SPD und Gentechnik - Die Lobby schreibt mit

Die SPD-Bundestagsfraktion hat eine „Positionierung zu den Vorschlägen der EU-Kommission zu neuen Gentechniken in der Landwirtschaft“ erarbeiten lassen.

Mohn in einem Weizenfeld / dpa
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Autoreninfo

Ludger Weß schreibt seit den 1980er Jahren über Wissenschaft, vorwiegend Gen- und Biotechnologie. Davor forschte er als Molekularbiologe an der Universität Bremen. 2017 erschienen seine Wissenschaftsthriller „Oligo“ und „Vironymous“ und 2020 das Sachbuch „Winzig, zäh und zahlreich - ein Bakterienatlas“.

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Gegendarstellung der SPD-Bundestagsfraktion:

Im Cicero-Online-Beitrag von Ludger Wess vom 13.11.2023 „Die Lobby schreibt mit" werden unwahre Behauptungen über die SPD-Bundestagsfraktion verbreitet.

1. Es ist unwahr, dass bei der Erarbeitung einer „Positionierung zu den Vorschlägen der EU-Kommission zu neuen Gentechniken in der Landwirtschaft" eine Lobbyorganisation mitgeschrieben hat.

Wahr ist, dass das Papier von zwei Beschäftigten der SPD-Bundestagsfraktion erarbeitet wurde.

2. Es ist unwahr, dass „Susan Grzybek Senior-Politik-Koordinatorin des World Wildlife Funds for Nature (WWF), einer Organisation, die Gentechnik strikt ablehnt und stattdessen Lobbyismus für die Bio-Branche betreibt" ist. 

Wahr ist, dass Frau Grzybek seit Juli 2022 ausschließlich bei der SPD-Bundestagsfraktion beschäftigt ist.

Berlin, 17.11.2023

Katja Mast, MdB, Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion

 

Weltweit nimmt eine Revolution der Bioökonomie Fahrt auf. Ursache sind neue genomische Techniken (NGTs), die präzise gentechnische Eingriffe in das Genom von Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen, aber auch von menschlichen Zellen ermöglichen. Schon jetzt, gerade ein Jahrzehnt nach deren Einführung, haben diese neuen Technologien bedeutende Fortschritte erzielt: neuartige Arzneimittel und Therapien, verbesserte Nutzpflanzen und Mikroorganismen, die Abfälle verwerten, Ressourcen schonen und Umweltauswirkungen menschlichen Wirtschaftens verringern. 

Das Elegante an diesen Technologien ist ihre Präzision, vor allem aber ihre Ununterscheidbarkeit von natürlichen Vorgängen. Sie ermöglichen es, gezielt Veränderungen herzustellen, die in der Natur nach dem Zufallsprinzip ablaufen und daher nur sehr aufwändig und zeitraubend zu finden und nutzbar zu machen sind. 

Doch die EU stemmt sich, angeführt durch deutsche Bedenkenträger, gegen diese Revolution und ist bereits dabei, den Anschluss zu verlieren. Für die neuen Pflanzen und Mikroben gelten derzeit alte, aus dem Jahr 2001 stammende Gentechnik-feindliche Vorschriften, die Neugründungen im Bereich der Gentechnik dazu zwingen, ins Ausland abzuwandern. Sie beziehen sich auf veraltete Techniken und verhindern damit Innovation und die Revolution der Bioökonomie in Europa.

Homöopathie und biodynamische Landwirtschaft

Welches Potenzial darin steckt, zeigt eine vor kurzem erschienen Studie des Breakthrough-Thinktanks. Danach liegt der wirtschaftliche Nutzen, der der EU durch die Nicht-Einführung von NGTs entgeht, zwischen 171 und 335 Milliarden Euro pro Jahr. Auf ein Jahrzehnt gerechnet, entgeht der EU damit ein wirtschaftlicher Nutzen von bis zu 3 Billionen Euro. 

