Saudi-Arabiens Rolle in der Energiekrise - Auf Distanz zu Amerika

Mitten in der Energiekrise drosselt Saudi-Arabien seine Ölproduktion und macht gemeinsame Sache mit Russland. In den Vereinigten Staaten reagiert man empört und droht dem Golfstaat mit Konsequenzen. Aber der saudische Kronprinz sieht sich am längeren Hebel. Der Fall ist ein weiterer Beleg für die Erosion der globalen Vormachtstellung des Westens.

Joe Biden und der saudische Kronprinz Mohammad bin Salman begrüßen sich per Faust bei ihrem Treffen im Juli
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Autoreninfo

Hilal Khashan ist Professor für Politische Wissenschaften an der American University in Beirut und Autor bei Geopolitical Futures.

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US-Präsident Joe Biden hat Saudi-Arabien vorigen Juli in der Hoffnung besucht, den saudischen König Salman und Kronprinz Mohammad bin Salman davon zu überzeugen, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um die Energiemärkte zu beruhigen und die Kraftstoffpreise zu stabilisieren. Außerdem forderte er sie dazu auf, die Zusammenarbeit mit China, dem dominierenden Wirtschaftspartner in der Region, zu verringern. Bei den Saudis stieß er offenbar auf taube Ohren. Trotz Bidens Aufforderung, die Ölproduktion nicht zu drosseln, kündigten die Energieminister der Opec+ nach einem Treffen in Wien Anfang des Monats an, die Produktion um zwei Millionen Barrel pro Tag zu kürzen. 

Diese unerwartete Entscheidung löste Forderungen des US-Kongresses aus, Saudi-Arabien zu bestrafen. Sie verblüffte auch die Regierung Biden, denn alle früheren saudischen Regierungen hatten es vermieden, Washington in Verlegenheit zu bringen, selbst in turbulenten Zeiten ihrer Beziehungen. Der amerikanische Außenminister Antony Blinken erklärte, sein Land werde Optionen prüfen, um auf diesen Schritt zu reagieren, den er als kurzsichtig und enttäuschend bezeichnete. Er sagte auch, die USA würden nicht gegen ihre eigenen Interessen handeln – und spielte damit auf die Forderung von Kongressmitgliedern an, wichtige in Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten stationierte US-Militäreinrichtungen abzuziehen. Ein Hinweis auf die schwierigen Entscheidungen, vor denen Washington heute steht.

Schon immer ein wechselvolles Verhältnis

Die Beziehungen zwischen den USA und Saudi-Arabien haben mehrere reibungsvolle Phasen erlebt, die sich an der Ölfrage entzündet hatten. Während des arabisch-israelischen Krieges im Oktober 1973 verhängte Saudi-Arabien ein Ölembargo gegen die USA, weil diese Israel unterstützten. Als das Embargo im März 1974 aufgehoben wurde, hatten sich die Ölpreise vervierfacht, was die damalige Wirtschaftskrise in den Vereinigten Staaten noch verschärfte. Zu dieser Krise gehörten eine Rezession, Inflation und der Watergate-Skandal. Kürzlich freigegebene britische Dokumente zeigen, dass Präsident Richard Nixon eine Invasion in Saudi-Arabien in Erwägung gezogen hatte, um die Ölpreise in den Griff zu bekommen, aber stattdessen beschloss, sich auf den Schah im Iran zu verlassen, um die Golfstaaten von einem erneuten Versuch abzuhalten, die Weltwirtschaft zu destabilisieren.

Die iranische Revolution von 1979 und die Feindseligkeit des Landes gegenüber den USA führten 1980 zur Verabschiedung der Carter-Doktrin, die sicherstellen sollte, dass es keine weiteren Ölembargos oder sowjetischen Eingriffe in der Golfregion geben würde. Die Doktrin betrachtete jeden Versuch einer ausländischen Macht, die Kontrolle über die Golfregion zu erlangen, als einen Angriff auf lebenswichtige Interessen der USA. Es wurde die „Rapid Deployment Force“ (Schnelle Eingreiftruppe) aufgestellt, die 1983 in das US-Zentralkommando integriert wurde und regelmäßige Militärübungen unter dem Codenamen „Bright Star“ organisiert, an denen mehrere Länder teilnehmen. Diese Übungen, die die wichtigsten des Zentralkommandos sind, konzentrieren sich auf die Fähigkeiten im Wüstenkampf, die Ausbildung der Truppen bei der Instandhaltung ihrer Ausrüstung unter harten Kampfbedingungen und auf die Kommunikation zwischen den einzelnen Verbänden.

