Meuterei in Russland - Nach der Rebellionsfarce der Wagner-Truppe

Wenig spricht dafür, dass das russische Regime am Wochenende auch nur einen Moment in Gefahr war. Das Schicksal Putins hängt nicht von Aufrühren aus den eigenen Reihen ab, sondern vom weiteren Verlauf des Krieges in der Ukraine.

Kämpfer der Gruppe Wagner in Rostow am Don / picture alliance
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Thomas Urban ist Journalist und Sachbuchautor. Er war Korrespondent in Warschau, Moskau und Kiew. Zuletzt von ihm erschienen: „Lexikon für Putin-Versteher“.

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Es ist wieder die Stunde der Kremlastrologen. In den Kommentaren zur 36-Stunden-Revolte der Wagner-Söldner unter ihrem berüchtigten Anführer Jewgeni Prigoschin herrscht die Meinung vor, dass das Regime Putins nur knapp einer Katastrophe entgangen sei, dass seine Herrschaft durch den Vormarsch der Truppe auf Moskau ernsthaft bedroht gewesen sei.

Nicht nur die Tatsache, dass eine rebellierende Privatarmee Gebäude der regulären Streitkräfte ohne Widerstand besetzte, sondern auch der vom belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko ausgehandelte Kompromiss, der zum Abbruch der Meuterei führte, seien eine beispiellose Demütigung für den Kremlherrscher, seine Stellung im Lande sei geschwächt.

Ob diese Einschätzungen die politische Stimmung in Moskau richtig wiedergeben oder ob sie nur Wunschdenken sind, wird sich wohl erst in Wochen oder gar Monaten herausstellen. Vielleicht wird  sich aber auch die Mindermeinung durchsetzen, dass zwar Putins Image angekratzt ist, das Regime aber im Grunde nie bedroht war, weil die Aktion Prigoschins von Anfang an zum Scheitern verdammt war.

Die historische Erfahrung

Ein Blick in die Geschichte hätte ihm gezeigt, dass alle Rebellen, die Heerhaufen auf die russische Hauptstadt marschieren ließen, schmählich scheiterten:

  • Im 17. Jahrhundert war es der Kosakenataman Stenka Rasin, der sich gegen Zar Alexej I. erhob. Dessen Sohn Peter der Große ließ den Aufstand der Strelitzen, seiner ihren ausbleibenden Sold einfordernden Schützenregimenter, blutig niederschlagen.
  • Im 18. Jahrhundert verwüsteten die Truppen des Bauernführers Jemeljan Pugatschow ganze Landstriche, wurden aber letztlich von der Armee Katharinas der Großen zerschlagen. 
  • Im Spätsommer 1917, ein halbes Jahr nach dem Sturz des letzten Zaren, putschte der General Lawr Kornilow gegen die Provisorische Regierung unter dem Sozialdemokraten Alexander Kerenski, musste sich aber zurückziehen, nicht zuletzt, weil Soldaten massenhaft aus seinem Verband desertierten. 

Prigoschin hat auch die historische Erfahrung ignoriert, dass eine militärische Rebellion nur Erfolg haben kann, wenn mindestens eine von drei Grundbedingungen erfüllt ist: massive Unterstützung dafür im Offizierskorps der regulären Armee, in der Bevölkerung oder aus dem Ausland.

Putins Vasall in Minsk

Offenbar hatte der Wagner-Chef damit kalkuliert, dass wichtige Generäle ihn in seinem Konflikt mit Verteidigungsminister Sergej Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerassimow unterstützen würden; er hatte beide wegen der Rückschläge im Krieg gegen die Ukraine als inkompetent attackiert. Es gilt als verbürgt, dass vor allem Schoigu in der Truppe unbeliebt ist, weil es ihm an Stallgeruch fehlt: Er hat nicht gedient. Doch Prigoschin ist unter hohen Militärs nicht minder unbeliebt, er gilt als nervender Großsprecher.

