Die Schwedendemokraten und die AfD - Auf der Überholspur

Die Schwedendemokraten sind das, was bei uns die AfD ist. Noch. Denn sie sind auf dem Vormarsch. Aber gibt es ein zuverlässiges Rezept im Umgang mit dem Stimmenzuwachs rechtspopulistischer Parteien? Dieser Frage muss sich auch die Union stellen.

Jimmie Akesson ist Parteivorsitzender der rechtspopulistischen Schwedendemokraten / dpa
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Michael Sommer lehrt an der Universität Oldenburg Alte Geschichte und moderiert gemeinsam mit Evolutionsbiologe Axel Meyer den Cicero-Wissenschafts-Podcast

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Die Schwedendemokraten sind im Parteiensystem des Königreichs ungefähr das, was bei uns die AfD ist. Noch. Denn die Rolle des Schmuddelkinds, mit dem niemand ins Koalitionsbett steigen möchte, könnte sich bald ausgespielt haben. Für ein Erdbeben in der politischen Landschaft sorgte vor rund drei Wochen die Entscheidung der Liberalen, die mit 20 Mandaten die zweitkleinste Reichstagsfraktion vor den Grünen stellen, nach den im nächsten Jahr anstehenden Wahlen nicht länger die Sozialdemokraten von Ministerpräsident Stefan Löfven unterstützen zu wollen, sondern eine bürgerliche Regierung anzustreben. Damit schrumpft die theoretische Mehrheit hinter dem Premier auf 175 von 349 Sitzen, genau ein Mandat über den Durst.

Zuwachs von Wahl zu Wahl

Seit vielen Jahren stehen sich in Schweden zwei Blöcke gegenüber: das von Löfven angeführte rot-grüne Bündnis aus Socialdemokraterna (S), grüner Miljöpartiet (MP) und der linken Vänsterpartiet (V) sowie die bürgerliche Allians för Sverige mit den Konservativen (Moderaterna, M), der Zentrumspartei (C), den Christdemokraten (KD) und den Liberalen (L). Erstmals 2010 übersprangen die Schwedendemokraten (SD), die sich in den 1980er Jahren als radikal ausländerfeindliche Partei am äußersten rechten Rand formiert und später unter ihrem Vorsitzenden Jimmie Åkesson zu einer Partei im Mainstream des nordischen Rechtspopulismus geläutert hatten, die Vier-Prozent-Hürde.

Die Schwedendemokraten wuchsen von Wahl zu Wahl. Lagen sie 2006 noch abgeschlagen bei knapp drei Prozent, so verdoppelten sie 2010 ihr Ergebnis nahezu. 2014 wurden sie, mit 12,9 Prozent, bereits drittstärkste Partei hinter den Sozialdemokraten und Moderaten. Bei der letzten Reichstagswahl 2018 lagen sie mit 17,5 Prozent nur noch knapp hinter den Konservativen, die 19,8 Prozent erreichten. Die Umfragen der letzten Monate sehen die SD zwischen 18 und 23 Prozent, fast gleichauf mit den Moderaten und knapp auch auf Augenhöhe mit den Sozialdemokraten.

Auf Augenhöhe

Schweden hat damit in rasendem Tempo eine Entwicklung nachvollzogen, die in den übrigen nordischen Ländern schon viel früher Platz gegriffen hat. Überall sind rechtspopulistische Parteien fester Bestandteil der Parteiensysteme. In Norwegen hat die Fortschrittspartei bei der Parlamentswahl 2015 gut 15 Prozent erhalten. Sie saß von 2013 bis 2020 mit den Konservativen am Kabinettstisch und hat auch schon Ergebnisse über 20 Prozent erzielt.

In Dänemark ist die Dänische Volkspartei zwar bei den Wahlen 2019 von 21 auf knapp 9 Prozent abgestürzt, doch lag das vor allem daran, dass die dänischen Sozialdemokraten sich zuvor auf einen klaren Anti-Einwanderungskurs verständigt hatten. Damit hatte die Volkspartei, die von 2001 bis 2011 und ab 2015 insgesamt vier bürgerlichen Regierungen zur Mehrheit verholfen hatte, ihr Alleinstellungsmerkmal verloren.

