Sri Lankas grüner Irrweg - Wenn die Bio-Revolution krachend scheitert

Vandana Shiva, im Jahr 2002 zum „Hero for the Green Century“ ausgerufen und Trägerin zahlreicher Auszeichnungen, gilt im Westen als Ikone der Nachhaltigkeit, der Agrarwende und des Degrowth. Seit Jahrzehnten fordert sie die Abkehr von der modernen Landwirtschaft. Vergangenes Jahr folgte mit Sri Lanka zum ersten Mal eine Regierung ihren Ratschlägen. Das Experiment schlug kolossal fehl.

Globalisierungskampf mit Voodoo-Einflüssen: Aktivistin Vanda Shiva / dpa
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Autoreninfo

Ludger Weß schreibt seit den 1980er Jahren über Wissenschaft, vorwiegend Gen- und Biotechnologie. Davor forschte er als Molekularbiologe an der Universität Bremen. 2017 erschienen seine Wissenschaftsthriller „Oligo“ und „Vironymous“ und 2020 das Sachbuch „Winzig, zäh und zahlreich - ein Bakterienatlas“.

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In Rekordzeit schlitterte Sri Lanka, das einen 27-jährigen Bürgerkrieg und einen verheerenden Tsunami ohne Zusammenbruch überstanden hatte, in das totale Chaos: kein Essen, kein Treibstoff, kein funktionierendes Gesundheitssystem mehr und eine galoppierende Inflation. Begonnen hatte die Abwärtsspirale mit der Entscheidung, das Land von heute auf morgen auf 100 Prozent Biolandbau umzustellen und dazu den Import von Mineraldünger und Pflanzenschutzmitteln zu verbieten. Zu den dramatischen Einbrüchen der Ernten kamen die Corona-Krise und zuletzt die Verteuerungen von Energie, Treibstoff und Getreide durch den Ukrainekrieg hinzu. Inzwischen ist der Staat bankrott und im Land wurde der Notstand ausgerufen. Nach gewaltsamen Protesten setzte sich der Präsident jetzt auf die Malediven ab.

Biolandbau gilt im Westen als Allheilmittel zur krisenfesten Lebensmittelversorgung. Wie Vandana Shiva werben seit Jahren eNGOs, einschlägige Stiftungen und Parteien sowie Ikonen der DeGrowth- und Anti-Globalisierungsbewegung dafür, die konventionelle Landwirtschaft mit ihren chemisch-synthetischen Mitteln abzuschaffen und durch Biolandwirtschaft zu ersetzen. Es sollen nur noch „natürliche“ Mittel und Methoden eingesetzt werden, wobei der agrarökologisch erweiterte Naturbegriff auch kosmische Kräfte und das Wirken von Naturwesen einbezieht (biodynamische Anbaumethoden).

Ökologischer Landbau, so heißt es, sei das einzig praktikable System, da Biolandwirtschaft nach den Gesetzen der Natur funktioniere und die Gesundheit der Erde und der Menschen regeneriere, während er gleichzeitig die Kosten für gekaufte Betriebsmittel – Dünger und Pestizide – senke und die Qualität der Lebensmittel und ihren Nährstoffgehalt verbessere. Diese Botschaft fand zum erstmal Gehör auf allerhöchster Ebene, als der singhalesisch-nationalistische Politiker Gotabaya Rajapaska 2019 mit einem grünen Regierungsprogramm zum Präsidenten von Sri Lanka gewählt wurde.

Kernforderungen grüner Politik

Rajapaska versprach in seinem Manifest die „Aussicht auf Wohlstand und Pracht“ – darunter die Förderung gesunder Mahlzeiten, frei von Agrochemikalien und Zusatzstoffen, die Förderung der Produktion von Bio-Lebensmitteln, von „richtigen Essgewohnheiten“ in allen Altersgruppen, der Schaffung einer gesunden Umwelt durch Vermeidung der Verschmutzung von Luft, Wasser und Boden, durch Zugang zu besserem Saatgut, mehr Bodengesundheit und so weiter – alles Kernforderungen grüner Gesundheits- und Landwirtschaftspolitik.

