Sanierungszwang - Die EU überfordert Hausbesitzer und Mitgliedsstaaten

Europäische Immobilien werden zum Gegenstand des Corona-Wiederaufbaufonds. Weit mehr als die Hälfte der europäischen Gebäude würden einem Sanierungszwang unterliegen. Eine finanzielle Überforderung wäre die Folge – und die Zerstörung von baulicher Schönheit.

Landhaus in der Toskana / dpa
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Hans Martin Esser ist Diplom-Ökonom und Publizist. Im März 2023 erscheint sein Buch „Polemik. Ein philosophischer Beipackzettel“.

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Als während der Corona-Pandemie ein Wiederaufbaufonds auf EU-Ebene zur Stabilisierung der europäischen Volkswirtschaften installiert worden war, fragte der deutsche Ökonom Hans-Werner Sinn lapidar, was denn wieder aufzubauen wäre. Schließlich sei durch Corona kein Schaden wie im Rahmen eines Krieges entstanden. 

Dies war im Februar 2021. Chronologisch folgte kurz darauf, ebenfalls im Frühjahr 2021, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Stellung des Pariser Klimaabkommens im Verfassungsgefüge der Bundesrepublik. Im November 2021 wiederum sah der Koalitionsvertrag der Ampelparteien den Einbau weitgehend klimaneutraler Heizungen, die zumindest mit 65 Prozent nicht-fossilen Brennstoffen betrieben werden müssten, ab 1.1.2025 vor. Nach einem veritablen Streit innerhalb der Koalition zu diesem Vorhaben, hat man das Gesetz über ein halbes Jahr medial begleiten können.

Die Tragweite wird erst allmählich ersichtlich

2021 war ebenfalls das Jahr, in dem der zuständige EU-Kommissar Frans Timmermans kurz vor Weihnachten den Plan ausrief, sämtliche Wohngebäude in der EU müssten bis 2030 mindestens die Effizienzklasse E und bis 2033 mindestens Energiekategorie D erreichen. 

In der Gesamtschau darf das Jahr 2021 insofern als dasjenige gelten, in dem die Weichen für massive finanzielle Belastungen aller EU-Bürger in den Stil gestoßen worden sind. Alle vier einzelnen Ereignisse sind dabei Randnotizen gewesen, weitgehend unter der Wahrnehmungsschwelle der meisten Betroffenen. Die Tragweite wird erst allmählich ersichtlich. 

Jeder Mensch muss wohnen

Ökonomisch betrachtet, ist Wohnen ein Gut mit absolut starrer Elastizität der Nachfrage. Jeder Mensch muss, will er nicht obdachlos sein, wohnen, also vier Wände und ein Dach über sich haben. Sofern er arbeitet, sogar zwei, nämlich sein Büro, die Werkshalle oder Werkstatt zusätzlich. Schulen, Universitäten, Sporthallen, Geschäfte, Bäder und Konzerthallen kommen hinzu. Insofern wird die Tragweite des Wiederaufbaus im Gebäudesektor klar. 

Die starre Nachfrage nach eigenem Wohnraum sowie die geringe Elastizität der Nachfrage bedingt auch die Effizienz von Substanzsteuern. Man kann praktisch nicht ausweichen, wenn man nicht gerade auswandert. Äquivalent und Mittel zur Finanzierung der Klimaziele wird eine ständig steigende CO2-Bepreisung sein, die man im Fall von Immobilien als Substanzsteuer sehen kann.

In Italien sind die Standards viel strenger

Mit dem Abstand von zwei Jahren offenbart sich, was mit Wiederaufbau gemeint ist. Nicht zuletzt durch den Vorstoß Timmermans als Klima-Kommissar der EU werden Immobilien zum Gegenstand dieses Wiederaufbaufonds, der, selbst wenn er ein Volumen von einer Billion Euro ausweist, in keiner Weise ausreichen wird, um Wohn- und Arbeitsraum entsprechend in die Kategorien E beziehungsweise D hineinzudämmen. 