Überflüssig zu erwähnen, dass solche neuen Nutzpflanzen auch die Treibhausgasemissionen der europäischen Landwirtschaft dramatisch reduzieren könnten. Schon die Einführung derzeit existierender Gentechnikpflanzen würde zur Einsparung von 33 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente pro Jahr (MtCO2e/Jahr) führen, eine Menge, die 7,5 Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Treibhausgasemissionen der EU im Jahr 2017 entspricht. Um diese Potenziale nutzen zu können, hat die Europäische Kommission im Juli 2023 Vorschläge gemacht, um die Regulierung von NGTs stärker an den wissenschaftlichen Fortschritt anzupassen.

 

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Dass die Grünen gegen jede Änderung des Status Quo sind, versteht sich von selbst. Erhebliche Teile ihrer Mitglieder und Abgeordneten hängen esoterischen und naturromantischen Vorstellungen an: Themen wie Homöopathie und biodynamische Landwirtschaft, die bessere Ernten mit kosmischer Energie und Berücksichtigung von Planetenkonstellationen erzielen will, sind feste Bestandteile grüner Parteitage. Jeder Eingriff in das genetische Material ist in dieser Sichtweise eine Versündigung gegen die Schöpfung und die Weisheit der Natur. Dass die SPD, einstmals eine Partei, die sich dem technologischen Fortschritt verschrieben hatte, nun auch auf den Weg der „ganzheitlichen Naturbetrachtung“ abgebogen ist und ihr Heil in eskapistischen Vorstellungen und Technologie-Skepsis sucht, ist dagegen tragisch. 

Vorsorgeprinzip, Wahlfreiheit, Transparenz

Das zeigt sich bei einem aktuellen Papier, das Cicero vorliegt und das den Titel „Positionierung zu den Vorschlägen der EU-Kommission zu neuen Gentechniken in der Landwirtschaft“ trägt. Erarbeitet wurde es von Michael Meyer, Fraktionsreferent der SPD-Bundestagsfraktion, aber mitgeschrieben hat, ausweislich der Dateiinformationen, Susan Grzybek, Senior Politik-Koordinatorin des World Wildlife Funds for Nature (WWF), einer Organisation, die Gentechnik strikt ablehnt und stattdessen Lobbyismus für die Bio-Branche betreibt.

Zwar betont das Papier in seiner Präambel das große Potenzial der neuen Technologie – so, wie es auch im Koalitionsvertrag festgehalten ist – behauptet aber dann, es sei noch viel zu früh, die Technologie zu beurteilen und sie sei mit zu hohen Risiken behaftet. Dass diese Behauptungen von der Wissenschaft und der Realität längst widerlegt sind, scheint in der Partei niemanden zu interessieren. Stattdessen werden die substanzlosen Floskeln der NGOS wiederholt: Vorsorgeprinzip, Wahlfreiheit, Transparenz, Koexistenz und Haftung.

Das Ausloten von Potenzialen

Besonders auffällig an dem Papier sind Zwischenüberschriften wie „Forschungsstandort Deutschland stärken“ und „Potenziale ausloten, Chancen nutzen“, die im diametralen Widerspruch zu den Forderungen stehen. Der Forschungsstandort Deutschlands soll gestärkt werden, indem mehr Risikoforschung zu NGTs betrieben wird und Nachweismöglichkeiten erarbeitet werden sollen (ebenso könnte man mehr Forschung zur Nutzung freier Energie oder der Wirksamkeit von Homöopathie fordern) und das Ausloten von Potenzialen bzw. die Nutzung der Chancen werden im Text mit der Behauptung abgewürgt, es gebe sie nicht und man sehe auch nur eine geringe „Realisierungswahrscheinlichkeit“. Das Ganze ist ein Kotau vor anti-Gentechnik-Organisationen; die Kapitulation einer ehemals großen Partei auf der ganzen Linie.

Der Astronom, Astrophysiker, Sachbuchautor und Schriftsteller Carl Sagan konstatierte 1996: „Wir haben eine Gesellschaft geschaffen, die auf Wissenschaft und Technologie basiert und in der niemand etwas von Wissenschaft und Technologie versteht. Und diese brandgefährliche Mischung aus Unwissenheit und Macht wird uns früher oder später um die Ohren fliegen. Wer befasst sich in einer Demokratie mit Wissenschaft und Technologie, wenn die Menschen keinerlei Ahnung davon haben?“ SPD und Grüne sind es jedenfalls nicht.

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