In Finnland schließlich war die rechtspopulistische Partei Die Finnen von 2015 bis 2017 Teil einer Mitte-Rechts-Koalition gewesen. Die Finnen können bei nationalen Parlamentswahlen zuverlässig auf knapp 20 Prozent der Stimmen zählen.

„Negativer Parlamentarismus“

Während also in den anderen nordischen Ländern rechtspopulistische Parteien entweder bürgerliche Regierungen toleriert haben oder sogar Teil von Mitte-Rechts-Bündnissen gewesen sind, hatten in Schweden die etablierten Parteien lange an der Formel festgehalten, mit den SD solle es kein Bündnis geben. Die „conventio ad excludendum“ gegen die Rechtspopulisten bröckelte erstmals nach der Wahl 2018, als der konservative Wahlverlierer Ulf Kristersson sich gestützt auf Christ- und Schwedendemokraten zum Ministerpräsidenten wählen lassen wollte.

Der Versuch scheiterte, weil zwei Parteien der Allians, die Liberalen und die Zentrumspartei, gegen Kristersson stimmten. Stattdessen erklärten sie sich zur Tolerierung einer rot-grünen Minderheitsregierung bereit. Weil sich die Linkspartei bei der Abstimmung vereinbarungsgemäß enthielt, gab es keine Stimmenmehrheit gegen Löfven, der somit nach den Regeln des in Schweden geltenden „negativen Parlamentarismus“ gewählt war. Seither haben vor allem die Liberalen ein massives Glaubwürdigkeitsproblem. In Umfragen krebsen sie stets unter 3 Prozent herum, ihr Wiedereinzug in den Reichstag steht auf der Kippe. Die Wähler der eigentlich fest im bürgerlichen Lager verwurzelten Partei haben ihr die Tolerierung der Lövfen-Regierung nachhaltig verübelt.

Vom richtigen Umgang 

Der Fall Schweden veranschaulicht das Dilemma bürgerlicher Parteien, wenn sie mit starken rechtspopulistischen Kräften konfrontiert sind – überall in Europa und auch in Deutschland. Soll man sie ignorieren und ausgrenzen? Der Preis dafür ist akzeptabel, solange die Rechten nicht mehr als 10 Prozent einfahren. Werden sie aber stärker, kann das für das Mitte-Rechts-Lager bedeuten, dauerhaft auf eine Machtoption zu verzichten. Oder, was unter Umständen langfristig die größere Hypothek ist, auf Bündnisse mit linken Partnern angewiesen zu sein, die dann dank der Mehrheitsverhältnisse unter bürgerlichen Regierungschefs beträchtliche Teile ihrer politischen Agenda durchsetzen können.

Ist es am Ende besser, sie zu integrieren und durch Einbindung in die Regierungsverantwortung zu entzaubern? Vordergründig spricht manches für diese Taktik, weil rechtspopulistische Parteien wie geschaffen sind für die Opposition und beim Suchen von Kompromissen meist Federn lassen müssen. Doch wirft der oft rumplige Regierungsalltag dort, wo Rechtspopulisten im Kabinett sitzen, eben auch ein ungünstiges Licht auf die bürgerlichen Partner.

Oft aber schwenken Parteien, die vom rechten Rand her kommen, auch auf einen pragmatischeren Kurs ein, kaum sind sie an der Regierung. Kehrseite der Medaille für die Bürgerlichen ist dann, dass die Populisten in der Regierungsarbeit salonfähig und so wählbar auch für das gemäßigte Kernelektorat der Etablierten werden. 

Zuverlässiges Rezept? 