 

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Was beinhaltet nun Kategorie D, die nach Timmermans Plänen bereits in 10 Jahren fällig wird? In Deutschland bedeutet es, höchstens rund 130 kWh pro Quadratmeter im Jahr Energiebedarf zu haben. Bezogen auf Italien sind dort die Standards viel strenger. Kategorie D in Italien entspricht in Deutschland einem sehr energieeffizienten Haus, wie es erst seit 20 Jahren Baustandard ist. 

Aber sowohl diesseits als auch jenseits der Alpen ist die Mehrzahl der Immobilien vor mehr als 50 Jahren errichtet worden. Man schaue sich bei Gelegenheit die Maklerangebote in den italienischen Metropolen an. Häuser, die mehr als 400 kWh pro Quadratmeter im Jahr Energiebedarf haben, sind dort die Regel.

Ein Ausweis von Energieineffizienz

Ferner ist die Bausubstanz Italiens mit ihrer charmanten Patina geradezu ein Ausweis von Energieineffizienz. Welcher Tourist möchte sich allen Ernstes noch gen Rom, Florenz, Venedig, Mailand oder Verona aufmachen, wenn die leicht unregelmäßigen rosa- oder ockerfarbenen, mit Feinputz versehenen Fassaden samt ihrer maronibraunen Fensterläden verschwänden? Gesundheitsminister Lauterbach mag es als Ende einer Ära sehen, wenn Florenz im Juli 29 Grad heiß ist. 

Das Gros der Touristen bliebe beim Anblick styroporverdeckter Fassaden in Leichenweiß mit mausgrauen Fensterrahmen (Marke: triste Vorstadt Norddeutschland) zu Hause. Dies wäre das Ende von Italien, Spanien, Griechenland und Frankreich als Destination. Ein Land, das so auf seine Ästhetik bauen kann, um bei Italien zu bleiben, wie die Heimat Palladios und Brunelleschis, kann es sich in mehrfacher Hinsicht nicht leisten, mit dem Tourismus eine der Haupteinnahmequellen zu verlieren. Ohne Tourismus kein Geld zur Erreichung irgendwelcher Ziele. Ohne schöne Architektur kein Tourismus. So lässt sich das Dilemma auf den Punkt bringen. Mit Degrowth bleibt Transformation unfinanzierbar. 

Vermögen in Immobilien gebunden

Südeuropäer haben zwar im Durchschnitt mehr Vermögen als Deutsche. Dies ist aber fast ausschließlich in Immobilien gebunden. Timmermans und von der Leyen entwerten mithin das einzige Asset, das Spanier, Italiener, Griechen und Franzosen besitzen und sägen am eigenen Stuhl.

Insofern offenbart sich, was Wiederaufbau bedeutet: intakte Immobilien per Gesetz zum Sanierungsfall zu erklären und auch zu entwerten. Das wird als Barbarei wahrgenommen und dürfte Wasser auf die Mühlen für populistische Parteien im Rahmen der Europawahl 2024 und, sollte es wirklich umgesetzt sein, erst recht 2029 werden. Die Kipppunkte bei Wahlen sind in Anbetracht des Erfolges der Populisten weit vor denen des Klimas erreicht.  

Notorischer Geldmangel jenseits der Alpen

Santa Precaria und San Precario sind seit Beginn des Jahrtausends sprichwörtliche Figuren, nicht zufällig von Südeuropa ausgehend, die auf den notorischen Geldmangel hinweisen, der jenseits der Alpen um sich greift. Dass Italien, Spanien, Griechenland und im Ansatz auch Frankreich mit ihren Staatschulden, welche die privaten flankieren, schon lange nicht gut dastehen, sei ferner erwähnt. Die Eurokrise ist eine Staatsschuldenkrise. Mit ihr begann der Siegeszug des Populismus, auch die Gründung der AfD.

