Studie zur Berichterstattung über den Ukraine-Krieg - „In einigen Fällen wurde sehr einheitlich berichtet“

Wird zu einseitig über den Ukraine-Krieg berichtet? Intellektuelle wie Richard David Precht und Harald Welzer haben das „den Medien“ immer wieder vorgeworfen. Nun ist eine Studie zur Frage erschienen.

Ukrainische Soldaten feuern auf russische Stellungen in der Nähe von Bachmut / dpa
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Robert Horvath hat Biochemie und Kommunikations-wissenschaften studiert. Derzeit absolviert er ein Redaktionspraktikum bei Cicero.

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Bereits zum wiederholten Male innerhalb weniger Jahre sehen sich die deutschen Leitmedien dem Vorwurf der einseitigen Berichterstattung ausgesetzt. Wie bereits während der Flüchtlingskrise und der Corona-Pandemie, werden auch über die Berichterstattung des Ukraine-Kriegs immer wieder Stimmen laut, die eine fehlende Meinungsvielfalt beklagen. Zu den namhaftesten Kritikern gehören der Philosoph Richard David Precht sowie der Soziologe und Sozialpsychologe Harald Welzer.

Die Kernkritik liest sich in etwa so: Trotz nicht unerheblicher Schäden für Wirtschaft und Bevölkerung hierzulande und trotz der Gefahr, aktiv in einen Krieg hineingezogen zu werden, würde zu einseitig eine Unterstützung der Ukraine mit Waffen und sonstigem militärischem Gerät befürwortet. Doch ist an den Vorwürfen etwas dran?

Grundlage: 4.300 Beiträge aus acht Leitmedien

Dieser Frage sind Marcus Maurer von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und seine Kollegen in einer Studie nachgegangen. Der Titel: „Die Qualität der Medienberichterstattung über den Ukraine-Krieg“. Damit legen die Forscher erstmals eine Einschätzung zum Vorwurf der Einseitigkeit vor, die auf Evidenz beruht, nicht auf persönlichen Eindrücken und Mutmaßungen. 

Rund 4.300 Beiträge aus den ersten drei Kriegsmonaten, erschienen in acht deutschen Leitmedien, wurden von Maurer und seinem Team hierfür ausgewertet. Untersucht wurden Berichte und Kommentare, die sich explizit mit dem Ukraine-Krieg, seinem Verlauf, den Ursachen, Folgen oder Maßnahmen beschäftigen. Zu den acht untersuchten Medien gehören: Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Süddeutschen Zeitung, Bild, Spiegel, Zeit sowie die Hauptnachrichtensendungen „Tagesschau“, „ZDF heute“ und „RTL Aktuell“. 

Opposition mit deutlich weniger Medienpräsenz

Es konnte gezeigt werden, dass in der Berichterstattung der untersuchten Medien hauptsächlich die deutsche Perspektive vorherrschte (42 Prozent), gefolgt von der Darstellung der Sicht der Ukraine (28 Prozent) und anderer Länder (20 Prozent). Deutlich seltener wurde die Perspektive Russlands (10 Prozent) eingenommen.

Anders als beispielsweise während der Corona-Pandemie, in der sehr häufig wissenschaftliche Akteure vorkamen, wurde die Medienberichterstattung über den Ukraine-Krieg von politischen Akteuren dominiert (80 Prozent). Bezogen auf die deutsche Politik entfiel fast die Hälfte der Berichte auf die SPD (48 Prozent). Mit deutlichem Abstand folgen die Grünen (23 Prozent), die CDU/CSU als größte Oppositionspartei (17 Prozent) und die FDP (10 Prozent). Linkspartei und AfD hatten mit jeweils unter 2,5 Prozent in der Berichterstattung praktisch keine Medienpräsenz. Regierungsakteure waren damit etwa viermal präsenter als solche aus der Opposition.

Grünenfreundliche Berichterstattung

In der Berichterstattung wurden die Konfliktakteure nicht nur genannt, sondern darüber hinaus gegebenenfalls auch positiv oder negativ bewertet. Überdurchschnittlich viele positive Bewertungen entfielen dabei auf die Ukraine (+64 Prozent) und ihren Präsidenten Selenskyj (+67 Prozent). Fast ausschließlich negativ bewertet wurden hingegen Russland (-88 Prozent) und Präsident Putin (-96 Prozent).

Aber auch die Bundesregierung kommt in der Berichterstattung der acht Leitmedien eher schlecht weg (-26 Prozent). Noch schlechter allerdings schnitten Bundeskanzler Scholz (-31 Prozent) und Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (-35 Prozent) ab, beide SPD. Vor allem Bild und Spiegel kritisierten Bundesregierung und Bundeskanzler stark.