Am 29. April 2021 kündigte er als Teil dieser Politik das vollständige Verbot der Einfuhr von chemischen Düngemitteln, Insektiziden und Herbiziden sowie deren vollständigen Ersatz durch ökologische Betriebsmittel und Methoden an. Sri Lanka würde seine Landwirtschaft mit sofortiger Wirkung auf 100 Prozent Biolandbau umstellen. Am 10. Mai 2021 wurde ein entsprechender Beschluss veröffentlicht und ein staatliches Gremium mit 46 Experten eingesetzt.

„Diese Entscheidung wird den Landwirten definitiv zu mehr Wohlstand verhelfen,“ kommentierte die indische Agrarökologie-Advokatin Vandana Shiva, die auf ihrem Blog stolz ihre Beteiligung an dem Programm hervorhebt. „Die Verwendung von organischem Dünger wird dazu beitragen, nährstoffreiche landwirtschaftliche Erzeugnisse zu erzeugen und gleichzeitig die Fruchtbarkeit des Bodens zu erhalten.“
Wie kam es zu diesem Beschluss, der außerhalb Sri Lankas vor allem von westlichen NGOs und Verbänden des Biolandbaus begrüßt wurde?

Aktivisten, Glyphosat und eine Hellseherin

Es war nicht Sri Lankas erster Versuch, eine „Toxin-Free Nation“ zu werden. 2015 hatte das Land in einem ersten Schritt ein Glyphosat-Verbot verhängt, nachdem der sri-lankische Toxikologe Channa Jayasumana 2014 seine Hypothese veröffentlicht hatte, wonach Glyphosat die Ursache für die in Sri Lanka verbreitete Chronic Kidney Disease of Unknown Origin (CDKu = chronische Nierenerkrankung unbekannter Ursache) sei. Die Arbeit, die in einer Pay-to-Play Zeitschrift mit nicht messbarem Impact-Faktor und ohne Peer Review veröffentlicht wurde, stützte sich weder auf Experimente noch Daten, sondern war reine Spekulation.

Dennoch wurde sie von Aktionsgruppen und Medien in aller Welt begierig aufgegriffen und als Beweis für die Gefährlichkeit von Glyphosat ausgegeben. Sie brachte Jayasumana neben Auftritten in westlichen Medien (darunter dem Weltspiegel des WDR) auch eine Einladung zu dem dubiosen Monsanto-Tribunal 2016 in Den Haag ein, zu dem Impfgegner, 911-Truther und Homöopathen, aber auch die Grünen-Politikerin Renate Künast und die mit ihr befreundete Vandana Shiva eingeladen hatten. Das internationale Echo bewog die damalige sri-lankische Regierung, im Jahr darauf ein Glyphosat-Verbot zu erlassen. Die CKDu-Erkrankung gab es allerdings bereits vor der erstmaligen Synthese von Glyphosat und sri-lankische Wissenschafter widersprachen der Hypothese ebenso wie Experten der WHO.

Jayasumana, der Urheber der Aufregung, ist in Sri Lanka weniger als Toxikologie denn als singalesisch-nationalistischer Politiker bekannt. So war er 2019 der Urheber von Anschuldigungen gegen den moslemischen Arzt Dr. Segu Shihabdeen Mohamed Shafi, dem er öffentlich vorwarf, 4.000 singalesische Buddhistinnen anlässlich ihrer Kaiserschnittentbindungen heimlich sterilisiert zu haben – ein Vorwurf, der zur Verhaftung von Shafi und zu anti-islamischen Unruhen unter den Einwohnern der Provinz Kurunegala führte. Die Anschuldigungen erwiesen sich inzwischen als haltlos.

Unsichtbare Kräfte und Geister

Auch Jayasumanas Verhältnis zur westlichen Wissenschaft ist gestört. Er vertritt die Auffassung, sie sei ungeeignet, Krankheiten richtig zu diagnostizieren und zu behandeln, da sie das Walten unsichtbarer Kräfte und Geister nicht anerkenne. Die buddhistische Medizin dagegen sei dank ihrer Integration spiritueller Erfahrungen in der Lage gewesen, die Ursachen von CDKu zu erkennen und die Krankheit erfolgreich zu heilen. So war denn auch die Co-Autorin der im Westen gern geglaubten Jayasumana-Hypothese die Geistheilerin Priyantha Senanayak, die ihre Erkenntnisse durch „übernatürliche Offenbarungen („samyak drshtika devivaru“) gewinnt und in Sri Lanka dafür geehrt wurde, dass sie die Nation mit Hilfe der Gottheit Natha vor verderblichem internationalem Einfluss schützt.