Opec+ und Nopec

Heute zeigen sich erneut Risse in den Beziehungen zwischen den USA und den Produzenten am Golf. Nachdem die Opec+ beschlossen hatte, die Produktion zu drosseln, forderten einige Amerikaner die Regierung in Washington dazu auf, den Sonderstatus Saudi-Arabiens aufzuheben und sogar einen Militärschlag gegen das Land zu führen. Andere prangerten die unaufrichtige Zuneigung Washingtons zu Riad an. Der US-Kongress befasst sich derzeit mit dem Nopec-Gesetz (No Oil Producing and Exporting Cartels), das es dem Justizministerium ermöglichen würde, die Opec-Länder und ihre Verbündeten unter dem Vorwand zu verklagen, die Organisation sei ein Monopol, das die Ölpreise in die Höhe treibe. Der Sprecher des amerikanischen Nationalen Sicherheitsrats, John Kirby, sagte, Biden sei mit der saudischen Position unzufrieden und werde sich mit dem Kongress abstimmen, um die Form der künftigen Beziehungen zu Riad festzulegen.

Einer der Gründe für Bidens Misstrauen gegenüber den Golfstaaten im Allgemeinen und Saudi-Arabien im Besonderen ist das Fehlen von Demokratie in der arabischen Region. Voriges Jahr veranstaltete er den Gipfel für Demokratien, um das Engagement der Vereinigten Staaten für demokratische Werte in ihrer Außenpolitik zu bekräftigen. Das einzige arabische Land, das zu diesem Gipfel eingeladen wurde, war der Irak, von dem die USA hoffen, dass er sich irgendwann in eine pluralistische Demokratie verwandeln wird. Selbst nach arabischen Maßstäben stünde Saudi-Arabien am unteren Ende des demokratischen Spektrums in der Region.

Vor dem Einmarsch Russlands in der Ukraine schien Biden zu glauben, dass konsequenter Druck auf die Saudis dazu beitragen würde, den Konflikt im Jemen zu beenden und Kronprinz Mohammad bin Salman (MBS) in die Schranken zu weisen, ohne die Beziehungen Washingtons zu Riad zu beeinträchtigen. Biden beendete die militärische Unterstützung der USA für die von den Saudis angeführte Koalition im Jemen und strich die Huthis von der US-Liste der terroristischen Organisationen. MBS scheint jedoch der Ansicht zu sein, dass die Rolle der Huthis im Nachkriegsjemen in seiner Entscheidungsgewalt stehen sollte.

Der Fall Kashoggi

Biden nimmt auch Anstoß an der Ermordung des saudischen Journalisten Jamal Kashoggi, für die er MBS persönlich verantwortlich macht. Er ließ sogar die teilweise Veröffentlichung des US-Geheimdienstberichts zum Fall Kashoggi zu. Der amerikanische Präsident hält den saudischen Kronprinzen für einen autoritären und rücksichtslosen Führer – eine Beschreibung, die durch verschiedene Berichte über persönliche Begegnungen mit ihm bestätigt wird. Ein ehemaliger saudischer Geheimdienstoffizier, der jahrelang die rechte Hand von MBS war, sagte, der Kronprinz vergleiche sich mit Alexander dem Großen und wolle der mächtigste Mann der Welt werden.

Biden wollte MBS bei seinem Besuch in Saudi-Arabien im Juli nicht die Hand schütteln und entbot ihm stattdessen einen Faustgruß. Vor der Reise vermied Biden die Kommunikation mit MBS, ganz im Gegensatz zum Umgang früherer amerikanischer Präsidenten mit saudischen Königshäusern. Einige hochrangige US-Beamte unterließen es auch, Saudi-Arabien zu besuchen, als sie den Nahen Osten bereisten.

Es besteht jedoch kaum ein Zweifel daran, dass der saudische Kronprinz die Ölressourcen seines Landes genutzt hat, um von der Regierung Biden als der wahre Herrscher des Königreichs anerkannt zu werden. König Salman hat ihn kürzlich zum neuen Premierminister ernannt – ein beispielloser Schritt für einen amtierenden saudischen Monarchen. Er widersetzt sich weiterhin dem Druck der USA, mehr Öl zu fördern, und führte in Abstimmung mit Russland die Entscheidung der Opec+ an, die Produktion zum Leidwesen Washingtons um zwei Millionen Barrel pro Tag zu senken. MBS sagt in privaten Gesprächen, dass Biden seine Telefonnummer habe und ihn direkt anrufen könne, um die Angelegenheit zu besprechen.

