Schwedens Regierungskrise - Höchste Zeit, dass die Sozialdemokraten erwachen

Der zurückgetretene schwedische Regierungschef Stefan Löfven will weiterregieren, notfalls als Premier in einer großen Koalition. Eine solche Regierung haben die Wähler schon seit Jahren gefordert. Ihnen haben Löfven und seine Genossen nur nie zugehört.

Stefan Löfven nach der Wahl 2018 mit dem schlechtesten SAP-Ergebnis seit 100 Jahren / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Uta Weisse war Online-Redakteurin bei Cicero. Von Schweden aus berichtete sie zuvor als freie Autorin über politische und gesellschaftliche Themen Skandinaviens.

So erreichen Sie Uta Weisse:

Anzeige

Seit vergangenem Montag ist Stefan Löfven lediglich noch Chef einer Übergangsregierung. Dem schwedischen Premierminister wurde vergangene Woche das Misstrauen des schwedischen Parlaments ausgesprochen und er hat nun die Konsequenzen gezogen: Montagvormittag trat er als Regierungschef zurück. Auf Neuwahlen wolle er in der pandemischen Krisenzeit, in der sich sein Land befinde, verzichten. Damit würde er dem Wunsch der Mehrheit der Bevölkerung nachkommen, erklärte er auf einer Pressekonferenz.

Im nächsten Schritt wird der Parlamentspräsident mit den Parteien eine neue Regierungskonstellation auf Grundlage der Wahlergebnisse von 2018 finden. Als Premier stünde Löfven auch in anderer Konstellation zur Verfügung, sagte er, auch wenn er die Koalition mit den Grünen gerne fortgesetzt hätte. Man könnte meinen, Löfven ist endlich zur Einsicht gekommen.

Die Linken sollen schuld sein

Doch dann konnte er es wieder nicht lassen: Die Linken seien schuld an der Regierungskrise, denn sie hätten sich mit den Schwedendemokraten verbündet, um die Regierung zu kippen, verkündete er auf der Pressekonferenz. Statt weiterhin den schwedischen Linken die Schuld am Scheitern der rot-grünen Koalition zu geben, sollte Stefan Löfven sich endlich eingestehen, wo das grundsätzliche Problem liegt: Die Zeiten der großen Mehrheiten, insbesondere für seine SAP, sind vorbei.

„Landet lagom“ umschreibt auf Schwedisch ein Bild, wie die Schweden am liebsten ihr Land sehen würden: das Land des richtigen Maßes, der Mitte. Über die vergangenen hundert Jahre hinweg wurden nach diesem Prinzip erfolgreich politische Kompromisse gefunden. Während im Rest Europas Kriege und Krisen herrschten, regierten die Sozialdemokraten in Schweden – mit einigen wenigen Unterbrechungen ­– hundert Jahre lang mit ruhiger Hand.

Errungenschaften werden bloß noch verwaltet

Kein Politiker in Schweden steht mehr für dieses „lagom“ als der bescheidene und unaufgeregte Stefan Löfven: Als Pflegekind wurde er von einer Arbeiterfamilie großgezogen, machte eine Ausbildung zum Schweißer und führte sechs Jahre lang eine der größten Gewerkschaften Schwedens an. So gelang es ihm schließlich auch, in das Führungsgremium der SAP aufzusteigen. Man kann ihn für authentisch halten, für einen ehrlichen „Sozen“, oder aber für profillos, uninspiriert und gestrig. Denn wofür seine Person und die SAP heute stehen, ist unklar. Die großen sozialdemokratischen Visionen des vergangenen Jahrhunderts sind realisiert: geschlechtliche Gleichstellung, hohe Löhne auch ohne gesetzlichen Mindestlohn, Umverteilung, eine gesetzliche Krankenversicherung für alle.

Aber was haben die Sozialdemokraten aus Löfvens Zeit geleistet? Sie verwalten lediglich noch die Errungenschaften ihrer Vorkämpfer. Die heutige SAP wird in den Augen vieler Schweden mit missglückter Migrations- und Integrationspolitik assoziiert. Waren die Sozialdemokraten früher eine echte Partei der Mitte, so gilt es heutzutage alles andere als hip, öffentlich zu bekennen, dass man die SAP wählt. Die Partei ist besonders beliebt unter Rentnern, bei Menschen in Jobs mit geringer Berufsqualifizierung und Menschen mit Migrationshintergrund. Kurzum: Der SAP sterben die Wähler in der Mitte der Gesellschaft weg.

Probleme verschlimmert

Und in der Corona-Pandemie dürfte die SAP noch einige ihrer Stammwähler vergrätzt haben. Der Unmut unter Ärzten und Pflegepersonal ist gewachsen. Denn die schwedische Corona-Politik hat vornehmlich auf Empfehlungen gesetzt. Strengere Regeln wurden erst im vergangenen Herbst eingeführt: Die Infektions- und Totenzahlen Schwedens waren denn auch um ein Vielfaches höher als in den Nachbarländern. Im schwedischen Gesundheitssystem wird folglich schon seit Frühjahr 2020 durchweg an der Belastungsgrenze gearbeitet.
 
Strukturelle Mängel in der Altenpflege, die in der Krise hervorgetreten sind, gepaart mit Skandalen um fehlende Schutzausrüstungen und Triage für Pflegeheimbewohner über 80 Jahren dürften der Popularität der Sozialdemokraten in der alten Wählerklientel ebenfalls geschadet haben. Die Chance, sich während der Pandemie als Krisenbewältiger und Partei der Solidarität zu profilieren, verspielten Löfvens Sozialdemokraten; Corona wirkte geradezu wie ein Katalysator auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit.

Ärger über Schwedendemokraten

Zwar hat es nie eine große Koalition aus SAP und Moderaten in der Geschichte Schwedens gegeben, aber Löfven sollte sich mit dieser Idee schnellstmöglich anfreunden. Denn es hilft nichts, sich immer wieder zu ärgern über die Schwedendemokraten über die „Extremisten ganz rechts außen“, wie er sie nennt. Löfven muss jetzt handeln. Einer großen Koalition stünde er offen gegenüber, wenn es sein Land denn fordere, sagte er. Die schwedischen Wähler haben eine solche Regierung praktisch schon vor sieben Jahren gefordert. Löfven und seine Genossen hatten ihnen nur nicht zugehört.

Anzeige