Russischer Gaslieferstopp - Bulgarien als Exempel?

Russland hat seine Gaslieferungen an Polen und Bulgarien eingestellt. Warum ausgerechnet das kleine Bulgarien, das ärmste Land der EU? Der Lieferstopp kam unmittelbar vor der geplanten Kiew-Reise von Ministerpräsident Kiril Petkov. Die Verbundenheit der beiden „Bruderländer“ ist vorerst Geschichte.

Bulgariens Ministerpräsident Kiril Petkov bei einem Sondertreffen des Europäischen Rates in Brüssel anlässlich des Ukraine-Krieges / dpa
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Frank Stier ist Korrespondent für Südosteuropa und lebt in der bulgarischen Hauptstadt Sofia.

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Gerade stellte Bulgariens Ministerpräsident Kiril Petkov wie zuvor zahlreiche seiner EU-Amtskollegen eine Delegation für einen Solidaritätsbesuch in Kiew zusammen, da erreichte ihn die Hiobsbotschaft vom Stopp russischer Gaslieferungen an Bulgarien. „Unsere letzte Zahlung an den russischen Staat wurde abgelehnt und an uns zurückgeschickt“, informierte Energieminister Alexander Nikolov auf einer Pressekonferenz am Mittwochmorgen in Sofia. Es gebe aber keinen Grund zur Panik, beschwichtigte er, die Versorgung der Verbraucher sei gewährleistet. „Vor 30 Tagen haben wir einen Plan erstellt, wie wir die Gasversorgung in einem solchen Falle aus alternativen Quellen fortsetzen können, damit sie nicht eingeschränkt werden muss“, beteuerte kurz darauf Regierungschef Petkov. Der Gas-Stopp werde ihn nicht davon abhalten, wie geplant über Polen in die Ukraine zu reisen.  

Doch warum Bulgarien, fragten sich viele. Die Weigerung des Balkanlands, das von Moskau geforderte zweistufige Zahlungsverfahren für die Gaslieferung zu akzeptieren, sei der offizielle Grund, informierte Minister Nikolov. Dieses Verfahren berge aber erhebliche Risiken. „Bei Zahlungen in US-Dollar verlieren wir die Kontrolle über unser Geld. Da die russische Bank für die Umrechnung in Rubel zuständig ist, besteht keine Klarheit über den Wechselkurs“, erklärte er. Dies dürfte genauso auf andere Abnehmerländer aus der EU zutreffen, sodass dieser Grund kaum als hinreichend plausibel gelten kann, warum Russland außer Polen das ärmste Land der EU, Bulgarien, für einen Stopp der Gaslieferungen ausgewählt hat. Möglicherweise belaste der Ausfall der im internationalen Vergleich eher geringen bulgarische Zahlungen die russische Einnahmenbilanz relativ wenig, gaben Marktbeobachter zu bedenken. Im Verlauf des Mittwochs blieb dies indes ebenso Spekulation wie die These, das kleine Bulgarien eigne sich für Moskau als Warnung an größere Abnehmer wie Deutschland.  

Die bulgarische Gesellschaft ist in ihrem Verhältnis zu Russland gespalten

Eines ist aber offensichtlich: Die in den vergangenen Jahren oft beschworene kulturhistorische Verbundenheit der beiden slawischen Bruderländer Russland und Bulgarien ist vorerst Geschichte. In Reaktion auf die Sanktionen der EU nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine hat Russland Bulgarien wie alle anderen EU-Länder auch zum „unfreundlichen Staat“ erklärt. Und obwohl sich Bulgarien im Gegensatz zu anderen EU-Ländern bisher nicht zu offiziellen Waffenlieferungen an die Ukraine bereit erklärt hat, zahlt es nun seinen Preis für die moralische und humanitäre Unterstützung Kiews in seinem Verteidigungskrieg gegen Moskau.  

Die bulgarische Gesellschaft ist in ihrem Verhältnis zu Russland gespalten. Auch wenn sie Putins Aggression gegen die Ukraine verurteilen mögen, so beharren viele Bulgaren auf ihrer Sympathie für das russische Volk und seine Kultur, bleiben dankbar für Russlands Verdienst für die Befreiung Bulgariens von fast fünfhundertjähriger osmanischer Fremdherrschaft im Russisch-Türkischen Krieg 1878. Die Zahl derjenigen aber, die auch unter Verweis auf die vierzigjährige russische Hegemonie über die kommunistische Volksrepublik Bulgarien Antipathie gegen Russland empfinden, wächst angesichts der grausamen Kriegshandlungen dynamisch.  

In der von Regierungschef Petkov seit nunmehr einem halben Jahr angeführten Vierparteienkoalition sind beide konträren Positionen repräsentiert. Während die von Wirtschaftsministerin Kornelia Ninova angeführte Bulgarische Sozialistische Partei (BSP) jegliche militärische Unterstützung der Ukraine strikt ablehnt und Sanktionen gegen Russland kritisch sieht, fordern die euro-atlantisch orientierten Konservativen des Parteienbündnisses Demokratisches Bulgarien (DB) vehement sofortige Waffenlieferungen an die Ukraine. Der Streit darüber ist nicht der einzige in der Koalition, doch für ihren Bestand der gefährlichste. Er könnte das Links-Rechts-Bündnis zu Fall bringen, droht Wirtschaftsministerin Ninova doch für den Fall von Waffenlieferungen mit dem Auszug der Sozialisten aus der Regierung.  