Saudi-Arabien hat die Vorwürfe der Biden-Regierung zurückgewiesen, es begünstige das klamme Russland, indem es die Preise hoch halte. Saudi-Arabien beharrt darauf, dass die Ölproduktion aus technischen Gründen gedrosselt wurde, um die Preise zu stabilisieren und die Energiesicherheit zu gewährleisten, insbesondere angesichts der Lage der Weltwirtschaft und des Rückgangs der Nachfrage nach Öl. Öl ist die wichtigste Einnahmequelle für den saudischen Haushalt und damit ein wichtiges politisches Instrument in einem Land mit einem stark unterentwickelten Steuersystem. In den vergangenen vier Monaten sind die Ölpreise von über 120 Dollar pro Barrel auf 80 Dollar gefallen, und da die Saudis befürchten, dass sich der Abwärtstrend aufgrund der drohenden Rezession fortsetzen wird, scheinen sie durch eine geringere Produktion die Preise stabilisieren zu wollen.

Saudisch-russische Annäherung

Dennoch hat die saudisch-russische Annäherung neue, für Washington besorgniserregende Höhen erreicht. Auf dem G-20-Gipfel in Buenos Aires 2018 begrüßte der russische Präsident Wladimir Putin den saudischen Kronprinzen herzlich und schüttelte ihm die Hand, während die meisten anderen Staats- und Regierungschefs ihn wegen der Auswirkungen des Kashoggi-Falls ignorierten. Putin wollte MBS helfen, einen diplomatischen Sieg zu erringen. Erst kürzlich zeigten sich die Saudis bei der Vermittlung zur Freilassung ausländischer Kämpfer behilflich, die von den Russen im Ukraine-Krieg gefangen genommen worden waren.

Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate haben sich den gegen Russland verhängten Sanktionen nicht angeschlossen. Sie stellten die Motive der USA für die Bestrafung Moskaus mit Instrumenten wie der Deckelung des Preises für seine Ölexporte in Frage und befürchteten, dass dadurch langfristig die Macht über den Ölpreis von den Erzeugern auf die Verbraucher verlagert würde. Die für die Partnerschaft zwischen den Vereinigten Staaten und den Golfstaaten geltende Regel „Öl gegen Sicherheit“ ist nicht mehr gültig, wie der Kampf um die Festlegung der Regeln für die globale Ölpreisgestaltung zeigt. Aus saudisch-emiratischer Sicht haben die USA ihre Fähigkeit verloren, die Prioritäten ihrer Partnerschaft zu bestimmen. Die Demokraten haben versucht, ein Gleichgewicht mit den Saudis zu finden, indem sie sich weigerten, die Innenpolitik von MBS auf amerikanischer Seite zu decken, während sie mit ihm in dringenden Fragen wie dem Öl und der Normalisierung der Beziehungen zu Israel zusammenarbeiteten.

„Akzeptieren keine Drohung“

Die Saudis reagierten verärgert auf die US-Kritik an ihrer Entscheidung, die Produktion zu drosseln, und auf die Forderungen, Riad zu bestrafen. Saudische Aktivisten haben eine Erklärung des verstorbenen saudischen Außenministers Saud al-Faisal verbreitet, in der er sagte: „Wir im Königreich Saudi-Arabien brechen kein Versprechen, genauso wenig wie wir eine Drohung akzeptieren.“ In Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten hat es Biden mit einer neuen Generation von Führern zu tun, die weniger Vertrauen in eine Partnerschaft mit den USA haben und nach Jahren des Misstrauens entschlossen sind, einen unabhängigen außenpolitischen Ansatz zu verfolgen. Sie sind der Meinung, dass die Demokraten darauf hinarbeiten, sie zu schwächen, obwohl sich die Beziehungen in letzter Zeit aufgrund des Bedarfs an Öl verbessert haben.

Doch während sich die Kluft zwischen Washington und Riad vertieft, werden die Saudis weiterhin enge wirtschaftliche und politische Beziehungen zu China und Russland unterhalten, die im Gegensatz zu den USA keine Bedenken hinsichtlich der Menschenrechte aufkommen lassen. MBS gibt seit Jahren die außenpolitische Ausrichtung Saudi-Arabiens vor. Seiner Meinung nach liegt die Zukunft seines Landes in China, Russland und den Schwellenländern. Und nicht in den USA.

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