 

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Finanziert wurde die Veröffentlichung durch die Hela Suwaya Organization, ein Verein, der sich auf Praktiken des Biolandbaus und den Buddhismus beruft und sich zum Ziel gesetzt hat, „Sri Lanka in ein heiliges Gebiet ohne Gift zu verwandeln und es zu einem Paradies zu machen.“ Hela Suwaya bekämpft jede Form der modernen Landwirtschaft und vertreibt u.a. funktionale Lebensmittel auf der Basis von „non-chemically grown traditional rice“, beispielsweise zur Bekämpfung von Diabetes und Lebererkrankungen.

Das damals eilends erlassene Glyphosatverbot erwies sich jedoch als Desaster. Die Teeplantagen wurden von Unkraut überwuchert, so dass sie kaum noch bewirtschaftet werden konnten. Die Ernteverluste kosteten die Tee-Exporteure allein im Jahr 2017 umgerechnet rund 100 Millionen Euro. Beim Reisanbau stieg der Wasserverbrauch durch Zusatzüberflutungen, die notwendig wurden, um das Unkraut ohne Pflanzenschutzmittel zu bekämpfen, um 20 Prozent. Die Einzelheiten lassen sich hier nachlesen. So wurde der Drei-Jahresplan von 2016, eine „giftfreie Nation“ zu werden, nach diesem Fehlschlag einstweilen beerdigt.

Vandana Shiva und ein löchriger Darm

Das Blatt wendete sich, als Channa Jayasumana im August 2020 zum Gesundheitsminister von Sri Lanka ernannt wurde. Seine Botschaft kam beim Präsidenten an. „Der Gesundheitssektor hat darauf hingewiesen“, erklärte der Präsident, „dass die Auswirkungen von chemischen Düngemitteln zu einer Reihe von nicht übertragbaren Krankheiten, einschließlich Nierenerkrankungen, geführt haben“. Die Regierung müsse „das Recht der Menschen auf eine ungiftige und ausgewogene Ernährung sicherstellen“. Es würden „Maßnahmen ergriffen werden, um sicherzustellen, dass in der Landwirtschaft des Landes künftig nur noch organischer Dünger verwendet wird.“

Zudem hoffte die Regierung, etwa 500 Millionen US-Dollar einsparen zu können, die jährlich für Importe von Dünge- und Pflanzenschutzmittel ausgegeben wurden. Unterstützung erhielten die Transformationspläne von der Global Alliance for Organic Districts, einem Netzwerk, das von der deutschen NGO IFOAM Organics International und ihren Tochterorganisationen initiiert wurde, sowie von Vanadana Shiva und der von ihr 2011 in Italien gegründeten Organisation Nadanya International sowie von Regeneration International.

Das erste Webinar – „Regenerative ökologische Landwirtschaft für eine Wirtschaft der Beständigkeit und des Wohlstands für alle“ – fand am 7. Juni in Zusammenarbeit mit Sri Lankas staatlichem National Institute of Plantation Management (NIPM) statt. Mehr als anderthalb Stunden des knapp zweistündigen Webinars entfielen auf einen Vortrag Shivas. Sie erläuterte, dass die Umstellung Sri Lankas auf 100 Prozent Bio-Landwirtschaft eine „Hinwendung zu einer Wirtschaft der Beständigkeit und des Wohlstands für alle Lebewesen“ sei. „Chemikalien haben uns vergessen lassen, dass wir Teil der Erde sind.“

Depression und Aufmerksamkeitsstörungen seien auf Zink- und Magnesium-Mangel, verursacht durch konventionell angebaute Nahrung, zurückzuführen, ebenso wie das Leaky Gut Syndrome, das in den USA Jahr für Jahr Tausende von Kindern sterben lasse (es handelt sich um ein alternativmedizinisches Konzept, für dessen Richtigkeit es keine wissenschaftlichen Beweise gibt). Gilles-Eric Séralini, ein französischer Molekularbiologe, der Homöopathie propagiert und gegen Gentechnik zu Felde zieht, habe bewiesen, dass GMO-Mais Krebs verursache und Sri Lankas Wissenschaft habe gezeigt, das Glyphosat die Nieren zerstöre. Mit 100 Prozent Biolandbau in Indien lasse sich mühelos die doppelte Bevölkerung des Landes ernähren; die Grüne Revolution der 1960er Jahren mit ihren neuen Sorten, Agrarchemie und Bewässerungsmethoden habe nichts als Hunger, Elend, Krankheit und Tod gebracht.