Im Gegensatz dazu bewerteten die untersuchten Leitmedien Grünen-Politiker deutlich positiver: Außenministerin Annalena Baerbock wird unter allen Akteuren am positivsten bewertet (+68 Prozent), und auch Wirtschaftsminister Robert Habeck kommt vergleichsweise gut weg (+19 Prozent). Die Medienberichterstattung scheint damit zwar nicht regierungs-, jedoch auffallend grünenfreundlich zu sein. Ebenfalls überwiegend positiv wird die Nato dargestellt (knapp +25 Prozent).
 

Bewertung der wichtigsten Konfliktakteure / Quelle: Studie 


Waffen hui, Diplomatie pfui

Die Frage, wen die untersuchten Medien als Schuldigen für diesen Krieg ausmachen, kann klar beantwortet werden: In nahezu allen Beiträgen wurde Russland beziehungsweise Putin die alleinige Verantwortung für den Krieg zugeschrieben (93 Prozent). Eine (Mit-)Verantwortung des „Westens“, also beispielsweise der USA oder der Nato, wurde kaum thematisiert. Lediglich 4 Prozent der Beiträge vertraten diese Perspektive. Die Ukraine wurde in nur 2 Prozent der Fälle als (mit-)verantwortlich bezeichnet.

Ging es um die Beendigung des Krieges, wurden in der Berichterstattung fünf Maßnahmen thematisiert. Mit Abstand am häufigsten waren Wirtschaftssanktionen gegen Russland Gegenstand der Berichte (1.168 Nennungen). Darauf folgten die militärische Unterstützung der Ukraine (748 Nennungen) sowie – bereits weit abgeschlagen – diplomatische Maßnahmen (393 Nennungen). Explizit der Lieferung schwerer Waffen haben sich die Medien in 330 Fällen gewidmet. Am seltensten beschäftigte man sich mit humanitären Maßnahmen (284 Fälle).
 

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Überdurchschnittlich oft kam es im Rahmen der Berichterstattung zu einer Bewertung dieser Maßnahmen. Während humanitäre Maßnahmen von den untersuchten Medien mit Abstand am ehesten als sinnvoll betrachtet wurden (93 Prozent), beurteilte man diplomatische Verhandlungen nur in weniger als der Hälfte der Beiträge (43 Prozent) und damit als am wenigsten sinnvoll, um den Ukraine-Krieg zu beenden. Außerdem wird deutlich, dass eine militärische Unterstützung (74 Prozent) und die explizite Lieferung schwerer Waffen (66 Prozent) außerordentlich positiv bewertet wurden. Als ähnlich sinnvoll wurden in der Berichterstattung wirtschaftliche Sanktionen gegen Russland (64 Prozent) betrachtet.
 

Bewertung unterschiedlicher Maßnahmen zur Beendigung des Krieges / Quelle: Studie 

 

Bewertung der Maßnahmen im Medienvergleich / Quelle: Studie 


Überraschend starke Zustimmung für Waffenlieferungen

Beim Blick auf die einzelnen Medien wird deutlich: Nur der Spiegel hat sehr abwägend berichtet und bewertete diplomatische Maßnahmen als sinnvoller als die Lieferung schwerer Waffen. Bei allen anderen Medien war es umgekehrt. „Auch wenn die Berichterstattung nicht vollkommen einseitig war, überrascht die insgesamt starke Zustimmung zu Waffenlieferungen doch – vor allem vor dem Hintergrund vergleichbarer früherer Kriege, in denen deutsche Waffenlieferungen gar nicht zur Debatte standen“, urteilt Studienleiter Maurer. „Das Fazit unserer Studie fällt durchaus differenziert aus“, heißt es zum Abschluss. Aber: „In einigen Fällen haben die von uns untersuchten Medien tatsächlich sehr einheitlich über den Krieg berichtet.“

Vor dem Hintergrund einer drohenden Ausweitung des Krieges durch die Unterstützung der Ukraine mit Waffen und etwaiger Friedensbemühungen heißt es außerdem: „Warum sich die meisten der hier untersuchten Medien in diesem Fall so deutlich für eine militärische Unterstützung der Ukraine ausgesprochen haben, ist eine sehr wichtige Frage, die wir mit unseren Inhaltsanalyse-Daten aber nicht klären können.“

Die Autoren betonen zudem, dass keine Aussagen über „die Medien“ im Allgemeinen gemacht werden könnten, sondern nur über die acht untersuchten Leitmedien. Gefördert wurde die Studie von der Otto Brenner Stiftung.

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