Möglichkeiten alternativer Gaskäufe werden sondiert

In den vergangenen Tagen haben sich Hinweise verdichtet, dass bereits jetzt in Bulgarien produzierte Waffen über Zwischenhändler in Drittstaaten ihren Weg in die Ukraine finden. Ein Indiz dafür ist, dass sich die bulgarischen Waffenexporte seit Beginn des Ukraine-Kriegs verdreifacht haben gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Die New York Times berichtete vor einigen Tagen, die in Tampa/Florida ansässige Firma Ultra Defense Corp. habe im Auftrag der US-Regierung Waffen von bulgarischen Herstellern gekauft, um sie in die Ukraine zu liefern. Die für die Ausfuhrgenehmigung von Waffen zuständige Wirtschaftsministerin Ninova bestreitet derlei Geschäfte. Doch der Ko-Vorsitzende des konservativen Parteienbündnisses DB Atanas Atanassov bezichtigt seine eigene Regierung der „Heuchelei“. Die bulgarische Militärindustrie schaffe „Produkte, die in die Ukraine gehen. Doch politisch sind wir zu feige, Position zu beziehen“, so General Atanassov.  

Am Donnerstag will Energieminister Alexander Nikolov mit der Europäischen Kommission in Brüssel über eine gemeinsame Reaktion der EU auf den Gas-Stopp beraten und Möglichkeiten alternativer Gaskäufe sondieren. Griechenland hat bereits zugesichert, Bulgarien im griechischen Hafen Alexandroupolis ankommendes Flüssiggas zu überlassen. Und in zwei Monaten soll der lange überfällige Interkonnektor zwischen Griechenland und Bulgarien fertiggestellt sein, über den Bulgarien dann Gas aus Aserbaidschan beziehen kann.  

Test für die europäische Solidarität

Als Bulgarien im Januar 2009 als Kollateralschaden des russisch-ukrainischen Gasstreits von jeglicher Gaszufuhr abgeschnitten wurde, galt der Bau von Interkonnektoren zur Verbindung mit den benachbarten Gasnetzen als vordringliche Maßnahme zur Diversifizierung der Gasversorgung und der Minderung der Abhängigkeit von russischen Energielieferungen. Der im Sommer 2009 zum Ministerpräsidenten gewählte Boiko Borissov hat es in seinen drei, mit Unterbrechungen zwölf Jahre währenden, Amtszeiten aber nicht vollbracht, den griechischen Interkonnektor fertigzustellen. Stattdessen errichtete das Kabinett Borissov für drei Milliarden BGN (ca. 1,5 Milliarden Euro) eine die Ukraine umgehende Verlängerung der Gaspipeline Turkish Stream über bulgarisches Territorium, die ausschließlich Transitgas für Serbien und Ungarn transportiert. Die Russland ablehnend gegenüberstehenden politischen Kräfte fordern nun, Bulgarien solle dieses Gas für eigene Zwecke verwenden, als Kompensation für die vorenthaltenen Lieferungen seiner vertraglich vereinbarten Gasmengen. „Bulgarien ist nicht Russland“, erteilte Energieminister Nikolov einem solchen Vorgehen eine Absage. Sein Land werde den Gastransit nach Serbien nicht unterbinden. Juristen prüften aber bereits die Transitverträge mit Russland.  

Der Ukraine-Krieg und seine Folgen führen nicht nur zu Spannungen innerhalb der Regierungskoalition, sondern auch in ihrem Verhältnis zu Staatspräsident Rumen Radev. Der ursprünglich von den Sozialisten ins Amt gehievte Generalmajor Radev kritisierte Premier Petkovs Kiewreise mit den Worten, „die bulgarische Position wird in Sofia entschieden und nicht in Kiew“. Bevor sich bulgarischen Politiker aufmachten, die Welt zu retten, „sollten sie sich lieber um die tausenden Menschen im Land kümmern, die in Not sind“, riet er in Anspielung auf die viele Bulgaren bedrückende Inflation. „Ja, wir werden wahrscheinlich eine alternative Lösung finden, aber das wird Zeit und Geld kosten und viel höhere Preise bedeuten“, warnte der Präsident.  

Bulgarien ist in den 13 Jahren seit dem letzten Gasstopp keine Diversifizierung seiner Energieversorgung gelungen. Das Balkanland ist nicht nur bei der Einfuhr von Gas so gut wie ausschließlich abhängig von Russland, sondern auch beim Import von Nuklearbrennstäben und Rohöl. In dem Problem mit der Gasversorgung sieht Staatspräsident Rumen Radev nun einen „echten Test für die europäische Solidarität – wie die EU den energieärmsten Ländern helfen wird“.  

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