Russlands Militärstrategie - Neue Schauplätze gesucht

Wie es aussieht, gerät Moskaus Eskalation in der Ukraine-Frage zum strategischen Fehlschlag – denn es droht wirtschaftlicher Schaden, und die Nato ist so geeint wie lange nicht. Also wird die russische Regierung ihr Augenmerk auf andere Regionen richten, die mehr Erfolg versprechen: Syrien, Lateinamerika und China. Aber auch hier sind die Chancen nicht überragend.

Die Außenminister von Syrien und Russland, Faisal Mekdad und Sergei Lawrow, bei einer Pressekonferenz nach gemeinsamen Gesprächen / dpa
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Ekaterina Zolotova ist Analystin für Russland und Zentralasien beim amerikanischen Thinktank Geopolitical Futures.

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Obwohl die Krise in der Ukraine noch lange nicht vorbei ist, fragen sich viele bereits, ob die Entscheidung Russlands, nicht in den Krieg zu ziehen, eine geopolitische Niederlage oder ein Sieg ist. Wenn die Dinge so bleiben, wie sie sind, wird es schwer sein, sie als Erfolg zu bezeichnen. Bislang hat Russland seine Gegner jedenfalls ermutigt, der Nato neues Leben eingehaucht und die Verhängung weiterer Sanktionen gegen eine bereits wackelige Wirtschaft riskiert. 

Russland möchte, dass die Welt es so sieht, wie es sich selbst sieht, nämlich als Großmacht. Anstatt seine Niederlage einzugestehen, wird Moskau also mit ziemlicher Sicherheit versuchen, seine Muskeln auf andere Weise spielen zu lassen. Es wird seine Stärken ausspielen: Russland verfügt über eine erfahrene und gut ausgerüstete Armee und wird sich mit Ländern einlassen, denen die Ukraine im Gegensatz zu Europa nicht wirklich am Herzen liegt. Vor allem aber wird die russische Regierung etwas tun wollen, das billig und folgenlos ist – und zwar am besten irgendwo weit weg, wo mehr Erfolg winkt als in der Ukraine.

Schauplatz Syrien

Kommen wir zu Syrien. Russland kämpft dort seit September 2015 gemeinsam mit Regierungstruppen und regierungsnahen Milizen. Gepaart mit Kampfeinsätzen war dies eine diplomatische Mission, deren ausdrücklicher Zweck es war, zu zeigen, dass Moskau das Geschehen weit weg von seinen Grenzen beeinflussen kann. Der Plan ging weitgehend auf. Trotz krasser Unterschiede zu den westlichen Regierungen, die auf dem Schauplatz operieren, konnte sich Russland bei Verhandlungen unentbehrlich machen, mit ehemaligen Feinden wie der Türkei zusammenarbeiten, Verbündete wie Syrien unterstützen und israelische Maßnahmen abschwächen.

Aus diesem Grund hielt sich der russische Verteidigungsminister am 15. Februar, dem Tag vor dem angeblichen Beginn der Invasion in der Ukraine, in Syrien auf, wo er eine russische Marineübung im östlichen Mittelmeer inspizieren sollte. Am selben Tag bereiteten sich russische Langstreckenflugzeuge vom Typ Tu-22M3 und MiG-31K nicht auf eine Offensive in der Ukraine vor, sondern wurden auf den Flugplatz Khmeimim verlegt, um an denselben Marineübungen teilzunehmen. (In der Tat sind russische Kriegsschiffe seit einigen Wochen im Mittelmeer unterwegs.) Russland erneuerte auch seine Forderung an die USA, ihre Streitkräfte aus Syrien abzuziehen, und wird nächste Woche Gespräche mit dem syrischen Außenminister über die Aussichten für eine politische Lösung der Syrienkrise führen.

Um es klar zu sagen: Russland hat nicht vor, hier eine ernsthafte Militäroperation zu unternehmen. Jedes kriegsähnliche Szenario bedroht Russlands ohnehin recht bescheidene Position in der Region, und die jüngsten Aktivitäten in Syrien deuten nicht darauf hin, dass das Land auf die Art von territorialen Veränderungen, Flüchtlingsströmen oder groß angelegten Zerstörungen zusteuert, die für den Bürgerkrieg in den vergangenen Jahren typisch waren. Darüber hinaus wird Russlands Präsenz in Syrien durch andere am Konflikt Beteiligte eingeschränkt. Der Iran ist stärker involviert, und die Türkei ist militärisch aktiver in Syrien, während die Golfstaaten, allen voran die Vereinigten Arabischen Emirate, am Wiederaufbau des Landes interessiert zu sein scheinen.