Ein Sanierungszwang, dem weit mehr als die Hälfte der europäischen, in Südeuropa gar bis zu zwei Drittel der Gebäude unterliegen würden, wäre mit einem wirtschaftlichen Totalschaden zu vergleichen, wie man ihn von älteren Autos und für diese zu teuren Reparaturen kennt. Regionen jenseits der Speckgürtel, das betrifft den kompletten italienischen Süden und Osten sowie in Deutschland die neuen Bundesländer, Nordfrankreich abseits Paris, Spaniens Süden und weite Teile osteuropäischer EU-Mitgliedsstaaten, wären finanziell überfordert. Nach rechts würde in Anbetracht finanzieller Not die Skala des politischen Spektrums kaum mehr Grenzen oder Hemmschwellen kennen.

Nominierung von radikalen Spitzenkandidaten

Der Timmermans-Vorstoß wird zwangsläufig zu einem weiteren Rechtsruck führen. Man kann den Auftrieb der AfD in Deutschland präzise datieren. Nicht der Ukraine-Krieg, die Inflation oder die Zunahme von Flüchtlingen im Jahr 2022 brachten der Partei reiche Ernte. Die 15-Prozent-Mauer durchbrach die Partei sprungartig erst im März 2023. Seitdem wurde nämlich der Zwang zum Heizungstausch öffentliches Dauerthema. 

Selbst die Nominierung von radikalen Spitzenkandidaten für die anstehende Europawahl schadete nicht. Konstant über 20 Prozent liegt die von Olaf Scholz als „Schlechte-Laune-Partei“ markierte Bewegung seither in Deutschland, wo das Tabu, extrem rechts zu wählen, am größten war. Dabei ist weder Habecks noch Timmermans Idee jetzt schon Gesetz.

Meloni als EU-Kommissionspräsidentin 2029 wäre eine logische Folge, zumal sie lautloser agiert als Le Pen, Berlusconi, Haider und Salvini vor ihr. Auf Fotos mit von der Leyen ist von einer Brandmauer nach rechts jedenfalls nichts zu sehen. Statt eines Wiederaufbaus wäre ihr Mandat die Rücknahme der Klimaneutralitätsziele von der Leyens.  

Entweder wird Klimaeffizienz kostengünstig erreicht oder gar nicht. Das ist jetzt bereits die Lehre aus Umfragen und Wahlen. Es sind nicht allein die postulierten Eingriffe in die eigenen vier Wände, sondern die für jeden Bürger damit einhergehenden Kosten. Der Aufbau Europas in einen klimafreundlichen Kontinent könnte der Beginn des Abbaus der EU durch den Wähler beschleunigen. 

Die stille Reserve der Baubranche

Besonders problematisch für die Umsetzung der Gebäude-Pläne Timmermans ist die kurze Frist von zehn Jahren bis 2033. Neben der starren Nachfrage nach Immobilien für alle Bewohner eines Kontinents wäre das Angebot der Kolonnen, die in der Frist eines Jahrzehntes dämmen sollen, auch nicht beliebig flexibel. Bisher waren osteuropäische Bauarbeiter, oft aus Polen, Rumänien, Bulgarien und dem Kosovo die stille Reserve der Baubranche. 

Doch was, wenn auch osteuropäische Immobilien gleichzeitig hohen Standards entsprechen müssen? Fachkräftemangel treibt die Kosten zusätzlich. Die eine Billion zur klimatischen Sanierung wäre insofern nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Von 10 Billionen zur klimaneutralen Komplettsanierung des Immobilienbestandes wäre eher auszugehen, bezogen auf die EU, ohne dass es einen Mehrwert für die Bürger gäbe. Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm sprach davon, den Wählern reinen Wein einzuschenken. Es wird nicht dazu führen, dass die Populisten schwinden, im Gegenteil. So viel ist klar.

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