeten, eine Ökonomin, die mit ihrer Expertise hin und wieder im Fernsehen zu sehen war; eine aparte, aber etwas unterkühlte Person, ehrgeizig, selbstbewusst, konflikt- und durchsetzungsfähig. Mit 38 Jahren zur Rektorin gewählt, so jung wie noch niemand vorher in Tschechien, und als erste Frau sowieso. 

Die erste Frau als Staatsoberhaupt

Aber sie vermag auch unterschiedliche Interessen zusammenzubringen und Gräben zu überwinden. Das hat Danuše Nerudová gezeigt als Vorsitzende einer sehr heterogenen Regierungskommission aus 50 Leuten, die eine Rentenreform erarbeiten sollte. Ihr wird zugeschrieben, dass am Ende ein konsensfähiges Konzept stand, das allerdings die Regierung von Andrej Babiš dann doch nicht aufgegriffen hat.
 

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Zu Beginn ihrer Kandidatur Ende Mai galt die Hochschullehrerin noch als chancenlos. Aber dann hat sie das Bewerberfeld von hinten aufgerollt. Im September votierten in den Umfragen 10 Prozent für sie, im Oktober waren es 15 – und Ende November lag Nerudová mit 23,5 Prozent auf Platz drei unter den offiziell zugelassenen neun Kandidatinnen und Kandidaten. Ihr wird nun sogar zugetraut, am 13. und 14. Januar den zweiten Platz zu erreichen – und damit die Stichwahl um das Präsidentenamt 14 Tage später.

Eine Entwicklung, die nicht von ungefähr kommt: Sie hat erfahrene PR-Manager um sich und 700 Freiwillige, die sich für sie engagieren. Sie wirkt jetzt offener und sympathischer, auch souveräner im Umgang mit den Medien. Ihr Team bespielt die Internetkanäle so intensiv wie keines der Konkurrenz. Und sie bekommt ausreichend Wahlkampfspenden.

Der Lauf, den ihre Kampagne hat, setzt nun Fantasien frei: Erstmals eine Frau als Staatsoberhaupt ist auch in Prag eine denkbare Option, wo es doch die Slowaken mit Zuzana Caputová vorgemacht haben, die in Tschechien von vielen als heimliches Staatsoberhaupt betrachtet wird, weil sie sich von Präsident Miloš Zeman blamiert fühlen. Danuše Nerudová, mit 42 Jahren die Jüngste auf der Kandidatenliste, steht für einen möglichen Generationenwechsel und für die Hoffnung, an die Staatsspitze endlich eine Person auf der Höhe der Zeit zu bekommen. Ihr wichtigster Trumpf jedoch: „Ich muss in der Kampagne nicht meine Vergangenheit verteidigen, sondern kann mich auf die Zukunft konzentrieren.“ 

Keine kommunistischen Altlasten

Das zielt auf die zwei Konkurrenten, die in den Umfragen vor ihr liegen: Auf Platz eins Andrej Babiš mit 27 Prozent. Der Milliardär und Ex-Premier, auch schon 68 Jahre alt, entstammt der kommunistischen Nomenklatura und bestreitet bis heute, vor 1989 für den Staatssicherheitsdienst berichtet zu haben, obwohl Akten und Gerichtsurteile das Gegenteil sagen. Außerdem steht er gegenwärtig wegen Subventionsbetrugs vor Gericht. Fast gleichauf mit Babiš lag zuletzt Petr Pavel, ehemaliger Armeechef und einige Jahre Vorsitzender des Nato-Militärausschusses. Der Ex-General, 61 Jahre alt, gilt als honorig und vertrauenswürdig, war als junger Mann ebenfalls KP-Mitglied und diente einige Jahre im Militärgeheimdienst. Anders als Babiš geht er damit allerdings offen um. Das sei nichts, worauf er stolz sei, aber dagegen stünden nun drei Jahrzehnte im Dienst der tschechischen Demokratie. 

Mit Danuše Nerudová könnte das Land die kommunistischen Altlasten endgültig abstreifen. Sie steht für das moderne proeuropäische Tschechien, für die Jungen, Urbanen, formal besser Gebildeten und die Frauen. Ob das reicht, um in der zweiten Runde auch Andrej Babiš zu schlagen, oder ob Petr Pavel dafür der bessere Kandidat wäre, das ist unter den Experten heiß umstritten. Aber wenn sie es in die Stichwahl Ende Januar schafft, ist nichts mehr unmöglich.

 

Dieser Text stammt aus der Januar-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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