Das zweite internationale Webinar „Das Engagement der sri-lankischen Regierung für den ökologischen Landbau“, von IFOAM Asia organisiert, fand nur zwei Tage später unter der Schirmherrschaft und mit Beteiligung des sri-lankischen Politikers Shasheendra Rajapaksa statt, Abgeordneter und Minister für Reis und Getreide, ökologische Lebensmittel, Gemüse, Obst, Chilis, Zwiebeln und Kartoffeln, Saatgutproduktion und High-Tech-Landwirtschaft.

Neben Shiva hielten weitere Lobbyisten der „weltweiten Bio-Familie“ (Eigenbezeichnung) Vorträge: Dr. Hans Herren, Präsident des Millennium Institute und der Schweizer Biovision-Stiftung und wie Shiva Teilnehmer des Monsanto-Tribunals. André Leu, Direktor von Regeneration International, und Dr. Ranil Senanayake, Gründer des International Analog Forestry Network. Sie alle befürworteten die Entscheidung Sri Lankas und boten ihre weitergehende Unterstützung an. Der Plan stehe vollständig im Einklang mit den Forderungen der immer stärker werdenden agrarökologischen Bewegung, die sich den Verzicht auf sämtliche Mineraldünger und chemisch-synthetische Pestizide zum Ziel gesetzt habe.

Neues Denken, Hausmüll und chemiefreier Kalidünger

Leu, langjähriger Präsident von IFOAM, warnte den Minister, die Richtlinie des Präsidenten könne „nicht durch den Einsatz von Agronomen und Fachleuten erreicht werden“. Diese seien nur für den Einsatz von chemischen Düngemitteln und Pestiziden ausgebildet und geübt und verfügten nicht über das Wissen oder die Fähigkeiten, die für die Umsetzung des neuen Systems erforderlich seien, da sie die gleiche Denkweise anwenden. „Die Geschichte zeigt uns, dass sie den Wandel eher untergraben werden.“ Nötig für die Bio-Revolution sei „neues Denken“.

Das war eine Breitseite gegen 30 einheimische Agrarexpertinnen und -experten, darunter namhafte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die in einem Brief an Präsident Rajapaksa vor „schwerwiegenden Problemen und Herausforderungen mit weitreichenden wirtschaftlichen, sozialen und politischen Auswirkungen und Verzweigungen“ gewarnt hatte, falls der radikale Plan unverändert umgesetzt würde. Sie wandten sich nicht gegen das Ziel, mehr Biolandbau einzuführen und den Einsatz von Pestiziden und Mineraldünger zu reduzieren, aber sie rieten dringend von einer abrupten Umstellung ab. Zielführender sei ein langsamer Übergang, beginnend mit mehr Kontrolle von Einfuhr und Einsatz konventioneller Mittel, die bislang frei und unlimitiert verfügbar seien. Auch brauche es Schulungen und  und logistische Vorbereitungen.

Die Warnungen wurden in den Wind geschlagen und es kam, wie die sri-lankischen Agrawissenschaftler es vorausgesagt hatten: Die Landwirte des Landes beklagten, dass sie keine Zeit für eine Umstellung hatten und ihnen sowohl Betriebsmittel als auch Arbeitskräfte für die biologische Kontrolle von Unkräutern und Schädlingen fehlten. Schon im Sommer brachen die Ernten ein und die Preise für Lebensmittel des täglichen Bedarfs wie Zucker, Reis und Zwiebeln stiegen um mehr als das Doppelte. Betroffen waren aber auch Exportkulturen wie Zimt, Pfeffer, Kautschuk, Kardamom, Nelken, Muskatnuss, Kakao, Vanille und vor allen Dingen der wichtigste Devisenbringer: Tee.

Auf den Einsatz von Düngemitteln angewiesen

Tee bringt Sri Lanka jährlich mehr als 1,25 Milliarden Dollar ein – das sind etwa 10 Prozent der Exporteinnahmen des Landes. Teeanbauer, die bereits schlechte Erfahrungen mit dem Glyphosat-Verbot gemacht hatten, warnten, dass die Einbußen bei einem Doppelverbot von Glyphosat und Düngemitteln noch höher ausfallen würden – bis 50 Prozent seien möglich. Bio-Tee sei ein Luxusprodukt, die Herstellung koste zehnmal so viel wie die von konventionellem Tee und der Markt sei klein. Man werde die Verluste nicht durch höhere Preise wett machen können.