Ein zuverlässiges Rezept gegen den Erfolg populistischer Bewegungen ist weder das Einbinden noch das Ausgrenzen: Rechtspopulisten haben bis jetzt in der Opposition europaweit durchweg an Stärke gewonnen. Waren sie an Regierungen beteiligt, wie mehrfach in Österreich, wie in den Niederlanden oder auch in Dänemark, drohten kurzfristig oft Verluste, langfristig aber etablierten sich die Parteien im politischen System. Matteo Salvinis Lega überflügelte, während sie mit der ebenfalls populistischen Fünf-Sterne-Bewegung an der Regierung war, sogar alle anderen Parteien in den Umfragen. Die Entscheidung zwischen Ausgrenzen und Einbinden gleicht einer Wahl zwischen Teufel und Beelzebub.

Das Dilemma der Bürgerlichen wirkt wie ein Déja-vu. Vor vergleichbaren Herausforderungen stand in Deutschland die Sozialdemokratie schon zweimal. Bei den Grünen vor 40 und bei der PDS, der späteren Linken, vor 30 Jahren entschied man sich erst fürs Ausgrenzen, dann fürs Tolerieren lassen und schließlich für Koalitionen, weil Machtoptionen für die SPD sonst in weite Ferne gerückt wären. Sollte es zwischen Union und AfD je zu einer Zusammenarbeit kommen, wäre der Weg dahin allerdings viel weiter und steiniger.

Nutznießer ist die AfD 

Erstens werden linker und rechter Rand in Deutschland aufgrund historischer Bedingtheiten nicht symmetrisch wahrgenommen. Mit welchen Risiken und Nebenwirkungen jede auch nur punktuelle Annäherung an die AfD behaftet ist, haben die Vorgänge in Thüringen 2019 gezeigt. Zweitens sind der Aufstieg der Grünen in den 1980er Jahren und der Aufstieg der AfD seit 2013 eben doch nur bedingt miteinander vergleichbar. Die Wähler der Grünen und eigentlich auch der Linken waren Fleisch vom Fleische der SPD.

Für die Anhängerschaft der AfD und die der Union galt das nur eingeschränkt und auch nur ganz am Anfang. Nur zu einem geringen Teil dürften Wählerströme direkt von CDU und CSU zur AfD geflossen sein. Vielmehr wildern die Rechtspopulisten vor allem im Nichtwählerlager: Immer dann, wenn stark polarisierende Themen wie Migration Aktualität erlangen, steigt die Wahlbeteiligung, Nutznießer ist die AfD. Trotzdem macht sich am rechten Rand die durch die Union hinterlassene Repräsentationslücke deutlich bemerkbar. Wer asymmetrisch demobilisiert, hat rechts eine offene Flanke und kann einmal ins Nichtwählerlager abgedriftete Wähler nicht mehr einfangen.

Das Dilemma der Bürgerlichen

Ob und wie schnell die Union in Deutschland den Weg anderer bürgerlicher Parteien in Europa gehen und nach Mehrheiten gemeinsam mit der AfD suchen wird, hängt von unterschädlichen Parametern ab. Zum einen ist entscheidend, welchen Kurs die AfD künftig einschlagen wird. Bleibt, wofür manches spricht, der Einfluss des Flügels um Björn Höcke ungebrochen und bleibt die Partei ihrer wohlfahrtschauvinistischen Linie treu, dann wird die AfD auf absehbare Zeit kein Partner für bürgerliche Parteien sein können.

Mobilisiert allerdings die AfD im weiteren Fortgang der Corona-Krise wieder besser, wofür ebenfalls manches spricht, dann dürfte die Versuchung für die Christdemokraten größer werden, doch Bündnisse rechts der Mitte zu schmieden. Die Alternative wäre eine Art babylonische Gefangenschaft der Union von Parteien, die teilweise deutlich links der Mitte stehen. Keine dieser Optionen kann CDU und CSU schmecken. Im Dilemma der Bürgerlichen zeigt sich, wie recht Franz Josef Strauß mit seinem Mantra hatte, rechts von der CSU dürfe es keine demokratisch legitimierte Partei geben.  

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