Joe Biden bei der Sicherheitskonferenz - Die Suche nach der vertrödelten Zeit

Joe Bidens Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz sollte der ganzen Welt verdeutlichen, dass der Westen zurück ist. Doch während Biden bereit ist, Verantwortung zu übernehmen, scheint der europäische Teil des Westens weiter zu schlafen.

Angela Merkel beobachtet den Auftritt von Joe Biden während der Münchner Sicherheitskonferenz / dpa
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Autoreninfo

Thomas Jäger ist Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln. Er ist Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste.

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Die Münchner Sicherheitskonferenz kehrte mit ihrer Auftaktveranstaltung 2021 zu ihren Wurzeln zurück: Vor welchen Herausforderungen steht der Westen und wie lassen sie sich bewältigen? Blickt man mit dem Abstand von heute auf das vergangene Jahr zurück, so wäre das nicht unbedingt zu erwarten gewesen. Denn 2020 stand die Konferenz noch unter dem schwerfälligen Begriff der „Westlessness“. Man fragte damals danach, wohin der Westen abhandengekommen sei und wie eine Welt ohne den Westen aussehen werde. Doch ein Mann macht jetzt den Unterschied: Joe Biden. Wie wäre die Konferenz wohl angelegt worden, wenn nicht er, sondern Donald Trump in den Swing States den wahlentscheidenden Nullkommaprozenthauch vorne gelegen hätte?

Möglicherweise wäre dann Bundeskanzlerin Merkels Diktum, „wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in unsere eigene Hand nehmen“, häufiger zitiert worden. Eine Einsicht, die die Bundeskanzlerin im Jahr 2017 nach zwölf Jahren Kanzlerschaft gewonnen hatte, die aber bisher folgenlos geblieben ist. Einfach vier Jahre warten, und dann ist da wieder wer, auf den man sich verlassen kann, schien das eigentliche außenpolitische Mantra der Merkel-Regierung gewesen zu sein. Und dann kam zum Glück er: Joe Biden.

Die Biden-Doktrin

Der amerikanische Präsident trat bei der Münchner Sicherheitskonferenz trittsicher auf. Zuerst verkündete er, dass die USA in der internationalen Arena zurück seien und verband dies sogleich mit dem Führungsanspruch seines Landes. Es gelte, die Gegner aus der Position der Stärke anzugehen. Für Biden sind die Wettbewerber auf zwei verschiedenen Politikfeldern die beiden handlungsmächtigsten Autokratien China und Russland. Wobei China die wirtschaftliche Entwicklung anderer Staaten bedroht und Russland die Grundpfeiler ihrer demokratischen Ordnung.  

Das sind die beiden Seiten der Biden-Doktrin: Außenpolitik und internationale Zusammenarbeit muss den amerikanischen Mittelstand und das demokratische System stärken. Sie umzusetzen sollen die europäischen Verbündeten wieder enger konsultiert und die Nato zur zentralen Institution politischer Abstimmung werden. Wenige Tage zuvor hatten die Verteidigungsminister grünes Licht dafür gegeben. Die Nato will sich noch in diesem Jahr mit den wichtigsten politischen und strategischen Fragen befassen. Und Biden unterlegte dieses Vorhaben mit einem deutlichen Bekenntnis zum gegenseitigen Beistand, dem Kern der Nato: Artikel 5.

Globale Aufgaben und Großmachtkonflikte

Die Herausforderungen für den Westen unterschied Biden in globale Fragen, die eine Rückkehr zur Welt der Blöcke verstellten – die Pandemie, den Klimawandel, die nukleare Proliferation – und Großmachtkonflikte. Die letzteren werden zwischen den USA plus Verbündeten und China bei Handel, Investitionen und wirtschaftlicher Zusammenarbeit ausgetragen. Gemeinsam, so Biden, sind die Demokratien überlegen. Der amerikanische Wohlstand setzt voraus, dass international bestimmte Regeln eingehalten werden, Märkte offen und Patente sicher sind. China spiele, so der breite  Konsens in den USA , hier konstant foul. Und einen übergeordneten Schiedsrichter gibt es nicht. Das muss der Westen also alleine klären. Weshalb die Enttäuschung über das schnell noch verabredete Investitionsabkommen der EU mit China in Washington groß gewesen sein dürfte. Doch noch ist es nicht in Kraft, davon wird zukünftig wohl noch zu hören sein.

Der zweite Rivale sei Russland, ein Staat, der es vor allem auf die Einheit des Westens in Nato und EU sowie auf die Legitimation der demokratischen Systeme abgesehen habe. Cyberangriffe und Propaganda sollen die westlichen Regierungen unglaubwürdig machen und so die Bürger der Demokratie entfremden. (Ab und an drängt sich der Eindruck auf, das können diese Regierungen auch ohne Russland erreichen; das aber nur abseits des Themas am Rande.) Deshalb gelte es gegen Russland die Widerstandskraft der Demokratie zu stärken. Was Biden vortrug war konsistent, klar strukturiert und strategisch durchdacht. Wohlstand und Demokratie als Zwecke seines Vorgehens, die Festigkeit der Bündnisse als Ziel und internationales Engagement – umfassende Diplomatie, regelgebundene wirtschaftliche Zusammenarbeit und effektiv aufgestelltes Militär – als Mittel. 

Und die EU?

Doch ein Satz in Bidens Rede war voreilig, wenn nicht gar trügerisch. Er sagte, die transatlantischen Beziehungen seien zurück. Doch dafür braucht es immer zwei. Neben den USA die Europäische Union. So knisterte denn auch die Spannung, als im Anschluss an Biden Bundeskanzlerin Merkel, Präsident Macron und die Präsidentin der Europäischen Kommission sprachen.

Um es kurz zu machen: Merkel und Macron widersprachen sich in der Grundausrichtung der Russlandpolitik; zum Umgang mit den chinesischen Vormachtansprüchen hatten beide nicht viel zu sagen (Frau Merkel wies darauf hin, dass man China zur Lösung globaler Probleme wie dem Artenschutz brauche). Während Merkel meinte, man müssen auf dem eingeschlagenen Weg nur weitergehen, riss Macron verbal vieles ein und forderte endlich einen effektiven Multilateralismus aufzubauen. Vor allem betonte Macron das Ziel der strategischen Autonomie für die EU. Von der Präsidentin der Europäischen Kommission indes gibt es kein erwähnenswertes Wort zu berichten.

Die vertrödelte Zeit

Vier Jahre hatte die EU Zeit, sich auf diesen Moment vorzubereiten. Insbesondere Deutschland hat diese Zeit vertrödelt, wie auch die Jahre zuvor schon. So bekam Biden nicht die Antwort, die seinem Angebot zur Wiederbelebung der transatlantischen Beziehungen angemessen gewesen wäre. Nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn Donald Trump wiedergewählt worden wäre, und frei von allen Zwängen der transatlantischen sicherheitspolitischen Zusammenarbeit schlicht den Hahn abgedreht hätte. Die europäischen Regierungen haben in den vier Jahren seiner Präsidentschaft weiter geschlafen, obwohl der Wecker von „America First“ schrillte. Sie haben ihr Schicksal nicht in die eigenen Hände genommen, sondern diese ruhig im Schoß gehalten. Die Folge wird sein, dass der Streit im Innern der EU eskalieren wird, wenn die USA nun eine Antwort einfordern und auf eine gemeinsame Haltung gegenüber China und Russland drängen. Joe Bidens Rede war dafür der Auftakt. 

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