Der Anbau von Tee ist ebenso wie der anderer wichtiger Kulturpflanzen in Sri Lanka auf den Einsatz von Düngemitteln angewiesen, wobei die Abhängigkeit bei Reis mit 94 Prozent am höchsten ist, gefolgt von Tee und Kautschuk mit jeweils 89 Prozent. Allein für einen ökologischen Reisanbau würden jährlich fast 4 Millionen Tonnen Kompost benötigt, bei einer Rate von 5 Tonnen pro Hektar. Für Teeplantagen beträgt der Bedarf weitere 3 Millionen Tonnen. Schätzungen zufolge könnte das Land jährlich 2-3 Millionen Tonnen Kompost herstellen; tatsächlich sind es derzeit jedoch nur 0,22 Millionen Tonnen, die in vom Landwirtschaftsministerium zugelassenen Einrichtungen hergestellt werden.

Während Sri Lanka längst in eine Krise rutschte, verkündete Präsident Gotabaya Rajapaksa auf dem UN Ernährungsgipfel im Juli 2021 fast wortgleich mit Vandana Shivas Vortrag, Biolandbau sei „nichts Neues“ und die Transformation werde größere Lebensmittelsicherheit und bessere Ernährung für die Bevölkerung sicherstellen. Er „hoffe, dass das Beispiel Sri Lankas weitere Länder dazu inspirieren wird, die mutigen Schritte zu unternehmen, die für eine nachhaltige Umgestaltung des Welternährungssystems erforderlich sind, um Ernährungssicherheit und Ernährung für unsere künftigen Generationen zu gewährleisten.“

Hektisch nach Biodünger gesucht

Währenddessen war seine Regierung bereits in Alarmstimmung. Hektisch wurde nach Biodünger gesucht. Aus Indien wurde Bio-Flüssigdünger importiert, der allerdings nicht frei von Mikroorganismen war und von dem Agrarexperten befürchteten, er könne das biologische Gleichgewicht von Boden und Pflanzenmikrobiom stören und die Gewässer verunreinigen. Am Ende orderte die Regierung für 49,7 Millionen US-Dollar insgesamt 99.000 Tonnen organischen Düngers in China.

Doch auch der war nicht frei von lebenden Mikroorganismen und wurde von den zuständigen Behörden zurückgewiesen. Das führte zu einer diplomatischen Verstimmung. Die sri-lankische Regierung fühlte sich düpiert, weil der im Oktober angelieferte Dünger nicht den ausgehandelten Anforderungen entsprach – die Opposition hatte schon im Juni verlauten lassen, es handle sich in Wahrheit um „kommunale Abfälle“ (sprich: Hausmüll) –, worauf der chinesische Staatskonzern der Regierung vorwarf, unwissenschaftliche Tests vorzunehmen.

Die Bank, der die sri-lankische Regierung verbot, die Zahlungen abzuwickeln, landete auf einer schwarzen Liste der chinesischen Regierung. Da Sri Lanka in den Jahren zuvor Milliardenkredite der chinesischen Regierung aufgenommen hatte und auch der neue, wirtschaftliche wichtige Hambantota-Hafen des Landes mehrheitlich in chinesischen Besitz ist, war die Regierung in der Kontroverse in keiner guten Verhandlungsposition. Im November zahlte sie und orderte den mangelhaften Dünger aus China nach.

Zur gleichen Zeit verstieß die Regierung bereits gegen ihr eigenes Verbot, indem sie für 13,9 Millionen US-Dollar insgesamt 30.000 Tonnen Kaliumchlorid, also den aus der konventionellen Landwirtschaft bekannten Kali-Dünger, aus Litauen einführte. Allerdings hatte sie den verbotenen Mineraldünger zuvor zum chemiefreien Bio-Düngemittel erklärt, wie einheimische Medien berichteten. Kaliumchlorid werde aus natürlichen Mineralien gewonnen, sei also vollumfänglich verträglich mit den Kriterien des Biolandbaus.