Hinzu kommen Israel, das Syrien trotz russischer Aufforderungen weiterhin angreift, und die USA, die es nicht eilig haben, den russischen Forderungen nach einem Rückzug nachzukommen, und möglicherweise sogar die Atomgespräche mit dem Iran wieder aufnehmen. Gleichzeitig weiß Russland, dass es andere Akteure gibt, die genug Macht und Einfluss haben, um Russlands Forderungen nicht ernst zu nehmen.

Moskau lässt seine Muskeln spielen

Russlands Aktivitäten in Syrien scheinen daher kaum mehr als eine weitere Erinnerung an alle anderen zu sein, dass es immer noch da ist und immer noch mächtig genug, um Konflikte weit weg von seinen Grenzen zu beeinflussen. Dies erklärt auch die Teststarts von ballistischen und Marschflugkörpern am 19. Februar unter der persönlichen Leitung von Präsident Wladimir Putin. Zu diesen Übungen gehört traditionell der Start eines ballistischen Interkontinentalflugkörpers auf dem Kura-Testgelände in Kamtschatka, aber diesmal startete Russland Hyperschallraketen des Typs Kinzhal an einem ungenannten Ort, während Schiffe und U-Boote der Nord- und Schwarzmeerflotte Kalibr-Marschflugkörper und Zircon-Hyperschallraketen starteten. Diese Demonstrationen, wie auch die krampfhaften Aktivitäten in Syrien, zeigen, dass Russland seine Muskeln spielen lässt.

Ebenso wirbt Russland lautstark mit zwischenstaatlichen Verträgen und Vereinbarungen, um sich als mächtiger Handels- und Wirtschaftspartner zu profilieren, der gut ohne Europa auskommt. Im Februar warb Russland besonders nachdrücklich für Putins Besuch in China während der Olympischen Spiele, wo Putin die Unterstützung Pekings erhielt – auch in Wirtschafts- und Energiefragen, was einen Teil der Verluste aus der Erdgaspipeline Nord Stream 2 ausgleichen würde.

Auf dem Höhepunkt der Invasionshysterie empfing der Kreml auch eine Delegation aus Lateinamerika, darunter den brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro und den argentinischen Präsidenten Alberto Fernandez. Moskau legte Wert auf die Feststellung, dass die Verhandlungen im Gegensatz zu Putins Treffen mit europäischen Staats- und Regierungschefs ohne soziale Distanz stattfanden. Putin und Bolsonaro gaben einander vor den Gesprächen sogar die Hand, und Putin erklärte, Argentinien sei einer der wichtigsten Partner Russlands in Südamerika.

Aber auch dies ist künstlich. Der Zusammenarbeit zwischen diesen Ländern sind deutliche Grenzen gesetzt. Die chinesisch-russische Zusammenarbeit ist bestenfalls dürftig. Solange es unterschiedliche Interessen im Fernen Osten Russlands, Konkurrenz in Zentralasien, die Weigerung, wichtige Technologien zu teilen, und äußerst selektive Investitionen gibt, werden Russland und China uneins sein. Die Beziehungen zwischen Russland und Lateinamerika sind zwar wesentlich dynamischer, vor allem im Agrarsektor, aber keiner der beiden Staaten ist der wichtigste Handelspartner des anderen. Die Handelsbeziehungen mit Europa werden nicht abreißen.
 
Für Russland ist es unerlässlich, seinen Einfluss in den westlichen Grenzgebieten zu bewahren und auszubauen, und ein Teil dieser Strategie besteht darin, sich selbst stärker und fähiger erscheinen zu lassen, als es ist. Die Geschichte legt nahe, dass Moskau weiterhin in verschiedenen Teilen der Welt mehr militärische Ausrüstung vorführen wird, ohne sie tatsächlich einzusetzen, insbesondere in Syrien, und dass es mit anderen Ländern über wirtschaftliche Zusammenarbeit diskutieren wird, ohne tatsächlich über nennenswerte Wettbewerbsvorteile zu verfügen.

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