Ebenso hatte er die breite Zustimmung im Internet zu seiner Kritik an der Armeeführung falsch eingeschätzt. Denn daraus folgte keineswegs, dass die Bevölkerung der Stadt Rostow am Don seine dort eimarschierten Männer mit Jubel begrüßt hätte. Beifall gab es nur, als sie am Samstagabend wieder abzogen. Prigoschin dürfte auch die Botschaft von der riesigen Digitalanzeige an der Außenwand des Rostower Fußballstadions irritiert haben: „Wir unterstützen entschlossen unseren Präsidenten.“
 

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Überdies konnte schwerlich von einer Kontrolle der Millionenstadt die Rede sein. An mehreren Kreuzungen waren Kampfpanzer und Radpanzer aufgefahren, die mehr als ein halbes Jahrhundert alt sind, kaum neuer waren die Schnellfeuergewehre der meisten dort postierten Wagner-Soldaten. Das Leben in der Stadt ging offenkundig seinen normalen Gang, die in Videoclips zu sehenden Patrouillen der regulären Militärpolizei schauten eher neugierig als besorgt auf die Wagner-Männer.

Es dürfte Lukaschenko nicht allzu schwer gefallen sein, Prigoschin davon zu überzeugen, dass er mit dieser Truppe in einem bewaffneten Konflikt gegen die im Raum Moskau stationierten Garderegimenter, an deren Loyalität zum Kreml kein Zweifel bestehen kann, keine Chance hätte. Auch hatte er keinen politischen Plan außer der Forderung nach dem Rücktritt Schoigus und Gerassimows, die indes völlig unrealistisch war, weil beide stets Putin hinter sich gehabt hatten. Und keineswegs bedeutet es eine Demütigung für den Kremlherrn, dass Lukaschenko den Querulanten Prigoschin zur Aufgabe überredet hat. Ein Staatschef redet nun einmal nicht mit Aufrührern, das hat er seinem Vasallen in Minsk überlassen.

Putins Herrschaft hat sich stabilisiert

Wenig spricht also dafür, dass das Regime auch nur einen Moment in Gefahr war. Dass die Moskauer Elite panikartig das Weite gesucht hat, wie aus der angeblich ungewöhnlich hohen Zahl der Starts von Privatflugzeugen hervorgeht, darf wohl als Übertreibung einiger westlicher Medien gelten.  

Nach dem alten Motto „Der Zar schaut zu, wenn die Bojaren sich zanken“ ist Putin lange nicht gegen die Attacken Prigoschins auf Schoigu und Gerassimow eingeschritten. Doch gab er dem Minister grünes Licht für die Anordnung, alle Privatarmeen der Militärführung zu unterstellen. Dagegen hat der Wagner-Chef sich gewehrt, aufbegehrt – und verloren. Putins Herrschaft hat sich zumindest vorerst stabilisiert.

Dass der Söldnerführer nun auf Einladung Lukaschenkos straflos ins Exil nach Belarus gehen kann, wobei die Hintergründe dieser Abmachung im Dunkeln bleiben, lobt die Kremlpropaganda als Versöhnungsgeste Putins – der gute Zar lässt Gnade vor Recht ergehen, nachdem der unbotmäßige Bojar sich unterworfen hat. 

Der Herr im Kreml

In vergangenen Zeiten sind die Zaren gnadenlos mit Rebellen umgegangen: Der von späteren Generationen als romantischer Held besungene Stenka Rasin wurde gevierteilt; mehr als tausend Strelitzen ließ Zar Peter auf dem Roten Platz öffentlich hinrichten, fünf ihrer Anführer spaltete er angeblich persönlich den Schädel; Jemeljan Pugatschow wurde enthauptet. 

Trotz eines angeblichen Tötungsbefehls Putins muss Prigoschin wegen seiner Rebellionsfarce wohl nicht um sein Leben fürchten, ein Mordanschlag würde ihn für viele seiner Landsleute zum Märtyrer machen. Das Schicksals Putins aber hatte er nie in der Hand. Dieses hängt vielmehr vor allem vom weiteren Verlauf des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine ab. Und den wird er nun wohl noch brutaler führen lassen als bisher, um aller Welt zu beweisen, dass er weiter unangefochten Herr im Kreml ist.

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