Plinius der Ältere, Panik und Erfolgsmeldungen

Im September beschloss die Regierung den Import von 100.000 Tonnen Bioreis, um der Lebensmittelknappheit zu begegnen, bekräftigte aber nochmals ihre Entschlossenheit, an den Verboten festzuhalten. Unterstützung bekam sie von der Government Medical Officers Association, die behauptete, Texten des römischen Autors Gaius Plinius Secundus (Plinius der Ältere) zufolge seien die Einwohner Sri Lankas in der Antike, also vor der Vergiftung der Umwelt durch Chemikalien, bis zu 140 Jahre alt geworden.

Schon einen Monat später reagierte die Regierung vollkommen erratisch. Ein Berater, der das für alle Augen sichtbare Desaster kritisiert und Gegenvorschläge gemacht hatte, wurde aus dem Amt gejagt. Im November verfügte Landwirtschaftsminister Mahindananda Aluthgamage die Abschaffung aller Importverbote für Düngemittel und Pestizide, nur um wenige Tage später einen leitenden Beamten zu entlassen, der diese Anordnung mit einer Veröffentlichung im Amtsblatt unverzüglich umgesetzt hatte.

Ende November 2021 kam dann das Eingeständnis des totalen Versagens: Mit Wirkung vom 30.11.21 wurde das Einfuhrverbot für Agrochemikalien auch offiziell vollständig aufgehoben. Die Bilanz, die im Januar 2022 veröffentlicht wurde: Etwa ein Drittel der landwirtschaftlichen Nutzfläche Sri Lankas erbrachte 2021 keinerlei Ertrag. Im Dezember erreichte der Anstieg der Lebensmittelpreise im Jahresvergleich den Rekordwert von 22,1 Prozent, da Grundnahrungsmittel und Gemüse im Zuge der Bio-Kampagne weiterhin knapp sind. Die Regierung kündigte Entschädigungszahlungen in Höhe von umgerechnet 200 Millionen US-Dollar für mehr als eine Million Reisbauern an, deren Ernten als Folge des verpfuschten Plans zur Schaffung des weltweit ersten Landes mit 100 Prozent Biolandbau ausgefallen sind. Hinzu kommen weiter 149 Millionen US-Dollar für die Preissubvention von Reis.

Wirtschaftliche Interessen waren stärker

Deutschlands Öffentlichkeit bekam davon zunächst nichts mit. Im November schrieb das Neue Deutschland knapp: „Sri Lanka hat sich vom Ziel, zügig zu 100 Prozent Bio zu kommen, erst mal verabschiedet. Wirtschaftliche Interessen waren stärker.“ Und Deutschlandfunk Kultur ließ noch im November Hans Herren, einen der Mit-Initiatoren der sri-lankischen Nahrungskrise, zu Wort kommen: „Sri Lanka hat sich jetzt entschieden, keine Pestizide mehr, kein Kunstdünger; Sikkim, das kleine Kingdom da in Indien, hat auch umgestellt, 100 Prozent, Bhutan. Wenn man will, kann man. Ich glaube, das muss von oben kommen. Ob die Leute das alles gerne haben oder nicht. Weil man eben sehr oft Entscheide fassen muss, die nicht populär sind.“

Herren irrt genauso wie Shiva und viele andere Aktivisten. Das Beispiel Sri Lanka zeigt, dass ihre Brechstangen-Rezepte nicht funktionieren und ihre Vorstellungen und Vorschläge nicht auf Erfahrung, Fakten und Wissenschaft beruhen, sondern auf Ideologie und Wunschdenken. Vertreter des Biolandbaus wären gut beraten, sich von solchen Ideologen zu trennen und auch die esoterischen Konzepte fernöstlicher und europäischer Voodoo-Landwirtschaft zu entsorgen. Jede Form von Landwirtschaft ist der Versuch, der Natur Boden und Nährstoffe für menschliche Zwecke abzuringen. Was spricht dagegen, es so zu tun, dass mit möglichst wenig Ressourcen und auf möglichst wenig Fläche möglichst viel Nahrung erzeugt wird? Hier sind konventionelle Landwirtschaft und Wissenschaft auf einem guten Weg. Bio ist derzeit nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems.

Dieser Beitrag ist zuerst bei den Salonkolumnisten erschienen. Der Autor hat ihn für Cicero aktualisiert.

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